Mainz. . Die Star-Geigerin tritt in Berlins hipper Yellow Lounge auf. Und das ZDF zeigt es. Im Interview spricht die 51-Jährige über Mozart, Film-Musik und die Stones.
Club statt Philharmonie: Star-Geigerin Anne Sophie Mutter spielt in Berlins zeitgeistiger Yellow Lounge. Damit will die 51-jährige Star-Geigerin ein junges Publikukm ansprechen. Jürgen Overkott sprach mit ihr.
Gibt es bei Ihnen einen Tag, der ohne Musik abläuft?
Anne Sophie Mutter: Oh ja, die gibt es. Es gibt sogar Wochen und Monate, nur im Augenblick nicht, da bereite ich mein Londoner Programm vor – und mein Rezitalprogramm. Mein Konzert-Kalender ist sehr gedicht gedrängt. Aber ich werde im Juli zehn Tage Urlaub einlegen, zugebenermaßen mit Geige. Im Oktober allerdings konzertiere ich fast gar nicht mehr, so dass ich neben dem Studium von Partituren mal zwei, drei Wochen total Pause mache.
Total Pause heißt: Sie spielen nur eine Stunde Geige pro Tag.
Anne Sophie Mutter: Nein, gar nicht. Es geht mir sehr gut auch ohne Geige (lacht).
Manche Menschen machen sofort die Musikanlage an, wenn sie nach Hause kommen. Gilt das auch für Sie?
Anne Sophie Mutter: Nein! Um Himmels Willen! Ich bin sehr gern von Stille umgeben. Deshalb bin ich auch sehr gern in den Bergen und überhaupt in der Natur. Wenn ich will, kann ich parallel dazu trotzdem üben. Ich kann in einem anderen Teil meines Kopf Partituren abrufen.
Klassische Partituren...
Anne Sophie Mutter: Ja, ich höre aber auch sehr gerne Jazz. Ich versuche Abstand zu gewinnen von meinem Repertoire. Wenn ich in meiner Freizeit ins Konzert gehe, interessiere ich mich eher für ein Klavier-Repertoire in seiner kompositorischen Vielfalt. Das finde ich unglaublich spannend. Das Klavier ist ein tolles Instrument, imposant und beeindruckend. Aber für mich persönlich ist die Geige der ideale Weggefährte.
Früher waren die Grenzen zwischen den Musik-Genres ziemlich strikt. Durften Sie als Kind etwas anderes als Klassik hören?
Anne Sophie Mutter: Wir haben viel Jazz gehört. Das hat mich geprägt. Und dann bin ich ja mit zwei älteren Brüdern aufgewachsen (lacht).
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Die kleine Schwester ist vor allem dem Größeren blind und begeistert gefolgt. Er war Fan von Muhammad Ali und auch vom Tennis. Ich schaue seit 40 Jahren Tennis und bin großer Fan von Roger Federer. Und musikalisch bin ich meinem Bruder Andreas in seiner Begeisterung für die Rolling Stones gefolgt. Auch wenn ich ihre Texte teilweise gar nicht verstand, fand ich die Gruppe cool. Meine Eltern fanden das abgrundtief furchtbar.
Ich bin früher über Chuck Berry gestolpert. Er sang: „Roll over Beethoven, tell Tchaikovsky the news.“ Hat er eine ganze Generation von Musikfan für Klassik verdorben?
Anne Sophie Mutter: Nein, ganz sicher nicht. Andererseits habe ich gerade einen Artikel gelesen, in dem die Rolle der Eltern bei der Entwicklung der Kinder betont wird, gerade in der Zeit vor der Schule. Das liegt eben an uns Eltern, den Kindern Hobbyfächer anzutragen. Dazu gehört auch die Musik.
Manche Eltern spielen ihren kleinen Kindern Mozart vor, wenn sie einschlafen sollen. Wie war’s bei Ihnen?
Anne Sophie Mutter: Meine Kinder hatten nie Einschlafprobleme (lacht). Aber tatsächlich war es schon so, dass meine Kinder, so wurde es mir zumindest berichtet, regelmäßig in meinen Konzerten eingeschlafen sind. Gott sei Dank sind sie rechtzeitig zum Applaus wieder hochgeschreckt. Aber ich finde es überhaupt nicht schlimm, ganz selbstverständlich in unsere Hör-Kultur hereinzuwachsen; da kann man auch mal wegnicken. Man sollte Kinder nicht vor klassischer Musik bewahren und sagen, irgendwann ist es reif dafür – Unsinn!
Klassik entspannt...
Anne Sophie Mutter: ...aber nicht nur. In meinen Konzerten gibt es auch mal ordentlich Feuer.
Musik hat eine starke sinnliche Qualität. Spüren Sie beim Spielen schon mal ein Kribbeln, wenn es gut läuft?
Anne Sophie Mutter: Ich lese gerade ein Buch über den Flow: Wenn man ein Ziel mit großer Leidenschaft verfolgt, wird man irgendwann eins mit Zeit und Raum. Das kennt jeder. Das kennt nicht nur jeder Athlet, sondern auch jeder Musiker. In der Musik sind diese glückhaften Momente besonders sinnfällig, weil Musiker wie ich diese Momente teilen wollen; es ist ja kein Wettkampf. Es ist ein Austausch. Meine Perspektive ist: Was kommt aus dem Publikum? Wie gespannt ist die Stille? Darum liebe ich Live-Mitschnitte. Der Raum hat eine ganz andere Gespanntheit, wenn er mit Zuhörenden gefüllt ist, die eine gespannte Stille kreieren.
Sie sind gerade wieder in der Yellow Lounge in Berlin aufgetreten. Was war dabei das Spannende?
Anne Sophie Mutter: Vor anderthalb Jahren hat dort mein erster Auftritt stattgefunden. Ausgerechnet an diesem Abend tauchte (Star-Dirigent und -Pianist) Krystian Zimerman dort auf, und ich dachte nur: Oh, Gott (lacht). Das Publikum war unglaublich intensiv. Und als ich die Dvorak-Romanze spielte, hat mich die Stille in dem Raum nicht mehr losgelassen. Ich spiele wahnsinnig gern in großen Sälen, das ist meine Welt, aber der direkte, fast physische Draht zum Publikum ist etwas ganz Besonderes.
Warum?
Anne Sophie Mutter: Bei einem Rezital ist es stockduster, ich bin fokussiert, in einem Club hast du einen VJ, der fantastische Arbeit leistet, das Lichterzucken drum herum, du nimmst es bewusst wahr, zwischendurch gibt es Moderationen, die dich aus der Fokussierung reißen. Das ist schon eine Herausforderung. Aber: Es hat irrsinnig Spaß gemacht, weil das Publikum unvoreingenommen und mit großer Leidenschaft reagiert hat. Und: Es hat nicht einer gehustet.
Wenn ich mir Ihr Repertoire ansehe, haben Sie ein besonderes Verhältnis zu Mozart. Hätten Sie ihn gern persönlich kennengelernt?
Anne Sophie Mutter: Oh ja! Ich hätte Mozart sicher dazu überredet, noch etwas mehr für die Geige zu schreiben.
Spielen wir das Was-wäre-wenn-Spiel noch etwas weiter. Glauben Sie, dass Mozart heute Film-Musik schreiben würde?
Anne Sophie Mutter: Diese Trennung zwischen ernster Musik und Film-Musik habe ich nie verstanden. Neutöner wie Penderecki oder Schoschtakowitsch haben zwischendurch immer mal Film-Musik geschrieben – und zwar nicht nur aus der Not heraus. Also: Gute Musik ist gute Musik, egal ob es Bilder dazu gibt oder nicht. Das Handwerk muss stimmen.
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Das ZDF zeigt Anne Sophie Mutters Konzert in Berlins Yellow Lounge am Sonntag, 28. Juni, 23.30 Uhr.