Gut eine Woche nach einem weitgehend unbemerkten Beschluss des Bundestages laufen Datenschützer und Opposition Sturm gegen das neue Meldegesetz. Hauptkritikpunkt ist der vorgesehene Zugriff der Privatwirtschaft auf staatliche Daten. SPD, Grüne und Linkspartei wollen die Neuregelung im Bundesrat stoppen. Auch Verbraucherministerin Ilse Aigner machte Vorbehalte deutlich.

Berlin (dapd). Gut eine Woche nach einem weitgehend unbemerkten Beschluss des Bundestages laufen Datenschützer und Opposition Sturm gegen das neue Meldegesetz. Hauptkritikpunkt ist der vorgesehene Zugriff der Privatwirtschaft auf staatliche Daten. SPD, Grüne und Linkspartei wollen die Neuregelung im Bundesrat stoppen. Auch Verbraucherministerin Ilse Aigner machte Vorbehalte deutlich.

"Nach dem Beschluss des Bundestags sehe ich hier noch Diskussionsbedarf", sagte die CSU-Politikerin der "Berliner Zeitung". Im Entwurf der Bundesregierung sei aus guten Gründen eine Einwilligungslösung vorgesehen gewesen.

"Das heißt: Die Verbraucher müssen ausdrücklich zustimmen, bevor ihre persönlichen Daten von einer Meldebehörde zu Werbezwecken weitergegeben werden. Diese Einwilligungslösung halte ich nach wie vor für den besseren Weg", erläuterte die Ministerin. Der Bundestag hatte statt dessen eine Widerspruchslösung beschlossen. "Klar ist: Ein Gesetz ist erst abgeschlossen, wenn nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat zugestimmt hat", stellte Aigner klar.

Beschluss nach Anpfiff

Das Parlament hatte die "Fortentwicklung des Meldewesens" am 28. Juni mit den Stimmen von Schwarz-Gelb verabschiedet. Fünf Minuten zuvor war am Abend das EM-Halbfinalspiel Deutschland-Italien angepfiffen worden, nur wenige Abgeordnete saßen im Plenum, die Reden wurden zu Protokoll gegeben. Die Neuregelungen würden es Einwohnermeldeämtern erlauben, persönliche Daten von Bürgern an Firmen und Adresshändler weiterzugeben. Die Länderkammer will im Herbst über das zustimmungspflichtige Gesetz beraten.

"Die SPD wird dieses Gesetz im Bundesrat aufhalten", kündigte Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann am Sonntag in Berlin an. Ohne ausdrückliche Einwilligung dürfe es keine Weitergabe von persönlichen Daten geben. "Mit dem neuen Melderecht ist die Koalition vor dem Adresshandel in die Knie gegangen", sagte der SPD-Politiker und kritisierte: "Das ist ein besonders ärgerlicher Fall von schwarz-gelber Klientelpolitik".

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hatte das Gesetz bereits am vergangenen Donnerstag als "gefährlichen Unsinn" bezeichnet. Er "wundere" sich "ein bisschen, dass der öffentliche Aufschrei der Empörung bislang ausgeblieben ist", fügte er damals in einem Facebook-Eintrag hinzu.

Auch Rheinland-Pfalz will nicht zustimmen

Die rot-grüne Landesregierung von Rheinland-Pfalz will dem Gesetz nicht zustimmen. Zwar gebe es noch keinen Beschluss im Kabinett, sagte ein Sprecher des Innenministeriums der Nachrichtenagentur dapd. "Im Zweifelsfall" werde es über eine mögliche Blockade Gespräche mit anderen Bundesländern geben.

Auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte: "Mal wieder bedient Schwarz-Gelb eine Klientelgruppe und deren Profitinteressen und stellt den allgemeinen Daten- und Verbraucherschutz hinten an." Wer ein solches Gesetz durchgehen lasse, könne nicht ernsthaft - zum Beispiel bei Facebook - auf dem Prinzip der Einwilligung zur Datenweitergabe bestehen. Nun müssten die Länder retten, was Verbraucherministerin Aigner versäumt habe.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, sagte voraus: "Das Melderechtsgesetz wird den Bundesrat so nicht passieren."

Die Linke-Innenexpertin Petra Pau kritisierte ebenfalls: "Der Ausverkauf des Datenschutzes geht weiter. Und das mit Zustimmung der FDP, die sich selbst als freiheitlich und demokratisch rühmt." Auch Linke-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn forderte die Bundesländer auf, das Gesetz zu stoppen.

"Gesetzlicher Wahnsinn"

Thilo Weichert, der Leiter des unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein, sprach gar von "gesetzlichem Wahnsinn". Das neue Recht ermögliche "den privaten Handel mit vom Staat zwangsweise erhobenen Daten in großem Stil", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri bezeichnete den Zugriff auf staatliche Daten als "unsäglich".

Die Kritik entzündete sich an Paragraf 44 des neuen Bundesmeldegesetzes, das nach der Föderalismusreform die bisherigen Landes- und Bundesregelungen zusammenfasst. Der Paragraf ermöglicht es Adresshändlern, Inkassofirmen oder der Werbewirtschaft, umfassend Daten aus den amtlichen Registern abzugreifen.

dapd