Wien. . Heino Ferch ist im vierten Fall als Kriminalpsychologe Richard Brock zu sehen: „Spuren des Bösen“ ist beklemmend, aber von glänzender Qualität.

Über Schuld referiert er vor seinen Studenten, aber irgendwann muss dieser Richard Brock den Vortrag abbrechen. Eine quälend lange Minute steht der Gelehrte stumm vor seiner Tafel im Hörsaal. Zu tief steckt er selbst im Sumpf der Schuld und droht darin zu versinken. Zum vierten Mal folgt der Wiener Kriminalpsychologe den „Spuren des Bösen“ für 90 Fernsehminuten, und was die Schweden an düsteren Abgründen in ihren Krimis erschaffen, gelingt den Österreichern Andreas Prochaska (Regie) und Martin Ambrosch (Drehbuch) in der Folge „Schande“ mindestens genauso gut.

Wiener Tristesse statt Postkartenherrlichkeit

Heino Ferch gehört zu den Schauspielern, von denen man glaubt, man begegnete ihnen mindestens einmal in der Woche. Aber selbst wenn die Gefahr bestünde, seiner überdrüssig zu werden: Dieser traurige Brock, der durch ein nebliges Wien zieht, das in seiner Tristesse mit der Postkartenherrlichkeit von Prater und Stephansdom nichts gemein hat, ist sein darstellerisches Glanzstück. Ferch spielt ihn mit feinem Minimalismus, ein kluger, besonnener, stiller Mann, der an sich selbst leidet, wenn er der Tochter, einer Polizistin (Sabrina Reiter), sein Leben und seine Gefühle verheimlichen muss.

Brock hat ein Verhältnis mit der Frau seines befreundeten Nachbarn (Dominik Warta), einer Universitätsprofessorin (Maria Köstlinger) und wird von einem Arzt ohne Zulassung (Fritz Karl) mit dem Wissen darum erpresst. Dieser Gerald Pliem, ein elegant gekleideter Mann Ende 40, der noch im schmucken Eigenheim der Mutter (Inge Maux) lebt, verlangt von Brock, dass dieser ihn therapieren soll. Derweil gerät er ins Visier von Brocks Tochter, die den Mord an einem Kunstexperten im Hause ihres Vaters untersucht.

Der Höllenhorror eines Wehrlosen

Wer nach äußerer Handlung fahndet, dem mag es zuweilen etwas zäh vorkommen. Aber Prochaska entschleunigt diesen Film in seltener Radikalität und besinnt sich auf die psychologische Qualität, die er in den Untiefen seiner beiden Hauptfiguren auslotet: Er konzentriert sich auf das kammerspielhafte Duell zwischen Brock und dem unheimlichen Patienten, lässt David Slamas Kamera mit Vorliebe auf den beiden Gesichtern verharren und die Bilder wirken.

Der großartige Fritz Karl, der seine Rollen zu verschlingen pflegt, legt diesen Muttersohn als Gequälten an, der um Erlösung ringt und den Therapeuten mit seiner Schweigepflicht dabei unweigerlich zum Komplizen macht. Der verliert nicht nur Stück für Stück die Kontrolle über die Situation, sondern auch über sich selbst. Prochaska inszeniert den psychedelischen Alptraum Brocks in den Fängen dieses Irren und seiner Mutter als minutenlangen Höllenhorror eines Wehrlosen in milchig blaustichigen Bildern. Da braucht es keine dramatische Aufbauschung, keine laute Musik, um Spannung zu erzeugen. Dieses Seelendrama packt in jeder Minute.

Fazit Nichts vom immer größer werdenden Krimistapel im deutschen Fernsehen: Beklemmendes Wiener Psychokammerspiel in glänzender Qualität.

Montag, 19. Januar, ZDF, 20.15 Uhr