Berlin (dapd). Al Pacino hat einen Wutanfall. "Sie begreifen es nicht!", brüllt der Hollywoodstar, dass die Wände des schmucklosen Flachbaus im Berliner Süden erzittern. Wer seiner Stimme durch den trostlosen Flur mit dem Charme einer Amtsstube folgt, landet vor einer stählernen Tür. "Sie be-grei-fen es NICHT!", dröhnt es wieder durch einen Spalt. Zu Kriegszeiten drehten die Nazis in dem graubraunen Gebäudekomplex aufwendige Propaganda-Filme, heute hängt ein schlichter Zettel neben der Tür: "Al Pacino/Frank Glaubrecht, 9.15 bis 16.50 Uhr, 172 Takes."

Glaubrecht ist Synchronsprecher und klammert sich in einem abgedunkelten Tonstudio der Berliner Synchron an sein Stehpult. Vor ihm liegen seitenweise ausgedruckte Dialoge, spärlich beleuchtet von einer breiten Klemmlampe. Dann flimmert ein Countdown über die Leinwand, das Aufnahmelicht blinkt rot auf - und aus dem äußerlich unscheinbaren Glaubrecht wird wieder Pacino, der weltberühmte Mafiapate, Frauenschwarm und Oscar-Mime.

Seit mehr als 30 Jahren leiht Glaubrecht dem US-Schauspieler schon seine rauchig-charismatische Stimme. Los ging es 1975 mit dem zweiten Teil der Trilogie "Der Pate". An diesem Berliner Herbsttag nun spricht er den Text für die Komödie "Jack und Jill" ein, die Ende Januar in die Kinos kommt. Darin spielt Pacino ausnahmsweise mal keine Rolle, sondern sich selbst. Und Glaubrecht gibt alles.

Als Pacino seinem begriffsstutzigen Filmpartner Adam Sandler ins Gesicht brüllt, verschlingt Glaubrecht fast das Mikrofon, lehnt sich drohend gegen das Sprecherpult, die Stimme getränkt mit Frust und Aggression. Hinter der Scheibe zum abgedunkelten Schnittraum greift Synchronregisseurin Elisabeth von Molo korrigierend ein: "Etwas weniger Druck, bitte." Glaubrecht nimmt sich leicht zurück, aber die Frau am Schaltpult ist immer noch nicht ganz zufrieden: "Sei nicht so streng, eben warst du liebreizender."

Der nächste Versuch gefällt, und aus der Regisseurin fährt ein lautes "Yeah!", sie reckt ihre Faust in die Höhe. Nebenan flitzen die Finger des Cutters über das Schnittpult - wieder ist eine Sequenz im Kasten. Hinter den beiden sitzt eine Gesandte des auftraggebenden Filmverleihs und staunt aufrichtig über Glaubrechts Können: "Der Mann ist so gut, so auf den Punkt, das ist unglaublich."

Skurrilerweise kennt nahezu jeder die markige Stimme von Glaubrecht, aber fast niemand das Gesicht dazu. Dabei spricht der 68-jährige Berliner neben Pacino auch die Rollen von Kevin Costner, Jeremy Irons, Pierce Brosnan, Richard Gere und etlichen anderen Filmstars. Deutschland kennt ihn aus TV-Dokumentationen wie "Terra X" und zahllosen Werbespots, Passagiere am Flughafen Köln-Bonn werden mit seiner Stimme begrüßt. Und weil die so vertraut klingt, wird der Mann mit dem kernigen Timbre auch gerne für die Vertonung von Hörbüchern gebucht.

Glaubrecht ist bestens in Form, die Stimmung im Studio deshalb ausgesprochen entspannt. "Heute ist ein richtig guter Tag", sagt er in einer Pause. "Wenn es doch immer so laufen würde", fügt von Molo an, die schon weitaus schwierigere Durchläufe mit anderen Künstlern erlebt hat. Den Part von Adam Sandler hat Synchronroutinier Dietmar Wunder bereits am Vortag intoniert, Glaubrecht erledigt nun den Rest. In den Ohren der Regisseurin gehen die getrennt aufgenommenen Sequenzen aber "so schön ineinander über, als wären sie beide da".

Auch nach Dutzenden Filmen bedeutet die siebenstündige Sitzung für Glaubrecht keinen Spaziergang. Er muss Pacinos Bewegungen am Mikrofon körperlich nachahmen, trägt deshalb eine locker sitzende Flanellhose und Turnschuhe. Spurtet der Mime eine Treppe hoch, trippelt Glaubrecht auf der Stelle. Für die theatralische Botschaft an dessen Filmgespielin geht er in die Knie, beugt den Rücken nach hinten, holt tief Luft: "Ich will dich doch nur..." - sein Oberkörper peitscht nach vorne, die Arme in weit ausladender Pose - "...glücklich machen!"

So geht es weiter, Szene um Szene, Take um Take, 172 Mal. Am Ende der Sitzung ist Produktionsleiter Klaus Bauschulte sichtlich zufrieden. Glaubrecht sei eben ein echter Profi, mit dem die meisten Regisseure gerne zusammenarbeiten. Aber in einer Branche, wo Tagesgagen je nach Erfahrung des Synchronsprechers zwischen wenigen hundert und mehreren tausend Euro schwanken können, hat Glaubrecht auch seinen Preis. "Er weiß, wer er ist, was er kann und wie wichtig er für uns ist", sagt Bauschulte und legt die Stirn in Falten. "Das schlägt sich dann auch in den Gagenverhandlungen nieder."

dapd