Essen. . Die DB AG will konsequenter gegen Gewalttäter vorgehen. 1500 Attacken auf Mitarbeiter wurden 2015 gemeldet. Jeder Vorfall soll nun angezeigt werden.

"Schwarzfahrer zerreißt Zugbegleiter die Hose", "Reisender greift Zugbegleiter mit Teppichmesser an", "Zugbegleiter beleidigt und angegriffen": Bahn-Beschäftigte leben gefährlich und die Zahl der Angriffe, denen sie bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind, hat im vergangenen Jahr zugenommen: 1500 Attacken hat die Deutsche Bahn im 2014 registriert. Ein Viertel mehr als im Jahr zuvor. Und in diesem Jahr soll die Zahl steigen, sagt die Bahn - ja, soll: "Wir haben unsere Mitarbeiter gebeten, ab sofort konsequent jeden Fall zur Anzeige zu bringen", sagt ein Bahnsprecher.

Ob bei Bahn oder Polizei, ob Rettungskräfte oder Mitarbeiter in Behörden: Bedienstete werden zunehmend Zielscheibe von Aggressionen.

Woran liegt das?

Besonders Polizisten sehen seit längerem eine Zunahme der Gewaltbereitschaft. Im Jahr 2010 startete die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine Kampagne, um auf das Problem hinzuweisen.

Auch interessant

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hatte damals mehr als 20.000 Polizisten befragt - eines der Ergebnisse: Von 2005 bis 2009 habe es einen deutlichen Anstieg der Gewaltübergriffe gegeben. Fälle, bei denen Polizisten so schwer verletzt wurden, dass sie mindestens sieben Tage dienstunfähig waren, nahmen demnach um 60 Prozent zu.

Wer ist sonst betroffen?

Auch Rettungskräfte, Hartz-IV-Sachbearbeiter und andere Behördenmitarbeiter werden Ziel von Aggressionen. Besonderes Aufsehen erregten zuletzt mehrere tödliche Attacken - etwa 2014 im Finanzamt Rendsburg (Schleswig-Holstein) oder 2012 im Jobcenter von Neuss (Nordrhein-Westfalen).

Was könnten Gründe für den Gewalt-Anstieg sein?

"Es wird gerempelt, gespuckt und getreten - einfach weil man glaubt, dem Staat keine Autorität mehr zubilligen zu dürfen", sagt der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt.

Auch interessant

Das merke nicht nur die Polizei: "Die Lehrer merken es, die Richter. Auch vor Gericht findet man manchmal ein Verhalten, das unmöglich ist und das es früher nicht gegeben hat." Wendt beobachtet einen Verlust staatlicher Autorität und "ein hohes Maß an Staatsverachtung".

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte im vergangenen Jahr ebenfalls von einem "zunehmenden Autoritätsverlust" gesprochen. Zu beobachten sei auch eine wachsende Intensität der Gewalt - die Hemmschwelle sei bei einigen Tätern gesunken. Gewerkschaftschef Wendt macht dafür auch den "Rückzug des Staates aus der Daseinsfürsorge" verantwortlich. Es gebe heute deutlich weniger Stellen im öffentlichen Dienst als in früheren Jahren. Der Staat sei daher weniger sichtbar und werde weniger akzeptiert.

Wer sind die Täter?

Weit mehr als 80 Prozent der Angriffe auf die Polizei passieren nach den Worten von DPolG-Chef Wendt im täglichen Streifendienst. Dabei handele es sich also nicht um Einsätze bei Demonstrationen oder Fußballspielen, sondern um Unfallaufnahmen, Verkehrskontrollen oder Einsätze wegen Lärmbelästigung. "Leider muss man sagen ist das auch nicht auf eine bestimmte Klientel beschränkt."

Eine Studie am Kriminologie-Lehrstuhl der Ruhr-Universität Bochum kam 2012 zu dem Ergebnis, dass "die sogenannten sozialen Brennpunkte" bei weitem nicht die einzigen Tatorte seien. Mehr als jeder vierte Übergriff gegen Rettungskräfte ereigne sich in "bürgerlichen Wohngegenden", hieß es nach der Erhebung für Nordrhein-Westfalen. Nicht überraschend sei indes, dass die meisten Täter zwischen 20 und 39 Jahre alt, männlich und oft alkoholisiert seien. Die Bahn wiederum registriert die meisten Attacken auf eigene Mitarbeiter am Rande von Fußballspielen und im Partyverkehr an den Wochenenden.

Blickpunkt Bahn: Viele Angriffe auf Bahn-Bedienstete stünden im Zusammenhang mit "Veranstaltungsverkehr", etwa zu Fußball-Spielen oder im "Party-Verkehr" am Wochenende; vielfach ist bei Tätern Alkohol im Spiel. "Aber wir beobachten auch Angriffe auf Mitarbeiter in völlig banalen Alltagssituationen", sagt ein Bahnsprecher. Fahrgäste kippen Kaffee über einen Beschäftigten im Zugrestaurant; eine Mutter, die als Schwarzfahrerin ertappt wurde, stößt einen Zugbegleiter mit dem Kinderwagen zu boden und überrollt ihn damit - "alles so bei uns vorgekommen", sagt der Bahn-Sprecher.

Was tut die Bahn gegen die Gewalt?

Die Deutsche Bahn hat seit Anfang 2014 die Präsenz eigener Sicherheitskräfte verstärkt. Allerdings führt das wiederum zu häufigeren Attacken auf diese Leute. Gegen Täter wird Strafanzeige erstattet, Wiederholungstäter müssen mit einem Hausverbot rechnen. "Gewalt in unseren Zügen und Bahnhöfen nehmen wir nicht hin", sagte Bahn-Sicherheitschef Gerd Neubeck. Deshalb seien alle Mitarbeiter gebeten worden, jeden Fall ob Angriff, Rempelei oder Beleidigung - auch solche, die man bis dato letztlich hinnahm - künftig zur Anzeige zu bringen und die Bundespolizei einzuschalten.

Wie will die Bahn "Hausverbote" kontrollieren?

Hausverbote sind befristet zwischen einem Monat und einem Jahr, erklärt ein Bahn-Sprecher. Gewalttäter werden schriftlich erfasst, können aber nicht daran gehindert werden, erneut Bahn-Anlagen zu betreten. Hausverbote zielen auch gar nicht darauf ab. Wer aber wiederholt in Bahn oder auf dem Bahnhof pöbelt oder ausrastet und damit das Interesse der Bundespolizei weckt, kann sich darauf einstellen, zusätzlich von der Bahn auch eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs zu bekommen und damit vor Gericht eine härtere Bestrafung erwarten.

Welche Strafen drohen den Tätern?

Bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, also etwa gegen Polizisten, greift Paragraf 113 des Strafgesetzbuchs. In besonders schweren Fällen drohen bis zu fünf Jahre Haft. Bestraft wird auch, "wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert oder sie dabei tätlich angreift", heißt es seit einer Änderung von 2011 im Strafgesetzbuch. (dae/WE, mit Material von dpa)