Menden. Borussia Dortmund steht mit Edin Terzic vor dem Titel in der Fußball-Bundesliga. Wir begeben uns in seiner Heimatstadt Menden auf Spurensuche.
Der Mann, der da nahe eines stillgelegten Fußballplatzes im Nirgendwo von Menden steht, hat Schneid, das muss man ihm lassen. Er sieht völlig normal aus, nicht wie jemand, der in Verachtung der Nachrichtenwelt lebt. „Terzic?“, fragt er mit irritiertem Blick. „Muss man den kennen?“
Einatmen.
Ausatmen.
Entspannen.
Jetzt mal Klartext: Ja, sicher musst du den kennen. Edin Terzic, Trainer von Borussia Dortmund, Tabellenführer der Fußball-Bundesliga. Und am Samstag mit einem Sieg am letzten Spieltag gegen den FSV Mainz 05: Meistertrainer des BVB. Wie Hitzfeld. Wie Klopp. Wie Sammer. Legendenstatus voraus. Geboren in? Genau: Menden.
Klingelt’s, Kollege? „Ach so der“, sagt der Kerl: „Nee, ich komme aus einer Schalke-Familie.“
Herrje.
Gisbert-Kranz-Stadion heißt der Fußballplatz, auf dem schon lange keiner mehr gespielt hat: Gräser und Disteln wachsen dort durch die rote Asche, auf der der kleine Edin kicken lernte. Vier oder fünf war er damals. BSV Menden. F-Junioren, weil es keine Minikicker gab. Das stabile blassgrüne Eingangstor liegt aus den Angeln gehoben auf dem Boden.
Auf Spurensuche des möglichen Meistertrainers aus dem Sauerland. Eine Stadt im Ausnahmezustand? Joa, geht.
Einen Steinwurf weit ist es von dem Platz bis in die Straße, in der die Familie Terzic damals lebte. „Der hat da vorne gewohnt“, sagt ein Mann und zeigt auf ein Mehrfamilienhaus. Er hat tatsächlich zwei Karten für das Saisonfinale am Samstag ergattert. „Paar Kanäle angezapft“, sagt er, als wäre es nichts. „Aber gesehen habe ich den Terzic eigentlich nie. Wir haben als Nachbarn so aneinander vorbeigelebt. Aber ich gönne ihm den Erfolg natürlich.“ Immerhin.
In seinem Rücken steht ein Ford. KfZ-Kennzeichen mit BVB-Aufdruck. Buchstabenkombination: TM. Eine Chiffre: Terzic Meister!
Den Berg hinauf liegt Terzics alte Schule. Zwei Jogger passieren sie. Halt, Stopp, kennen Sie Edin Terzic? Verächtliches Lachen, beide Dortmund-Fans. „Wir hoffen, dass der BVB es packt – und die Vincenzkirche dann in Edin-Terzic-Kirche umbenannt wird.“ Er lacht, weil er weiß, dass das Frevel wäre und nicht passieren wird: „Oder wenigstens die Kirmes könnte dann seinen Namen tragen.“
Die Eingangstür von Terzics früherer Schule quietscht wie das eines Geisterschlosses. 2002 hat er Abi gemacht. In einem Buch über die Schule ist ein Bild von Terzic. Schwarz-Weiß. Schwarz-Gelb kam später. Klasse 8c, c wie Champion, erste Reihe, keiner sitzt breitbeiniger als er. Aber: Er nimmt niemandem den Raum. Hobbypsychologisch betrachtet: Selbstbewusst ist er, aber nicht auf Kosten anderer.
Eintrag ins goldene Buch
Manches in der Schule ist noch genau wie früher: Flure mit abgewetztem Teppich, Türrahmen mit abgesplitterter Farbe, hinter einer der Türen: ein Raum für Konfliktmanagement. Auf einer Tafel ist ein Zettel befestigt, auf dem steht: „Ich werde beim Fußball nicht eingesetzt“. Ist Marco Reus zuletzt in Menden gesehen worden?
Neulich war Terzic mal wieder in Menden: Eintrag insgoldene Buch der Stadt. „Das ist nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie eine besondere Ehre. Wir haben uns vor ein paar Jahren nicht vorgestellt, dass es mal so einen Weg in meinem Leben geben wird“, hat er damals gesagt: „Ich bin sehr dankbar und glücklich aus Menden zu kommen und auch häufig noch hier zu sein.“
Zur Kirmes zum Beispiel, die an diesem Wochenende wieder stattfindet wird. Ausnahmezustand bedeutet das für die Stadt, zehntausende Besucher. „Auf der Kirmes hab ich ihn mal getroffen, letztes Jahr glaube ich“, sagt ein Jüngling, der gerade aus der Schule kommt. „Wir haben ein Foto gemacht. Ich habe ihm erzählt, dass ich Schalke-Fan bin. Das sind die falschen Farben, hat er gesagt. Er war nett, ganz normal.“
The Normal One – so hat sich Dortmunds früherer Meister-Trainer Jürgen Klopp bei seinem Amtsantritt in Liverpool vorgestellt. Terzic ist der legitime Nachfolger. Der, der dem unerreichten Klopp am nächsten kommt, weil er es versteht, Schwarz und Gelb zu vereinen. Jedes Jahr hat er sich als Kind das neue BVB-Trikot gewünscht, als Jugendlicher schon war er mit der Dauerkarte immer im Stadion.
Toni duzt dich sofort, egal, ob du ein Fremder bist oder nicht. Toni ist der Wirt der Mendener Mühle, einem Lokal in der Innenstadt, in dem am Samstag das Spiel übertragen wird. Die Bude wird voll sein, sagt er, wegen der Kirmes, aber auch wegen Fußball. „Unser Mendener Junge trainiert den Deutschen Meister – das wäre was“, sagt er. Er kennt ihn nicht persönlich, aber wie fremd kann einem der Mann aus der eigenen Stadt schon sein, wenn man eh keine Fremden kennt? „Er macht hervorragende Arbeit. Ein toller Junge. Wir schwören auf den. Wir sind stolz auf ihn, dass er soweit gekommen ist, dass wir nun Meister werden können.“
Menden wird Meister – vielleicht. Aber es ist nicht direkt der Fußball-Ausnahmezustand, der die Stadt prägt. Keine Fahne zu sehen, im Sportladen gibt es nicht einmal ein BVB-Trikot, in der Eisdiele keinen Eisbecher Edin und beim Bäcker keine Terzic-Torte. Sauerländer Bescheidenheit halt.
Nette Leute, bodenständig
„Ich hab mit ihm früher zusammengespielt“, sagt Gino Fiore und merkt selbst, dass er etwas zurückrudern muss: einmal zusammengespielt. Fiore wurde als B-Jugendlicher bei SF Oestrich-Iserlohn in die A-Jugend hochgezogen, in der Terzic spielte. „Ich kannte den Bruder besser“, sagt Fiore. Alen Terzic war jahrelang Trainer von Borussia Dröschede.
Am Samstag wird Fiore dem Papa in der Kneipe helfen: „Am Dicken Baum“ zeigt den BVB auch live. Und die Bilder, die Terzic dann produziert. „Sehr nette Leute, bodenständig, nicht abgehoben“, sagt Fiore: „Der Edin hat hier in der Stadt keinen auf Gangster gemacht.“
Und trotzdem könnte er nun hergehen und dem großen FC Bayern München das sicher geglaubte Silber stehlen. Das wär’ was.