Straßburg. . Seit sieben Jahren liegt Vincent Lambert im Wachkoma. Seine Frau will die lebenserhaltenden Maschinen abschalten, seine Eltern sind dagegen. Jetzt soll der EUGH entscheiden.

Er kann seine Augen bewegen. Das sieht man. Er spürt Schmerzen. Das glaubt man zumindest. Ansonsten kann Vincent Lambert kaum etwas, seit er vor sieben Jahren nach einem Verkehrsunfall ins Wachkoma fiel. Seine Frau und seine Ärzte möchten die Maschinen, die den heute 39-Jährigen seitdem am Leben erhalten, abschalten. Seine Eltern wollen das nicht. Es ist ein Fall, der die Diskussion um Sterbehilfe in Frankreich immer wieder neu entfacht. Denn schon mehrfach hat er die Justiz dort beschäftigt. Seit gestern befasst sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Vincent Lambert.

In Frankreich kennt ihn fast jeder. Dort hat er mittlerweile sogar einen Eintrag bei Wikipedia. Lambert weiß das alles nicht. 32 Jahre ist er, da hat er einen Motorradunfall, erleidet eine Querschnittslähmung und schwere Schädelverletzungen. Der Krankenpfleger fällt in ein Koma, aus dem er nach Einschätzung seiner Ärzte in Reims nie wieder zurückkehren wird. „Minimal-bewussten Zustand“ nennen Mediziner so etwas. Ohne die Magensonde, die ihn künstlich ernährt, wäre der Vater einer Tochter längst gestorben.

Das wäre zumindest nach Aussage seiner Frau Rachel ganz in seinem Sinn. Vincent, sagt sie seit Jahren, habe sich ihr gegenüber immer wieder erklärt, er sei gegen lebensverlängernde Maßnahmen, wenn es keine Hoffnung auf Genesung mehr gebe. Eine Patientenverfügung allerdings hat ihr Mann nie abgefasst.

In erster Instanz Recht bekommen

Vor gut einem Jahr beschließt Rachel, die Maschinen abschalten zu lassen. Unterstützt wird sie dabei von Chefarzt Eric Kariger, nach eigener Aussage „bekennender Katholik“. Vor Journalisten sprach er damals davon, die „Grenzen der medizinischen Wissenschaft“ anzuerkennen und davon, „Vincent Lambert von uns gehen zu lassen, ohne den Tag und die Stunde seines Todes bestimmen zu wollen.“

„Passive Sterbehilfe“ nennt das Gesetz so etwas. Vincents Mutter nennt es „Euthanasie“. Schließlich sei ihr Sohn nicht „unheilbar krank“, sondern „schwerstbehindert“. Und das vielleicht nicht mal für immer. Er sende ihr „Zeichen“, bewege ein Bein, wende ihr das Gesicht zu, sagt sie. „Reine Körperreflexe“ sagen die Ärzte und ersticken jede Hoffnung auf Besserung im Keim.

Was Lamberts Eltern, unterstützt von zwei seiner acht Geschwister, nicht davon abhält, vor Gericht zu ziehen. In der ersten Instanz bekommen sie Recht, in der zweiten siegt die Ehefrau. Die Magensonde ist schon entfernt, da schaltet sich der von den Eltern angerufene Europäische Menschenrechtsgerichtshof mit einem Eilentscheid ein und ordnet an: Vincent Lambert darf nicht sterben. Erstmals setzen sich Richter über eine medizinische Entscheidung der Sterbehilfe hinweg.

Entscheidung kann dauern

Seit gestern nun läuft die Anhörung am EGMR . Schon im Vorfeld zeigt sich einmal mehr der Riss, der durch die Familie Lambert wie durch das Land geht. Der 38-Jährige sei nicht bei Bewusstsein, er habe keinen Willen mehr, sagt Madeleine Munier-Apaire, Anwältin der Ehefrau. Und niemand, auch nicht die Eltern, könnten über das Leben eines anderen Menschen entscheiden. Auch Kranke in einem vegetativen Zustand seien menschliche Wesen, deren Rechte geachtet werden müssten, hält Jean Paillot, Rechtsvertreter der Eltern, dagegen. Die Einstellung der künstlichen Ernährung käme einem Todesurteil gleich.

Bis zu vier Wochen kann die Anhörung dauern. Erst dann steht fest, ob Vincent Lambert sterben darf oder weiterleben muss.