Essen. . In einem Essener Café plauderte der 76-Jährige über sein Leben in der Senioren-WG. Ein wahrer Mutmacher, der mit Applaus gefeiert wurde.

Wie kommt es, dass an diesem Tag so viel Lachen in der Luft liegt? Und dass man so schnell bereit ist, das Glas mit stillem Wasser oder die Kaffeetasse wegzustellen, damit der Herr auch die Hand ordentlich schütteln kann: Henning Scherf geht durch die Sitzreihen und schüttelt so schwungvoll Hände, dass der ganze Arm wackelt wie ein Seilchen. Dabei schaut er der Dame – es sind ja viele Frauen hier – tief in die Augen und erntet strahlende Gesichter. Solche Erfolge haben sonst nur Alleinunterhalter. Aber in Sachen „Leben im Alter“ ist er ein Meister der Show.

Seine WG ist schon 30 Jahre alt

Henning Scherf (76) ist ja nicht ins Essener Café „alta.a“ gekommen, um übers Alter zu lamentieren. Nein, wie ein Zauberer beschwört er die Freuden des Altwerdens, die das Leben mit sich bringt, wenn man es nur richtig anpackt. Genau, „das Glas ist halbvoll, nicht halbleer!“ Die Gäste sehen es genauso. Sie wollen das Leben genießen, auch wenn es vielleicht in der Hüfte zwickt. Oder draußen der Rollator wartet.

Auch interessant

72015507-kTeE--198x148@DERWESTEN.jpg
Von Wilfriede Goebels, Miguel Sanches

Die Damen und Herren kennen diesen großgewachsenen Mann mit dem grauen Schopf aus dem Fernsehen. Jeder wohl weiß hier, dass Bremens berühmter Ex-Bürgermeister, Sozialdemokrat und Autor einer Reihe von Büchern über das Altwerden, ein Vorreiter war, als er vor fast 30 Jahren eine Wohngemeinschaft als Lebensalternative gründete. Alt und Jung gemischt, sogar ein Hauskind gab es. International war man sowieso.

„Je bunter, desto attraktiver“, sagt Scherf und gratuliert sich selbst zu diesem Satz: Denn er drücke seine positive Grundhaltung aus. „Ich jammere nicht über das, was ich nicht mehr habe, sondern freue mich über das, was ich habe.“ Offenheit, Neugier, die Lust, Neues zu lernen – die Leute hängen an seinen Lippen. Ja, so wollen sie leben. Selbstbestimmt und nicht bevormundet werden. Eigenwillig und mit dem Mut zur Schrulligkeit.

Er vergisst, mit wem er per Sie ist. Deshalb duzt er alle

Natürlich lasse manches mit dem Alter nach, meint Scherf.. Vor allem das Gedächtnis. Auch er käme manchmal in Verdrückung, ob er jemanden nun geduzt oder doch gesiezt hat. Aber solche Kleinigkeiten lasse er gar nicht an sich ‘ran. Er duzt meist einfach. Und weil er ja ein Promi ist, meckert auch keiner.

Auch interessant

Ob es nicht auch mal was schief läuft, „es gibt doch in jeder Wohngemeinschaft ein Stinktier“, sagt ein Mann aus dem Publikum, dem das vielleicht doch ein wenig zu viel Lobhudelei ist: herrliches Gärtnern hier, idyllischer Wochenmarktbesuch da, spannende Gespräche mit den Mitbewohnern, die ja zumeist auch zur Elite zählen.

Ja, sagt Scherf zum Thema Stinktier. Er habe mal eine Mitbewohnerin empfohlen, „eine tolle Frau, eine Hochschul-Professorin“, aber als die eingezogen war – Katastrophe. Und sonst? Es gab eine Scheidung, es gab Krankheiten und auch das Thema Tod. „Es stimmt, über Einbrüche in meinem Leben rede ich nicht so gerne“, sagt er. Er sei ein Meister des Schönfärbens! Warum nicht? Viele Frauen lachen, als ob sie das von sich selbst kennen, ein Mann hakt nach: „Es gibt aber doch überall Probleme.“

Seine Ärzte sind begeistert von ihm

Wie es in der WG denn so sei, einkaufen für die zehn Leute, putzen, waschen. Alles klappt, alles geregelt. Und wie das mit dem Finanziellen sei? Man merkt Scherf an, dass er selbst diese Sorgen nicht hat. Überhaupt sei er privilegiert. „Ich bin ja auch total fit“, sagt er. Und damit, was er bedauert, aber Außenseiter in vielen Gesprächen bei älteren Leuten.

Dieter Baumann, einst Olympiasieger im 5000-Meter-Lauf, will mit ihm an den Start gehen, erzählt er. Warum sich nicht auch mal ein bisschen bauchpinseln. Auch seine Ärzte loben ihn. „Ich mache alles richtig.“ Körperliche Bewegung per Rennrad, gemixt mit geistiger Bewegung, das Rezept verschreibt er aller Welt. Und was er nicht alles ehrenamtlich tut: Liest vor, sitzt am Mittagstisch in Problemschulen und freut sich, dass er etwas erreicht. „Und wenn es nur ist, dass die Kinder nicht mit Essen werfen.“

Die kleinen Erfolge zählen. Und da hat er immer das Publikum auf seiner Seite. Hier sitzen Menschen, die in Essen, Bochum oder Herne selbst dafür kämpfen, dass das Leben im Alter bunt bleibt. „Von Euch kann ich viel lernen“, sagt Scherf. Natürlich gibt es dafür Applaus.