Wir drohen es zu vermasseln: Das Virus breitet sich möglicherweise wieder in der Fläche aus. Die Landespolitik muss nun heftig die Bremse ziehen.

Ein Stückchen Ballermann ist inzwischen überall angekommen, in Bochum, Bottrop und anderswo: auf unseren Straßen, in den Bars und Kneipen, aber auch bei manchen zu Hause, wo man sich wieder mit vielen Leuten trifft, mit ihnen trinkt, feiert – und nach dem fünften Bier das Wort „Abstand“ nicht einmal mehr buchstabieren kann. Der Ballermann ist zu einem Synonym geworden für die um sich greifende Sorglosigkeit. Die gibt es im Großen, aber auch im Kleinen.

Wenn im Supermarkt einige Zeitgenossen den Mund-Nasen-Schutz unterhalb der Nase tragen, was ihn praktisch wirkungslos macht, dann signalisiert das zuweilen ein ebenso genervtes wie – im Wortsinne – hochnäsiges „Ihr-könnt-mich-Mal“. Mit anderen Worten: Wir sind womöglich gerade dabei, es zu vermasseln, das mit dem Hintern einzureißen, was wir uns im Umgang mit der Pandemie an Erfolgen in den vergangenen Wochen teuer erkauft und erarbeitet haben.

Gerät die Pandemie außer Kontrolle, droht die Katastrophe

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Nein, die Zahl der Toten steigt bundesweit noch nicht signifikant an. Es sind derweil nur die gemeldeten Infektionszahlen, die Besorgnis auslösen. Und ja, das kann auch an der erhöhten Zahl der Tests liegen. Dennoch klingeln bei allen Experten die Alarmglocken. Anders als in den Wochen zuvor, wo sich Hotspots eingrenzen ließen, schlägt das Virus jetzt in der Fläche zu. Richtig gefährlich wird es dann, wenn sich Infektionsketten nicht mehr zurückverfolgen lassen. Dann gerät die Pandemie auch in Deutschland wieder außer Kontrolle; es droht die Überlastung des Gesundheitssystems und in der Folge die erneute Schließung von Schulen, Geschäften und Betrieben. Es wäre eine Katastrophe.

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Von Michael Backfisch, Klaus Ehringfeld und Adelheid Wölfl

Gefordert sind nun vor allem jene Landespolitiker, die mit ihrer teilweise forschen und unkoordinierten Öffnungspolitik leider die Voraussetzungen für eine zweite Welle geschaffen haben. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass die Bedrohung kleiner schien als sie war und ist. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der für seine libertäre Politik in allen Umfragen zurecht abgestraft wurde, könnte sich nun einmal im positiven Sinne an die Spitze der Bewegung stellen und mutig das Ruder herumreißen.

Die Regeln müssen wieder verschärft werden

Im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, etwa mit Blick auf die Aerosole in Innenräumen, müssten die Regeln für Feiern und andere Zusammenkünfte von Menschen neu justiert, im Klartext: verschärft werden, inklusive entsprechender Strafen. Gutes Zureden allein prallt an den „Ballermännern“ unter uns ab. Mindestens ebenso wichtig ist eine adäquate technische Ausstattung der Gesundheitsämter. Dass es hier noch immer an einer guten digitalen Infrastruktur mangelt, ist fast schon skandalös.

Laschets Bestreben ist es doch, CDU-Bundesvorsitzender und in der Folge Bundeskanzler zu werden, sich also vom Landes- zum Bundespolitiker und Staatsmann von Welt zu wandeln. Dann möge er bitte jetzt das provinzielle Klein-Klein beenden und sich für eine nationale, bundesweit abgestimmte Strategie zur Vermeidung der zweiten Welle einsetzen.

Noch reagiert bei uns die Vernunft

Noch ist es nicht zu spät. Noch können wir stolz sein auf das Erreichte. Noch hat die Vernunft eine gewichtige Stimme. Wäre es anders, würden etwa Leute wie AfD-Chef Jörg Meuthen regieren, der im WAZ-Interview das Virus mal wieder kleingeredet hat, so wie es die Rechtspopulisten überall auf der Welt tun, dann hätten wir vielleicht jetzt schon Verhältnisse wie in den USA. Gehen wir also den nächsten vernünftigen Schritt und entballermannisieren wir die Republik.