Le Bourget. Das Germanwings-Unglück war offenbar eine einstudierte Katastrophe: Aus einem Bericht geht hervor, dass der Copilot auf dem Hinflug “geprobt“ hatte.

Der Copilot des Germanwings-Unglücksflugs mit 150 Toten hat den Absturz offenbar kurz vor der Katastrophe geprobt. Das hat die französische Flugsicherheitsbehörde Bea in ih­rem Zwischenbericht vom Mittwoch veröffentlicht.

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Es ist ein ganz und gar außergewöhnlicher Fall, selbst für die Flugunfall-Experten. Erschreckend klar in der Analyse, hoch kompliziert im Hinblick auf mögliche Konsequenzen. Wo sonst oft mühsame Daten-Puzzlearbeit nötig ist, besteht bei 4U9525 kein Zweifel mehr am Szenario eines absichtlich herbeigeführten Absturzes. „Das Verständnis dessen, was geschehen ist, war ziemlich schnell“, sagt Rémi Jouty, der Chef der Untersuchungsbehörde Bea.

Mehr und mehr vervollständigen die Ermittlungsergebnisse das Bild, und immer deutlicher unterstreichen die Details die Ungeheuerlichkeiten des Falls. Jetzt also dies: Schon auf dem Hinflug nach Barcelona verstellte der 27 Jahre alte Copilot Andreas Lubitz heimlich die Höheneinstellung des Fliegers, setzte sie auf etwa 30 Meter. Mal nur für einen Augenblick, einmal für rund 50 Sekunden. Schon zu diesem Zeitpunkt war er allein im Cockpit und hätte den Flieger ins Verderben steuern können. Doch als der Kapitän zurückkommt, lässt er ihn noch einmal herein.

War das ein Ausprobieren, ein Einstudieren des Kollisionskurses, der das Flugzeug mit 150 Menschen an Bord wenige Stunden später auf dem Rückweg nach Düsseldorf ins Felsmassiv der französischen Alpen steuern würde? Oder war es ein Zögern? Er werde nicht darüber spekulieren, was im Kopf des Mannes vorgegangen sei, sagt Jouty. Bemerkt hat den Eingriff jedenfalls niemand, das Flugzeug war auf Anordnung der Fluglotsen ohnehin im Sinkflug. Es ist ein weiteres Puzzleteil, das auf ein wohlüberlegtes Vorgehen des 27-Jährigen hindeutet.

Sekundenprotokoll lässt keine Fragen offen

Mit dem nun nach gerade sechs Wochen veröffentlichten französischen Zwischenbericht lässt sich der Ablauf des Todesflugs bis ins Detail nachvollziehen: Um 10.30 Uhr verlässt der Kapitän das Cockpit, eine halbe Minute später ändert der Copilot die Kurshöhe. Später die Anrufe und Klopfzeichen des Kapitäns, die Kontaktversuche der Fluglotsen in Marseille. Auch das französische Militär funkt den Airbus dreimal erfolglos an. Schließlich die Alarmsignale, der Aufprall um 10.41 Uhr.

Doch all diese präzisen technischen Fakten lassen ein großes Fragezeichen: Was den Copiloten zu der Tat führte, ist nach wie vor unklar. Lufthansa und Luftfahrtbundesamt wussten von der Behandlung des Mannes wegen Depression im Jahr 2009, sein Tauglichkeitszeugnis wurde deshalb zunächst nicht verlängert – dann wurde Lubitz aber doch als flug­taug­lich eingestuft. Für die ju­­ristische Aufarbeitung ist aber ohnehin die Staatsanwaltschaft zuständig.

Knifflig ist auch die eigentlich simple Frage: Was tun? Dieser Ablauf war so nur möglich, weil nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Flugzeugcockpits zu Festungen ausgebaut wurden. Die Schließmechanismen sollten sicherstellen, dass niemand gegen den Willen der Piloten hineinkommt. Jouty gibt zu bedenken: Solle zugleich verhindert werden, dass ein Pilot das Flugzeug zum Absturz bringen könne, gebe es zwei einander widersprechende Ziele.

Wohl sechs absichtliche Crashs seit 1980

So schlagzeilenträchtig der Germanwings-Absturz ist – nicht das erste Mal ließ ein Pilot ein Flugzeug absichtlich zerschellen. Die französische Untersuchung listet weltweit sechs Fälle seit dem Jahr 1980 auf, bei denen eine Tat eines Crewmitglieds nicht ausgeschlossen werden kann. Immerhin in vier Fällen saßen zwei Personen im Cockpit.

Die Debatte über die medizinischen Untersuchungen von Piloten läuft bereits, auch die Bea will diesen Aspekt bis zu ihrem Abschlussbericht im kommenden Jahr noch näher beäugen. Jouty: „Wir haben viel Arbeit zu tun.“