Er beginnt seine Bücher immer mit dem letzten Satz: “Weil ich das Ende brauche, um anfangen zu können“, sagte John Irving einmal. “Sonst verheddert man sich, sonst schreibe ich ziellos.“ Und Ziellosigkeit passt so überhaupt nicht zu dem Bestsellerautor, dessen Credo die Disziplin ist.
Berlin (dapd). Er beginnt seine Bücher immer mit dem letzten Satz: "Weil ich das Ende brauche, um anfangen zu können", sagte John Irving einmal. "Sonst verheddert man sich, sonst schreibe ich ziellos." Und Ziellosigkeit passt so überhaupt nicht zu dem Bestsellerautor, dessen Credo die Disziplin ist. "Ein Achtel Talent und sieben Achtel Disziplin", lautet das Erfolgsrezept des Amerikaners, der mit seinen grotesken und zugleich melancholischen Geschichten Kultstatus genießt. Am Freitag (2. März) wird er 70 Jahre alt.
Sein eigenes Leben beschreibt Irving als langweilig - zu langweilig, um darüber ein Buch zu schreiben. Irgendwann hat er es dann doch getan; im Frühjahr 2006 erschien "Bis ich dich finde" in deutscher Übersetzung. Jack, Irvings Hauptfigur in dem mehr als 1.100 Seiten starken Buch, ist von Kindheit an auf der Suche nach dem unbekannten Vater. Er wird ein bekannter Hollywoodstar, gewinnt sogar einen Oscar - und trotz des Erfolges bleibt das Gefühl des Verlassenseins.
Die Parallelen zu Irvings Leben liegen auf der Hand. Er kam am 2. März 1942 in Exeter im US-Staat New Hampshire auf die Welt. Seine Mutter, eine Krankenschwester, ließ sich noch vor seiner Geburt vom Vater scheiden und heiratete später einen Lehrer für russische Geschichte und Literatur. Seinen leiblichen Vater lernte Irving nie kennen, erst nach dessen Tod 1996 erfuhr er, dass er drei Halbbrüder und eine Halbschwester hat.
Auch den sexuellen Missbrauch, den sein Protagonist Jack als Kind erleidet, hat Irving selbst erlebt. Er sei, erzählte er später, elf Jahre alt gewesen, als ihn eine ältere Frau verführt habe. "Ich fühlte mich damals nicht missbraucht, aber später merkte ich, dass ich kein normales Verhältnis zu älteren Frauen hatte."
Jack wird Schauspieler, John wusste schon früh, dass er Schriftsteller werden wollte. Bis ihm mit seinem vierten Roman "Garp und wie er die Welt sah" 1978 der Durchbruch gelang, musste er allerdings von anderen Jobs leben. Dabei profitierte er von seiner zweiten Leidenschaft neben der Literatur, dem Ringen, und arbeitete als Trainer. Den Sport hat er von Kindheit an viele Jahre lang professionell betrieben, 1992 wurde er in die National Wrestling Hall of Fame aufgenommen, eine Auszeichnung, auf die er immer noch stolz ist.
Nach dem Abitur begann er, englische Literatur zu studieren. Mitte der 1960er Jahre verbrachte er ein Jahr an der Universität in Wien, seitdem spricht er ein ganz passables Deutsch. In Österreich lernte Irving die Bücher von Heinrich Böll und Günter Grass kennen, mit dem er bis heute befreundet ist. Als Grass 2007 einräumte, als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein, nahm ihn Irving öffentlich in Schutz. "Grass bleibt für mich ein Held, sowohl als Schriftsteller als auch als moralischer Kompass", erklärte er. "Sein Mut, sowohl als Schriftsteller als auch als Bürger Deutschlands, ist beispielhaft, ein Mut, der durch seine jüngste Enthüllung unterstrichen, nicht geschmälert wurde."
Autobiografische Details sind in viele von Irvings Büchern eingeflossen: Sein erster Roman "Lasst die Bären los" spielt teils in Wien und handelt von zwei österreichischen Jugendlichen, in "Die Mittelgewichts-Ehe" spielt der Ringsport eine Rolle, in anderen Werken werden die Universitäten erwähnt, an denen Irving studiert hat. Einige Schauplätze seiner Romane sind heute Reiseziele von Fans. Irvings Bücher, darunter mittlerweile zwölf Romane, wurden in 35 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft.
Auch als Drehbuchautor machte sich Irving einen Namen. 13 Jahre lang arbeitete er an einem Drehbuch zu seinem Roman "Gottes Werk und Teufels Beitrag", veränderte es immer wieder, trieb Regisseure schier in den Wahnsinn. Der Schwede Lasse Hallström verfilmte es schließlich, und Irving erhielt 2000 den Oscar in der Kategorie "bestes Drehbuch" - eine Auszeichnung, die ihm nach eigenen Worten viel wichtiger ist als der Literatur-Nobelpreis, für den er ebenfalls immer wieder im Gespräch ist. Die Mitglieder des Nobelpreis-Komitees hat er mehrfach als engstirnig und unbedeutend kritisiert. Als 2002 V.S. Naipaul ausgezeichnet wurde, sagte Irving, dieser sei zwar "ein fantastischer Schriftsteller", jedoch könne Irvings eigener Roman "Zirkuskind" da durchaus mithalten. Die Hauptfigur von "Zirkuskind", Dr. Daruwalla, stehe "für all die Dinge, für die Naipaul der Nobelpreis verliehen wurde. Aber bekomme ich einen Preis? Nein. Ich bin ja auch kein Inder. Punkt."
Irving, der in zweiter Ehe mit seiner Agentin verheiratet ist und drei Söhne hat, lebt heute in Vermont. Anlässlich seines Geburtstags kommt am 1. März die Dokumentation "John Irving und wie er die Welt sieht" in die Kinos, im Mai soll in den USA sein neuer Roman erscheinen.
dapd