Karin Jansen und Margarete Caspari wundern sich. Solch einen Trubel haben die beiden Rentnerinnen um kurz vor 10.00 Uhr im Zentrum von Mülheim an der Ruhr noch nicht erlebt. Fotografen und Kamerateams drängeln, zwei Dutzend Journalisten umringen die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD).

Mülheim/Bielefeld (dapd-nrw). Karin Jansen und Margarete Caspari wundern sich. Solch einen Trubel haben die beiden Rentnerinnen um kurz vor 10.00 Uhr auf der Wallstraße im Zentrum von Mülheim an der Ruhr noch nicht erlebt. Fotografen und Kamerateams drängeln, zwei Dutzend Journalisten umringen die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD).

"Ich finde die Frau super, sie hat Herz und das bringt sie rüber", sagt Karin Jansen. Ihre Freundin Caspari ist aus einem anderen Grund hier: "Ich will mal schauen, ob der Wowereit so schön ist wie im Fernsehen", sagt die 74-jährige und strahlt. Es ist Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen, die heiße Phase hat begonnen.

"Klaus, komm ma bei mich bei!" ruft Hannelore Kraft ihren Parteifreund aus Berlin im besten Ruhrgebiets-Slang. Die sogenannten roten Biker sind auf dem Kurt-Schumacher-Platz eingetroffen, ein gutes Dutzend Motorradfahrer der Gruppe "Bike Bergwerk Prosper Haniel" aus Gladbeck und Bottrop. Ein Kameramann will, dass sich die Politikerin auf eine der schweren Maschinen setzt. Das nimmt ihr Klaus Wowereit ab. Irgendjemand ruft: "Lasst die Maschinen mal an!". Wahlkampf ist Inszenierung und auch dabei ist Augenmaß wichtig. "Um Gottes Willen nein", fleht ein Mitarbeiter des Wahlkampfteams aus Düsseldorf, "nicht hier in der Fußgängerzone, das kostet uns hier in Mülheim mindestens 1.000 Stimmen."

Die Bühne ist klein, gerade einmal 100 Leute hören der Ministerpräsidentin am Samstagmorgen zu. Stimmung kommt erst auf, als sich Klaus Wowereit verspricht. "Hannelore Kraft muss wieder Regierende Bürgermeisterin werden", sagt er und muss selbst lachen, als er den Fehler bemerkt. "Die Hannelore", wie sie im Ruhrgebiet heißt, lebt in Mülheim-Dümpten und genießt das Heimspiel zum Wahlkampfauftakt.

Um Punkt 12.00 Uhr betritt Hannelore Kraft in Begleitung der SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles den Neumarkt in Gelsenkirchen. Die Glocken der St. Augustinus- und der evangelischen Altstadtkirche läuten und die Ministerpräsidentin geht auf ein altes Ehepaar zu. "Nicht erschrecken", sagt sie fröhlich und drückt der verblüfften Frau die Hand. "Dat is die Hannelore Kraft", sagt ihr Mann erklärend und zieht sich mit dieser Bemerkung den Zorn seiner Frau zu: "Ich weiß, wer dat is", zischt sie, die Prominente ist jedoch schon ein paar Schritte weiter.

Heute hat es die SPD in Gelsenkirchen nicht leicht, denn nicht die Farbe Rot bestimmt das Bild, sondern Blau-Weiß. Schalke spielt gegen den Erzrivalen Dortmund, gemessen daran ist die Landtagswahl am 13. Mai unwichtig. "Mit Hannelore in der Verlängerung", kalauert der örtliche SPD-Direktkandidat Markus Töns auf der Bühne. Und die Wahlkämpferin nimmt den Ball auf: "Heute geht das los", sagt sie und dass sie den Schalkern die Daumen drückt. "Immer wenn die nicht in Gladbach spielen, sollen sie ruhig Erfolg haben", erklärt die Borussia-Anhängerin später.

Auf dem Neumarkt gibt es Waffeln und Torwandschießen, der SPD-Ortsverein Gelsenkirchen-Hülle grillt Bratwürste. Wolfgang Kitscha nutzt die Gunst der Stunde und spricht Kraft auf ein Reizthema im Ruhrgebiet an: Den Solidaritätsbeitrag. "Wir waren jetzt in Templin, da verzieren sie die Fahrradwege mittlerweile mit Granit. Und hier werden die Schlaglöcher immer tiefer", sagt er zornig.

"Das ist der schöne Teil des Wahlkampfes", sagt sie eine halbe Stunde später auf der Fahrt von Gelsenkirchen nach Münster und meint damit den Dialog mit den Menschen. "Einsatz vor Ort" steht außen auf dem Bus, den die Partei für die Tour gemietet hat. Rund 50 Journalisten reisen mit durch Nordrhein-Westfalen. Es gibt Kaffee, belegte Brötchen und zahlreiche Fotomotive, ohne die ein Wahlkampf nicht funktioniert.

In Münster ist Peer Steinbrück zur Unterstützung dabei und einige Passanten in der Fußgängerzone sind nicht sicher, ob das ein guter Entschluss der SPD ist. Denn Steinbrück steht im Schatten der St. Ludgeri Pfarrkirche und teilt verbal aus. Eine Frau traut sich, die Arbeit der Bundesregierung zu loben. "Wirklich?", fragt er gedehnt und fügt hinzu: "Ich habe sie für klüger gehalten." Umringt von Studenten hält der Bundesminister a.D. ein Proseminar zum Thema Volkswirtschaft. Griechenland, Währungsunion, die Zukunft Europas.

Der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident hält sich thematisch nicht mit Landespolitik auf. "Manche Stammtischweisheit geht mir gehörig auf den Senkel", sagt er scharf, während Kraft ihr Wahlkampfmotto "Nah dran an den Menschen" körperlich erlebt. "Noch kann ich atmen", japst sie inmitten einer Menschenmenge. So sieht und gefällt sie sich: Als Landesmutter zum Anfassen.

Die letzte Station ist Bielefeld, hier wartet Frank-Walter Steinmeier, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, auf sie. Und wieder geht es durch eine Fußgängerzone, wieder werden Erinnerungsfotos gemacht, Autogramme geschrieben. Und Fragen gestellt. "Weißt Du eigentlich, wer ich bin?", fragt Hannelore Kraft den sechsjährigen Ben, der sie mit großen Augen anschaut. "Nein", bekennt der und wird rot. "Macht nix", entgegnet die blonde Frau aus Düsseldorf und erklärt: "Ich mache Politik und sorge dafür, dass in Deiner Schule alles in Ordnung ist."

An dem kleinen SPD-Stand auf der Niedernstraße in der Bielefelder Fußgängerzone ist die Ministerpräsidentin kaum zu hören, denn das Mikrophon ist defekt. Sie lächelt. Steinmeier macht Werbung für seine Parteifreundin. "Sie ist eine bodenständige Frau, die Leute kommen auf sie zu und schütten ihr Herz aus", stellt er fest. Zur Stärkung bekommt Kraft einen Espresso. "Schwarz trinken und rot wählen", flachst der Mann hinter dem Kaffeeautomat. Um 18.40 Uhr ist der Besuch in Bielefeld zu Ende, der Arbeitstag der Wahlkämpferin jedoch noch lange nicht vorbei. Fast zehn Stunden, vier Städte, 364 Kilometer und viele Gespräche liegen hinter ihr. "Jetzt tun mir schon die Füße weh", bekennt die Spitzenkandidatin und verschenkt die letzten roten Rosen.

dapd