Vorsichtig heben die zwei Kräne ein Bein nach dem anderen von Louise Bourgeois' Spinnenskulptur “Maman“ (Mutter) aus dem Container heraus. Der Nieselregen hat das Plateau vor der Hamburger Kunsthalle am Montagvormittag mit einer nassen Schicht überzogen.

Hamburg (dapd-nrd). Vorsichtig heben die zwei Kräne ein Bein nach dem anderen von Louise Bourgeois' Spinnenskulptur "Maman" (Mutter) aus dem Container heraus. Der Nieselregen hat das Plateau vor der Hamburger Kunsthalle am Montagvormittag mit einer nassen Schicht überzogen. Doch das Team um zwei extra aus New York angereiste Spezialisten will bis zum Einbruch der Dunkelheit mit dem Aufbau des 9,27 Meter hohen und 8,91 Meter breiten Kunstwerks fertig sein. Mit Blick auf die Außenalster soll "Maman" ab 10. Februar der Höhepunkt der Ausstellung "Louise Bourgeois. Passage dangereux" sein. Die Skulptur ist hierzulande erstmals eingebettet in eine Schau der Bildhauerin (1911-2010) zu sehen.

"Die erste Aufgabe besteht darin, die Beine aus dem Container herauszuholen, sie nebeneinander zu legen und dann zuzuordnen", sagt die Kuratorin der Ausstellung, Brigitte Kölle, am Morgen im dapd-Interview. Jedes der acht Spinnenbeine sei in zwei Teile geteilt, jedes Teil somit zwischen vier und fünf Meter lang. Am Mittag soll der Aufbau des elf Tonnen schweren Monuments aus Bronze, Edelstahl und Marmor erkennbar fortgeschritten sein. Die Beine zusammenhalten soll schließlich ein Körper hoch oben in der Mitte, unter dem ein aus Draht gefertigter Beutel mit Marmoreiern befestigt ist.

"Maman" ist die größte Skulptur aus einer ganzen Spinnen-Serie von Bourgeois. Fünf weitere Ausgaben sind in der ganzen Welt verteilt, etwa im kanadischen Ottawa, im japanischen Tokio und im südkoreanischen Seoul. Die "Maman", die in den kommenden Monaten vor der Hamburger Kunsthalle zu Hause sein wird, kommt direkt aus der Schweiz. Dort war die riesige Spinne in Bern und Zürich zu sehen und jüngst im Berower Park der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel. In Deutschland war "Maman" schon einmal, 2004 im Schlosspark Wendlinghausen im nordrhein-westfälischen Dörentrup, anlässlich einer Gartenlandschaftsschau.

Bourgeois stellte "Maman" 1999 fertig. "Meine beste Freundin war meine Mutter" hat die 2010 im Alter von 98 Jahren gestorbene Künstlerin einmal gesagt. Besonnen sei sie gewesen, diese Joséphine Bourgeois, "klug, geduldig, raffiniert, ordentlich und nützlich - wie eine Spinne". "Sie bewunderte ihre Mutter", sagt Kuratorin Kölle. Das Werk sei eine Ode an Joséphine Bourgeois, die in Paris als Restauratorin von Tapisserien tätig war. "Das unermüdliche Wiederherstellen und Restaurieren von Gewebe, das auch Spinnen eigen ist, wird zugleich zu einem Symbol für das unendliche, sich wiederholende und erneuernde Leben im Allgemeinen", erklärt Kölle.

Während Bourgeois ihre Mutter als "geduldiges Wesen, das immer wieder von vorne beginnt" gesehen habe, habe sie sich selbst als komplettes Gegenteil empfunden. So hat Bourgeois eigenen Angaben zufolge immer alles zerstört, wieder aufgebaut und wieder zerstört. "In meinem Werk gibt es die Angst, im Stich gelassen und getrennt zu werden", sagte sie einmal. Sie wollte der "Frustration und dem Leiden Form und Bedeutung verleihen". Die Frau, die an schweren Schlafstörungen litt, stand oft nachts auf und begann zu zeichnen - festgehalten in den abgrundtiefen "Insomnia-Drawings".

Mit "Maman" hat Bourgeois nicht nur ihrer Mutter ein Denkmal gesetzt. Auch hat die Franko-Amerikanerin mit dem faszinierenden wie bedrohlichen Werk den Schlüssel zum Verständnis ihrer komplexen Kunst geschaffen - einer Kunst, deren Grundthema stets der Schmerz war. "Es ist ein wollüstiger Schauer, der beim Betrachten von 'Maman' mitspielt", sagt Kölle. Dabei habe Bourgeois mit diesem Werk nicht abschrecken wollen.

Neben "Maman" zeigt die Hamburger Kunsthalle bis zum 17. Juni Skulpturen, Rauminstallationen, Radierungen, Arbeiten aus Stoff und Tapisserien der letzten 15 Lebensjahre der Bildhauerin, darunter die Werkserie "Passage dangereux" (1997) und die Radierungsserie "À l'infini" (2008).

dapd