Berlin (dapd). Auf das Konto der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle gehen möglicherweise noch mehr Gewalttaten als bislang bekannt: Inzwischen wird das Neonazi-Trio eines zweiten Mordanschlags im Ruhrgebiet verdächtigt. Das Landeskriminalamt NRW prüfe, ob auch ein bis heute ungeklärter versuchter Mord in Duisburg-Meiderich von Mitgliedern der Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) begangen wurde, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Duisburg auf dapd-Anfrage am Sonntag. Derweil hat der Beschuldigte Holger G. sich und den früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben schwer belastet.

Zuvor hatte Staatsanwaltschaftssprecher Detlev Nowotsch den Zeitungen der Essener WAZ-Mediengruppe (Samstagausgabe) bestätigt, dass die Akte des Anschlags auf einen türkischen Gastwirt am 15. Dezember 2003 an das Landeskriminalamt geschickt wurde. Dort werde der Vorfall jetzt wegen eines vergleichbaren Tatwaffentyps auf einen Zusammenhang mit der NSU überprüft. Sollten sich zureichende Anhaltspunkte dafür ergeben, werde die Generalbundesanwaltschaft den Fall übernehmen, sagte deren Sprecher auf dapd-Anfrage.

Der Anschlag in Duisburg-Meiderich, den das Opfer durch einen Zufall überlebte, wurde Nowotsch zufolge mit einer ferngesteuerten Selbstschussanlage durchgeführt. Ein ähnlich konstruierter Apparat sei auch im abgebrannten Haus der Verdächtigen Beate Zschäpe in Zwickau gefunden worden.

Holger G. unterstützte Neonazi-Trio bis Mai 2011

Die Nazi-Terrorzelle war im November aufgeflogen. Der Generalbundesanwalt macht sie bisher für neun Morde verantwortlich, darunter einen in Dortmund sowie zwei Sprengstoffanschläge und mindestens drei Banküberfälle - elf weitere Überfälle werden zudem laut einem Sprecher noch überprüft. Zusätzliche unbekannte Tötungsdelikte des Neonazi-Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe schließt das Bundeskriminalamt nicht aus.

Neue Erkenntnisse über die Zwickauer Terrorzelle liefert unterdessen auch eine umfassende Aussage ihres mutmaßlichen Helfers Holger G.: Der Inhaftierte gab Ermittlern gegenüber an, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos bis Mai 2011 unterstützt zu haben, wie der "Spiegel" berichtet. Vor rund zehn Jahren habe er dem Neonazi-Trio auf Anweisung Wohllebens einen Reisepass und eine Pistole verschafft.

Kurz nach dem Abtauchen der drei im Jahr 1998 habe ihn - der inzwischen ebenfalls inhaftierte - Wohlleben um Geld für die Flüchtigen gebeten, worauf G. ihm 3.000 D-Mark ausgehändigt haben will. Zwei bis drei Jahre später habe der NPD-Kader ihn dann angewiesen, einen Reisepass für Böhnhardt erstellen zu lassen. Den habe G. am Zwickauer Bahnhof übergeben, nachdem Wohlleben ihm die geheime Telefonnummer der Untergetauchten vermittelte.

Demos gegen Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz

Zudem habe G. nach eigener Aussage 2001 oder 2002 eine Waffe an die Flüchtigen ausgehändigt. Demnach drückte ihm Wohlleben einen Stoffbeutel mit der Pistole in die Hand und fügte hinzu, dass es besser sei, wenn er nicht wisse, was die drei damit vorhätten. Zschäpe habe ihn dann laut Vernehmungsprotokoll am Bahnhof abgeholt und in ein Wohnhaus gebracht, wo Böhnhardt und Mundlos warteten. Anschließend will sich G. geweigert haben, weitere Kurierdienste für die Neonazis zu übernehmen und mit Waffen zu hantieren. Allerdings habe er auch weiterhin ziemlich regelmäßig mit ihnen telefoniert.

Im Jahr 2005 schließlich seien die drei plötzlich vor der Wohnung von G. in Hannover aufgetaucht und hätten ihn kurz darauf gebeten, einen Führerschein zu arrangieren.

Dem "Spiegel"-Bericht zufolge unterstützte G. die Terrorzelle nach eigener Aussage auf deren Druck hin noch im Mai vorigen Jahres. Als er zögerte, habe ihm das Trio verdeutlicht, dass es keine Chance zum Ausstieg gebe. Nach zehn Jahren sei es zum Kneifen zu spät.

Als Reaktion auf die Berichte der vergangenen Wochen und von der rechtsextremen NPD angemeldete Demonstrationen gingen am Wochenende rund 1.000 Menschen in Rheinland-Pfalz gegen Nazis auf die Straße. Bei den Protestzügen in Worms, Ludwigshafen, Frankenthal und Koblenz gedachten die Teilnehmer auch der Opfer der NSU-Mordserie.

dapd