Mainz. „Tiefe Wunden“: Ein dunkler Nele-Neuhaus-Krimi im Milieu der Reichen, der sich lohnt – Starke Schauspieler, gute Geschichte (Montagabend um 20.15 Uhr im ZDF).

Nazis sind als zeitlose Abziehbilder des Bösen längst im Kasperle-Theater der Pop-Kultur angekommen. Kann ein klassischer Unterhaltungskrimi wie „Tiefe Wunden“ aus der höchst erfolgreichen Nele-Neuhaus-Reihe da überhaupt noch einen Beitrag zu echtem Geschichtsbewusstsein beitragen? Die Antwort lautet erstaunlicherweise: ja.

Natürlich ist Marcus O. Rosenmüllers Film nach einem Drehbuch von Anna Tebbe kein bebildertes Geschichtsbuch. Dennoch vermittelt er, dass die Last der Geschichte an die nächste Generation weitervererbt wird.

Die Ermittler bleiben blass

Der Krimi beginnt mit einem Rätsel: Ein 92-jähriger Holocaust-Überlebender wird getötet. Bei der Obduktion stellt sich heraus, dass der Jude am Arm eine Blutgruppen-Tätowierung hatte, wie sie SS-Leute trugen. Was steckt dahinter?

Täter- und Motiv-Suche führen das blasse Fahnder-Duo Oliver von Bodenstein (Tim Bergmann) und Pia Kirchhoff (Felicitas Woll) zu der blaublütigen Familie Kaltensee um die Matriarchin Vera (Nicole Heesters). Doch das BKA will den Dorf-Polizisten den Fall abnehmen, weil der Tote amerikanischer Staatsbürger war.

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Mit sanfter Rebellion behaupten die stets lächelnden Taunus-Fahnder gegen ihre bräsige Chefin (Anke Sevenich) und die Bundesbehörde ihre Zuständigkeit. Denn der Mord an dem alten Herrn war nur der Auftakt zu einer Mord-Serie, deren Spuren wieder zu den Kaltensees führt. Der Taunus wird konsequent als reicher, grüner Vorort von Frankfurt vorgeführt, und so schwelgt die Kamera von Stefan Spreer immer wieder in den gediegen eingerichteten Räumen einer begüterten Schicht.

Immerhin ist die Figur von Bodenstein so angelegt, dass sie sich aufgrund ihrer adligen Herkunft in der Welt der oberen Zehntausend so sicher bewegt wie ein Fisch im Wasser. Was ebenfalls für sie spricht: Der Fahnder hat – selten genug in deutschen Krimis – eine funktionierende Familie. Seine Gattin unterstützt ihn als gelernte Journalistin sogar mit eigener Recherche. Genau diese Fotos und Fakten führen von Bodenstein und Kirchhoff zurück nach Ostpreußen vor Flucht und Vertreibung. Aber auch auf der aktuellen Zeitebene gibt es für das Polizei-Duo reichlich zu tun. Dafür sorgt eine Familie, die offenbar nichts aus der NS-Vergangenheit gelernt hat und zudem alles tut, um Mitwisser dunkler Geheimnisse schweigen zu lassen.

Starke Schauspieler

Neben Nicole Heesters, die sich mit ihrer Cruella-de-Vil-Frisur (weiße Haare, schwarze Locke) perfekt als Fürstin der Finsternis eignet, brillieren Manfred Zapatka als leiblicher Sohn und Ernst Stötzner als Adoptiv-Zögling. Als wären die Drei nicht genug, spielen in dem Krimi noch Vera Kaltensees Biograf (Barnaby Metschurat) und ein Restaurator (Uwe Bohm) in dem dunklen Krimi eine wichtige Rolle.

Die trübe Stimmung wird allerdings mit einem Parkinson-Patienten im Altenheim aufgebrochen, der seine Mitbewohner mit lautem Rock’n’Roll beschallt. Didi Hallervorden, der gerade seinen dritten Frühling erlebt, zieht alle Register, um die Ermittlungen auf schräge Weise voranzutreiben. Dass sich an seiner Rolle die Geister scheiden, ist nicht schlimm. Das elfte Gebot lautet: Du solltst nicht langweilen.

Fazit: Clever konstruierter Krimi, der seine Spannung bis zuletzt hält. Solide Verquickung von Geschichte und Gegenwart. Hochkarätig besetzt. Der bisher beste Neuhaus-Fall.

ZDF, 20.15 Uhr