Rotterdam/Köln. Niederländische Mocro-Mafia breitet sich in Deutschland aus. Die Kriminellen gehen besonders brutal vor. Warum Gewalt in NRW eskaliert.
- Eine beispiellose Serie von Explosionen, Entführungen und Schießereien versetzt das Rheinland in Schrecken
- Dahinter steckt die niederländische Mocro-Mafia
- Die Gangsterorganisation übernimmt die Unterwelt in NRW
- Die Polizei versucht, den Vormarsch zu stoppen
In Köln zittern sie vorm nächsten Anschlag. Seit Monaten erschüttert eine beispiellose Serie von Explosionen die Millionenstadt. Mehr als 60 Ermittler arbeiten an der Aufklärung der Taten, die neben Köln ebenso aus Duisburg und Engelskirchen gemeldet wurden.
Auch bei Schüssen, die Unbekannte Ende September auf die Wohnungstür eines Mehrfamilienhauses in Solingen abgaben, sieht die Polizei Bezüge zur Explosionsserie. Sie geht nach eigenen Angaben davon aus, dass die Schüsse eigentlich einem Menschen galten, der mit den Explosionen zu tun hat – und dass die Täter sich in der Tür irrten. „Es gibt offensichtlich im Milieu offene Rechnungen, die noch beglichen werden“, sagt Kölns Kripo-Chef Michael Esser.
In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Begriff „Mocro-Mafia“. Wer steckt dahinter? Antworten auf die fünf drängendsten Fragen.
1. Was hat die Mocro-Mafia in NRW vor?
Seit Juni versetzen die Kriminellen das Bundesland in Angst und Schrecken. Mindestens elf Sprengstoffanschläge, zwei Schießereien sowie zwei Entführungen gehen womöglich auf das Konto der Mocro-Mafiosi.
„Ich verstehe die Sorgen über bestimmte Formen von Kriminalität und leider kennen wir diese auch in den Niederlanden“, räumt Ronald van Roeden, der scheidende Botschafter in Deutschland, im Gespräch mit dieser Redaktion ein. „Man muss sich fragen: Warum sind diese Kriminellen in Deutschland aktiv?“
Weil sie offenbar die deutsche Unterwelt übernehmen wollen – und weil sie übers Ohr gehauen wurden. Zu den Entführungen war es gekommen, nachdem im Sommer mutmaßlich bewaffnete Angreifer Drogen im Millionenwert aus einer Lagerhalle in Hürth bei Köln geraubt hatten. Die schätzungsweise 300 Kilogramm Marihuana gehörten den Niederländern. Sie entführten daraufhin einen Mann und eine Frau, die laut Polizei einem kriminellen libanesischen Clan angehörten, der die Drogen gestohlen haben soll.
Das Paar wurde in eine angemietete Villa in Köln-Rodenkirchen gebracht und dort gequält. Die Entführer schickten Foltervideos an die Angehörigen – um sie zur Herausgabe der Drogen zu zwingen. Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) befreite die Geiseln schließlich..
2. Wie geht die Mocro-Mafia vor?
Sie setzt auf erbarmungslosen Terror, um Gegner einzuschüchtern. Äußerste Brutalität und gezielte Sprengungen gelten als Handschrift der niederländischen Kriminellen. Kripo-Chef Esser spricht von einer „neuen Dimension der Gewalt im Bereich der organisierten Kriminalität“.
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Was auf Deutschland zukommen könnte, zeigt ein Blick in die Niederlande. Dort berichteten Medien etwa von einem abgehackten Kopf vor einer Shishabar zur Abschreckung von Gegnern. Besondere Aufmerksamkeit erregte ein zum Folterplatz umgebauter Zahnarztstuhl, den die Polizei 2020 entdeckte. Er verfügte über Riemen zum Festschnallen der Arme, außerdem fanden die Beamten Quälinstrumente wie Heckenscheren, Zangen, Bohrer, chirurgische Instrumente und auch Klemmen, um einzelne Finger zu fixieren. Der Stuhl stand in einem zur Folterkammer umgebauten Seecontainer bei Rotterdam.
3. Woher kommt der Begriff Mocro-Mafia?
„Mocro“ ist in den Niederlanden ein umgangssprachliches Wort für Marokkaner. Der Begriff hat sich dort zu einem Synonym für organisierte Drogenkriminalität im großen Stil entwickelt. Aus dem nordafrikanischen Land kommen seit Jahrzehnten Container voller Haschisch für den europäischen Markt in die wichtigen Seehäfen in Rotterdam und im belgischen Antwerpen.
Die Mafia agiere vor allem im Großraum Amsterdam sowie in Utrecht, heißt es seitens der Polizei. Die Mocro-Mafia bestehe jedoch nicht nur aus Marokkanern, sagt der renommierte niederländische Kriminologe Cyrille Fijnaut und zieht einen Vergleich zum Fußball: „Die kriminelle Welt in den Niederlanden ist genauso multikulturell wie die Oranje-Elf.“
4. Wie ist die Mocro-Mafia organisiert?
Die niederländische Mafia sei, anders als der Name es vermuten lässt, keine feste Gruppierung, sagt Fijnaut, emeritierter Professor für Strafrecht und Kriminologie. „Es ist nicht so, dass die Drogenkriminalität in den Niederlanden in der Hand einiger großer Bosse ist. Die Polizei würde sich das wünschen, denn dann könnte man viel einfacher dagegen vorgehen, aber so ist es eben nicht.“ Der Drogenhandel werde vielmehr von vielen verschiedenen kriminellen Banden organisiert. Sie arbeiten oft zusammen, liefern sich aber in Streitfällen blutige Auseinandersetzungen.
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Was die Drogenkriminalität kennzeichne, seien zahlreiche Konflikte zwischen den Gruppen – ähnlich wie es jetzt offenbar in NRW der Fall ist. 2012 begann der Drogenkrieg zwischen rivalisierenden Banden bei unseren Nachbarn im Westen so richtig, weil eine Lieferung Kokain im Hafen von Antwerpen erwartet wurde und nie ankam. „Diese Welt ist voller Konflikte – und seit etwa zehn Jahren werden diese in zunehmendem Maße mit Waffengewalt ausgetragen“, erläutert Fijnaut. Pro Jahr würden etwa zehn bis 20 Menschen „liquidiert“.
Das prominenteste Opfer war der Fernsehjournalist Peter R. de Vries. Der 64-Jährige wurde 2021 in Amsterdam auf offener Straße erschossen, als er aus einem TV-Studio kam. De Vries galt als Vertrauensperson eines Kronzeugen, der im Tausch für Strafminderung gegen den berüchtigten Kriminellen Ridouan Taghi (46) aussagen sollte. Zuvor waren bereits ein Anwalt dieses Kronzeugen und sein Bruder ermordet worden. Die Mafiosi schreckten nicht einmal davor zurück, die Entführung des damaligen Ministerpräsidenten Mark Rutte (57) und von Kronprinzessin Amalia (20) zu planen. Die Königstochter verließ vorübergehend das Land und studierte ein Jahr in Madrid.
5. Wie geht die deutsche Polizei gegen die Mocro-Mafia vor?
Die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Die Kölner Polizei geht davon aus, dass die Täter eigens an- und nach den Taten sofort wieder ausreisen. Die neu eingeführten deutschen Grenzkontrollen schrecken sie offenbar nicht ab. „Kriminelle lassen sich von einer Grenze nicht aufhalten“, sagt Botschafter van Roeden. Neue Formen von Kriminalität müssten deutsche und niederländische Polizeistellen „gemeinsam bekämpfen“. Gleiches fordert ein Report der Polizeibehörde Europol.
Laut Michael Mertens, NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei, ist die niederländische Drogenmafia „längst hier“ und sehe NRW „als Verkehrsdrehscheibe“. „Das sind wirklich Täter von äußerster Brutalität. Und deshalb muss die Polizei entsprechend stark aufgestellt sein“, klagt Mertens. Kriminologe Fijnaut rät der deutschen Polizei: Sie solle die Strafverfolgung nicht lokalen Polizeibehörden überlassen, sondern auf nationaler Ebene koordinieren, etwa über das Bundeskriminalamt.
Ein Grund für die schleppenden Ermittlungen ist, dass sich sowohl die in Untersuchungshaft sitzenden Verdächtigen als auch die Opfer mit Informationen zurückhalten. Sie seien „im eigenen Interesse nicht darum bemüht, in Vernehmungen die Karten offen auf den Tisch zu legen“, so Kripo-Chef Esser. Vermutlich befürchten sie Racheakte. In den Niederlanden gibt es für dieses Phänomen die drohende Formulierung „wie praat, die gaat“ – wer redet, der geht.