Stuttgart. Die Eltern des Amokschützen von Winnenden haben sich in einem offenen Brief für die Tat ihres Sohnes entschuldigt und den Angehörigen der Opfer ihr Beileid ausgesprochen. "Wir sind bestürzt und stehen weinend und stumm vor der unfassbaren Tragödie", heißt es darin.
Knapp eine Woche nach dem Amoklauf von Winnenden hat sich die Familie des 17-jährigen Täters erstmals offiziell geäußert und den Opfern ihr Mitgefühl ausgesprochen. In einem offenen Brief, der vom Anwalt der Familie aus Leutenbach (Rems-Murr-Kreis) am Dienstag in Stuttgart verbreitet wurde, hieß es:
«Ihnen wurde das Wertvollste und Wichtigste, ein geliebter Mensch, durch die entsetzliche und unbegreifbare Tat unseres Sohnes und Bruders, genommen. Immer und immer wieder fragen wir uns, wieso dies geschehen konnte. Warum wir seine Verzweiflung und seinen Hass nicht bemerkt haben. Bis zu dem furchtbaren Geschehen waren auch wir eine ganz normale Familie. Wir hätten Tim so etwas nie zugetraut und kannten ihn anders.
"Wir stehen stumm vor der unfassbaren Tragödie"
Wir sind bestürzt und stehen weinend und stumm vor der unfassbaren Tragödie. Unser tiefstes Mitgefühl möchten wir den Opfern, Angehörigen und Freunden aussprechen. Alle unsere Gedanken sind auch bei den körperlich und seelisch Verletzten.» Tim Kretschmer hatte am vergangenen Mittwoch bei einem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen 15 Menschen und anschließend sich selbst getötet.
Unterdessen ist noch unklar, ob an der Albertville-Realschule, wo der Amoklauf des 17-Jährigen begann, je wieder Unterricht stattfinden kann. «Das kann man heute noch nicht abschließend sagen», sagte Kultusminister Helmut Rau (CDU). Vorrang habe nun «die Aufarbeitung des Geschehenen» mit den Betroffenen.
Oettinger fordert Computerkenntnisse für Eltern
Seit der Tat in Winnenden haben laut Innenminister Heribert Rech (CDU) zahlreiche sogenannte Trittbrettfahrer die Ermittlungen behindert. Bis Sonntag seien alleine 52 Amok-Drohungen für Schulen eingegangen, fünf Täter wurden bereits festgenommen. Die Polizei will nun präventiv verstärkt vorgehen und über die Strafkonsequenzen einer solchen Amokdrohung aufklären.
Unterdessen forderte Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) als Konsequenz aus der Gewalttat von Eltern ausreichend Computerkenntnisse für die Erziehung der Kinder. Wenn sich Kinder mit Rechnern und dem Internet beschäftigten, müssten Eltern sich «soweit auskennen», dass sie ihr Kind dabei «begleiten» und «kontrollieren» könnten, sagte er.
Zentrale Verriegelung von Klassenzimmern
Der Amokläufer Tim K. habe seine «zweite Identität» nicht «fernab des Elternhauses» gepflegt, sondern in seinem Jugendzimmer. Forderungen nach scharfen Zugangskontrollen an Schulen wies Oettinger aber zurück. Justizminister Ulrich Goll (FDP) forderte zum besseren Schutz von Schulen eine zentrale Verriegelung aller Klassenzimmertüren, deren Mechanismus etwa durch ein Lichtzeichen ausgelöst werde.
Bezüglich der Ermittlungen sagte Innenminister Heribert Rech (CDU), die im Internet aufgetauchte Tatandrohung des 17-jährigen Tim Kretschmer sei vermutlich eine Fälschung. «Vieles spricht dafür», sagte er. Allerdings gebe es diesbezüglich noch keine endgültig gesicherten Erkenntnisse.
Amokläufer hat sich per Kopfschuss getötet
Unterdessen wurden am Dienstag weitere Opfer des Amoklaufs beigesetzt. Eine Schülerin sei beerdigt worden, zudem je eine Lehrerin in Schwäbisch Gmünd und Weissach im Tal, sagte ein Polizeisprecher. Wann die Beerdigung des Amokläufers stattfinden wird, ist derzeit noch unklar. Laut vorläufigem Obduktionsergebnis vom Dienstag hat sich der 17-Jährige mit einem Kopfschuss selbst getötet. Es sei ein «Nahschuss» gewesen, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Stuttgart.
Zu der geplanten zentralen Trauerfeier am Samstag in Winnenden erwartet die Landesregierung derzeit bis zu 100 000 Teilnehmer. Am Mittwoch soll um 10 Uhr eine landesweite Schweigeminute abgehalten werden. Oettinger will anschließend im Landtag ein Gedenkwort sprechen.
Vater soll Waffenbesitzkarte entzogen werden
Dem Vater des Amokläufers soll die Waffenbesitzkarte entzogen werden. Das Landratsamt Waiblingen leitete ein Widerrufsverfahren zu der Karte ein, wie die Behörde am Dienstagabend mitteilte. Man zweifele an der Zuverlässigkeit des Mannes. Der Vater des 17-Jährigen hatte die Waffe, die sein Sohn für den Amoklauf am vergangenen Mittwoch benutzte, im Schlafzimmer aufbewahrt. Seine Waffen und Munition wurden von der Polizei sichergestellt.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt zudem gegen den Vater wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, da konkrete Anhaltspunkte vorlägen, dass er Kenntnis von den gesundheitlichen Problemen seines Sohnes hatte. Tim K. soll unter Depressionen gelitten haben. (ddp/ap)