Dorsten. Der Toast Hawaii feiert 60. Geburtstag. Bis heute ist er ein Dauerbrenner in der Küche. Sternekoch Frank Rosin perfektioniert das Rezept.

Vier Zutaten reichen aus. Die Verwandlung eines banalen Butterbrotes in ein Kult-Sandwich ist gar nicht kompliziert. Und genau darin liegt wohl ein Teil des Erfolgsgeheimnisses. Brot, gekochter Schinken, Schmelzkäse und eine Scheibe Ananas, schon ist so ein Toast Hawaii fertig gebaut.

Das Gericht steht für den Aufschwung in den 50er-Jahren

Als Fernsehkoch Clemens Wilmenrod das Blitzrezept vorkocht, hängt das 50er-Jahre-Deutschland begeistert an seinen Lippen. In Haushalten, die damals schon einen Fernseher besitzen, stellen Zuschauer eilig ihren Eierlikör auf dem Nierentisch ab, um sich voll auf dieses ach so exotische Schnellgericht zu konzentrieren. Donnerwetter, was für eine gewagte Rezeptur. Ananas – aufregender Südseezauber. Und dann in Verbindung mit pikantem Schinken. Fortschrittliches Essen in der Zeit des Wirtschaftswunders. In Windeseile hergestellt und trotzdem eine komplette, sogar warme Mahlzeit.

Bei dem kleinen Gericht, das in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiert, kommt einiges zusammen, was in den 50er-Jahren für Innovation und Aufschwung stehen soll. Das in Fabriken produzierte Weißbrot, das die amerikanischen Besatzer so gerne essen. Dann die Südfrucht, die von der großen weiten Welt träumen lässt, aber auch als Zeichen des industriellen Wachstums verstanden werden darf, denn sie kommt aus der Konserve. Knusprig (das Röstbrot) trifft schmelzend (der Käse). Wer übermütig ist, drapiert noch eine Cocktailkirsche in der Mitte. Was für eine schöne Verschwendung.

Lokale zwischenSiegen und Düsseldorf haben den Toast heute auf der Karte

Schnell schafft es der Snack auch in die Gaststätte. In manch einer ist er bis heute ein Dauerbrenner auf dem Teller. Im Dortmunder „Stadewäldchen“, bei „Gründel’s“ in Siegen, im „Goldener Hahn“ in Duisburg, bei „En de Ehd“ in Düsseldorf oder im Essener „Forsthaus“ beispielsweise. Damit ist dem Toast Hawaii etwas gelungen, das seine Altersgenossen, der Mett-igel und das Russisch Ei, verpasst haben. Er hat sich durchgesetzt, ist auch im Alter beliebt geblieben.

Woran liegt es, dass dem Deutschen das überbackene Weißbrot so sehr mundet? Der Dorstener Spitzenkoch Frank Rosin kann es erklären: „Aromen und Geschmack sind grundsätzlich stimmig. Diese Kombination funktioniert im Mund.“

Sternekoch Frank Rosin aus Dorsten.
Sternekoch Frank Rosin aus Dorsten. © imago/Horst Galuschka

Die Röstaromen des Brotes, das Fett des Käses und die Süße der Ananas ergänzen sich hervorragend. Das hat der heute mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Experte während seiner Ausbildung in den 80er-Jahren erfahren, „als die Küchenmamsell den Toast Hawaii mit einer Sauce Hollandaise perfektioniert hat“.

Frank Rosin perfektioniert für uns das Rezept

Obwohl Sterneküche ungefähr so viel mit einem belegten Toastbrot gemeinsam hat, wie ein Porsche mit einer Seifenkiste, hat Frank Rosin doch nach wie vor etwas für die bodenständige schnelle Küche übrig. Wenn sie gut gemacht ist. Für den perfekten Toast Hawaii empfiehlt Rosin, unbedingt eine frische Ananasscheibe einzusetzen und diese vor der Weiterverarbeitung in Butter zu braten. Das Brot sollte zunächst in einer Pfanne mit Olivenöl geröstet werden. Muss es Toast sein? „Da darf man nicht so pingelig sein. Grundsätzlich funktioniert es mit Weißbrot am besten, weil dieses über die größten Karamellisierungsanteile verfügt.“ Das angeröstete Brot wird mit einer Scheibe Schinken, „ein schöner Saftschinken“, der gebratenen Ananas und Käse, „ich empfehle kräftigen Cheddar“, belegt und im Ofen überbacken.

60 Jahre Toast Hawaii bieten viel Zeit zum Experimentieren. Was ist in deutschen Küchen nicht alles versucht worden, um den Klassiker zu modernisieren. Mal wird das Brot mit Senf bestrichen, mal wird es um ein Spiegelei ergänzt, mal wird die Ananas durch ein Stück Pfirsich ersetzt – Versuche, die das Ursprungsrezept auf eine irritierende Weise entwerten. Allenfalls ein paar Spritzer Tabasco oder ein Schuss Ketchup können das essbare Stück Zeitgeschichte abrunden.

Seine Schwester ist die Pizza Hawaii

Immerhin hat der Toast Hawaii über die Jahre Geschwister bekommen: Italienische Pizzabäcker haben sich der deutschen Vorliebe erbarmt und die Pizza Hawaii auf ihre Karte gehievt – nur hierzulande allerdings, in Neapel oder Florenz würde diese Rezeptur wohl eine Verurteilung wegen Geschmacksbeleidigung zur Folge haben. . . Hier und dort findet sich außerdem das Schnitzel Hawaii, und Kabarettist Gerhard Polt hat den „Leberkäs Hawaii“ kreiert – Bayern trifft Honolulu, nun ja.

Ob Clemens Wilmenrod, der erste deutsche Fernsehkoch, tatsächlich der Erfinder des Toasts Hawaii ist, an dieser Frage scheiden sich die Geister. Einige Stimmen behaupten, dass er das Rezept im Jahr 1955 von einem Konkurrenten abgeguckt haben könnte.

Fragen kann man Wilmenrod nicht mehr, er ist seit 48 Jahren tot. Im Gegensatz zum Toast Hawaii, der lebt weiter.