Kathmandu. .

Nepal gräbt noch nach Verschütteten, verteilt noch Zelte an Obdachlose und fliegt noch immer Verletzte aus entlegenen Bergregionen aus – da passiert schon die nächste Katastrophe. Wieder erschüttert ein gewaltiges Beben die Erde. Häuser, die vor 17 Tagen gerade noch so stehenblieben, fallen in sich zusammen. Hänge, die dem Zittern damals standhielten, rutschen nun ins Tal. Und Menschen, die noch Hoffnung hatten, verzweifeln.

Mehr als 1200 Verletzte

Bei einem schweren Nachbeben im Himalaya sind mindestens 70 Menschen ums Leben gekommen. 52 Tote seien bislang in Nepal geborgen worden, sagte Laxmi Dhakal vom Innenministerium in Kathmandu am Dienstag. Weit mehr als 1200 Menschen seien verletzt worden. „In einigen Dörfern erwarten wir völlige Zerstörung“, sagte Dhakal. Im Nachbarland Indien kamen nach offiziellen Angaben 17 Menschen ums Leben. Die meisten davon seien im Bundesland Bihar gestorben, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in Neu Delhi. In China starb eine Frau. „Ich weiß nicht mehr, wie ich mein Kind vor all diesem beschützen soll“, sagt Mridu Shrestha, ne­ben sich ihren kleinen Sohn. Der Zweijährige hat Mückenstiche am ganzen Körper, weil er seit Wochen in Zelten schläft. „Er weint seit dem Beben ununterbrochen und erschrickt jedes Mal, wenn er ein lautes Geräusch hört“, sagt sie. Saral Gurung, ebenfalls Bewohner von Kathmandu, fügt hinzu: „Ich bin müde. Ich glaube nicht, dass ich mich jetzt noch mal aufraffen kann, um zu arbeiten.“

Zehntausende leben wie Shrestha und Gurung auf Gehsteigen, in Innenhöfen und Parks. Viele von ihnen hatten gerade erst die Zeltplanen zusammengefaltet und waren in ihre Häuser zurückgekehrt. Manche begannen mit dem Wiederaufbau ihrer Häuser. Doch das heftige Nachbeben der Stärke 7,2 treibt sie erneut ins Freie – wo ihnen kein tonnenschwerer Beton oder ein Holzbalken auf den Kopf fallen kann.

Dutzende Menschen kommen am Dienstag bei dem Nachbeben ums Leben, darunter laut Innenministerium vier Menschen, die einen Herzinfarkt erlitten. „Die Menschen haben unglaublich viel Angst“, sagt Sunjuli Singh, die für die Hilfsorganisation World Vision in Nepal arbeitet. „Es ist so schwierig geworden, sich in seinem Zuhause behaglich und sicher zu fühlen“, ergänzt sie. „Alle in Nepal denken ständig an Erdbeben.“ Viele Bewohner des Himalaya-Landes erzählen, sie spürten immer wieder Erdstöße. Manchmal sei es wirklich ein Nachbeben, und manchmal zitterten nur die Beine. Oder der Kopf spiele verrückt.

Alle rannten nur noch weg

Im Parlament in Kathmandu wird gerade über Geldzahlungen an die Opfer des ersten Bebens der Stärke 7,8 diskutiert, als die Decke des Gebäudes am Mittag plötzlich Risse bekommt. „Der Stuhl, auf dem ich saß, begann zu wanken, sagt die Abgeordnete Pratikshya Tiwari. Alle seien bloß noch gerannt – sie selbst lief schnellstmöglich in den Garten, wo ihr Sohn spielte. „Ich dachte, wir würden alle sterben.“