Essen. . Bei Flugausfällen gibt's Entschädigung. Viele Reisende fordern das Geld ein – aber Airlines wimmeln die Ansprüche laut Medienberichten erstmal ab.

Deutsche Flugreisende lassen sich jährlich Hunderte Millionen Euro an Entschädigung durch die Lappen gehen, die ihnen per Gesetz wegen Verspätungen und Flugausfällen eigentlich zustehen – und bessern damit indirekt die Bilanzen der Fluggesellschaften auf. Vielen Fluggästen sei die seit mittlerweile zehn Jahren geltende europäische Fluggastrechte-Verordnung schlichtweg noch immer unbekannt, sagten zahlreiche Branchenexperten übereinstimmend im Gespräch mit dieser Zeitung.

Das Verbraucherportal „Flightright.de“ geht davon aus, dass in Deutschland jährlich 1,3 Millionen Flugpassagiere Anspruch auf 665 Millionen Euro Entschädigung haben. Doch nur ein Bruchteil der Betroffenen mache seine Forderungen geltend. In ganz Europa seien jährlich mehr als 8,8 Millionen Passagiere anspruchsberechtigt. Im Durchschnitt stünden den Verbrauchern 400 Euro an Entschädigung für jeden gestrichenen oder stark verspäteten Flug zu.

Die Meisten kennen ihre Rechte nicht

Die weit verbreitete Unkenntnis der Verbraucher über die Fluggastrechte öffnet den Airlines Tür und Tor, sich um die lästigen Ausgleichszahlungen herumzudrücken – und enorme Summen einzusparen.

Als Ursache für das deutliche Missverhältnis zwischen Anspruch und tatsächlich gezahlter Entschädigung machen Experten denn auch den oft störrischen Umgang der Fluggesellschaften mit ihren Kunden aus. „80 Prozent aller Entschädigungsanfragen werden von vorneherein zurückgewiesen“, heißt es bei „Flightright“. Dass Fluggäste vertröstet werden, eine mangelhafte Auskunft bekommen oder erst gar keine Rückmeldung erhalten, sei gängige Praxis, sagte eine „Flightright“-Sprecherin dieser Zeitung.

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Einem besonders krassen Beispiel dafür, wie deutsche Fluglinien Entschädigungsforderungen aussitzen, ist der WDR auf die Spur gekommen. Ein Reporter des Kölner Senders hatte sich für die am Montag im WDR-Fernsehen ausgestrahlte Reportage „Aufgedeckt – die geheimen Tricks von Air Berlin“ in eine Call-Center-Schulung für Mitarbeiter der zweitgrößten deutschen Airline eingeschleust.

Ergebnis der monatelangen Recherche: Oberstes Ziel der Schulung ist es, die Air-Berlin-Kunden über die ihnen zustehenden Erstattungen und Entschädigungen im Unklaren zu lassen. „Das ist halt auch wieder so eine Form von Beschiss. Das musst du am Anfang klug formulieren“, wurde dem als angehenden Mitarbeiter getarnten WDR-Mann vom Schulungsleiter klar gemacht. Für den Kölner Sender liegt auf der Hand: Kunden von Air Berlin werden gezielt um ihre Ansprüche gebracht. Die Desinformation habe System.

Air Berlin müsste wohl 40 Millionen Euro zahlen

Nach Schätzungen des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes müsste Air Berlin laut WDR knapp 40 Millionen Euro im Jahr an Entschädigungen zahlen. Ein Betrag, der sich empfindlich in den Bilanzen der Fluggesellschaft niederschlagen würde, die für das Geschäftsjahr 2014 ei­nen Rekordverlust von 350 Millionen Euro verkraften muss. Den Passagieren Informationen über Kundenrechte vorzuenthalten, ist denn auch Teil des Sparkurses, den sich die angeschlagene Fluglinie auferlegte. Das jedenfalls will der WDR aus internen Air-Berlin-Quellen erfahren haben.

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Gegenüber unserer Redaktion versuchte Air Berlin am Montag, die vom Sender erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Von einer Systematik, Kunden um ihre Entschädigung zu bringen, könne keine Rede sein, sagte Unternehmenssprecher Aage Dünhaupt. Dennoch werde man nun die kritisierten Abläufe auf mögliche Verbesserungen hin analysieren.

Online-Portale profitieren von Rechtsstreit

Vom Streit um die Fluggastrechte profitiert inzwischen ein ganzer Gewerbezweig. Das Portal „Flightright“ hat seit seiner Gründung 2010 nach eigenen Angaben für über 100 000 Fluggäste insgesamt 40 Millionen Euro an Entschädigungen erstritten. Das Unternehmen beschäftigt in Potsdam 70 Mitarbeiter. Konkurrent „FairPlane“ will seit 2013 mehr als zwei Drittel seiner 30 000 Kunden zu ihrem Recht und Geld verholfen haben. Beide Verbraucherdienste leben von anfallenden Erfolgsprämien.