Berlin. .

Kaum spürbar kriecht 2012 der Horror ins Leben von Mary Scherpe (32). Ein paar Mails, Briefe, Kommentare auf ihrem Modeblog. Erst nach und nach wird der Berliner Bloggerin klar: Sie hat einen Stalker – jemanden, der sie verfolgt. „Ich habe das am Anfang gar nicht ernst genommen“, sagt sie im Rückblick. „Ich dachte: Das hört schon auf. Ich darf mir nichts anmerken lassen.“

Aber es hörte nicht auf. Es wurde schlimmer. Anrufe mitten in der Nacht. Fiese SMS. Täglich Päckchen mit Dingen, die sie nie bestellt hatte. Und alle Aktionen des Stalkers hatten dasselbe Ziel: „Er wollte, dass ich mich schlecht fühle, unzulänglich. Er wollte mich verunsichern und mir die Selbstsicherheit nehmen.“ Einmal schrieb er eine Mail im Namen einer erfundenen Berliner Modegruppe: Sie hätten sich gegen Mary Scherpe verbündet, weil sie keine Ahnung von Mode habe und ihre Arbeit schlecht mache.

Und niemand half – Mary Scherpe fühlte sich alleingelassen. „Ich hatte die Hoffnung, dass die Polizei was dagegen tut“, sagt sie. Die Enttäuschung war riesig, als sie das nicht tat.

Dabei gab sie den Beamten einen Namen: „Ich bin mir zu 99 Prozent sicher, dass der Stalker ein Ex-Freund von mir ist“, meint Scherpe. Eine kurze Beziehung, und lange her. Aber beweisen kann sie es nicht. Sie kann nur ihre eigenen Rückschlüsse ziehen: Anfangs habe er ihr offen nachgestellt. Als sie ihn bat, das zu lassen, fingen die anonymen Nachstellungen an.

Dann, nach einem leidvollen Jahr, nahm Mary Scherpe die Sache selbst in die Hand. Nicht mit plumper Selbstjustiz, sondern (entgegen aller Expertentipps) mit Öffentlichkeit. „Ich musste einfach was tun. Ich hatte das Gefühl, die ganze Zeit nur Brände zu löschen. Das war so unfair“, sagt sie. Sie startete ein Blog, postete Päckchen, Briefe, SMS des Stalkers, schrieb sogar ein Buch („An jedem einzelnen Tag – Mein Leben mit einem Stalker“). Sie drehte den Spieß um: Nun stand er im Fokus. Nicht sie.

Das half. Seit der Ankündigung, das Buch zu schreiben, gab es keine Angriffe mehr. Kein Anruf, keine Mail. Das war im Sommer. „Das ist nicht lange“, weiß Scherpe. Kurze Pausen hatte ihr der Stalker vorher schon gegönnt, zum Beispiel nach der Drohung, seinen Namen bei der Polizei anzugeben. Damals ließ er sie zwei Wochen lang in Ruhe. Aber sie denkt nicht darüber nach, ob es wieder anfängt: „Das liegt ja nicht in meiner Hand.“

Petition übergeben – Justizminister Maas macht Hoffnung

„Der Polizei sind die Hände gebunden“, weiß Mary Scherpe heute: Sie nimmt den Fall auf, reicht ihn an die Staatsanwaltschaft weiter – und die entscheidet, ob die Voraussetzung für strafbares Stalking erfüllt ist. Dafür braucht es viel. Einen Umzug zum Beispiel. Bei Mary Scherpe war das nicht der Fall. Deshalb ging sie wieder in die Offensive, startete eine Online-Petition für eine Änderung des Stalking-Paragrafen. Stalkingopfer sollen einfacher klagen können – und nicht erst beweisen müssen, dass die Nachstellungen eine „schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung“ darstellen.

Am Mittwochmittag hat Mary Scherpe die Unterstützerliste (über 80 000 Unterschriften) in Berlin an Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) übergeben. „Er hat Unterstützung signalisiert“, sagt sie zuversichtlich. „Es ist schön, endlich ernst genommen zu werden.“ Jetzt hofft sie, dass der Minister seine Ankündigung in die Tat umsetzt: Das Gesetz sei in Prüfung, sagt er. Schon Anfang 2015 solle eine Gesetzesänderung vorliegen.