Stuttgart (dapd). Das Eingeständnis der Niederlage kam schon um 19.55 Uhr als das amtliche Endergebnis der Volksabstimmung noch gar nicht vorlag: "Die Mehrheit stimmt mit Nein - doch das Projekt 'Stuttgart 21' wird an den Kosten scheitern", erklärte das Aktionsbündnis gegen das Milliardenprojekt am Sonntagabend mit, nachdem sich landesweit eine Mehrheit der Befürworter abzeichnete. Die Demonstranten am Bahnhof reagierten enttäuscht, viele wollen den Protest aber trotzdem fortsetzen. Ob in Stuttgart künftig Frieden herrscht, ist offen.

Während bei den Gegnern am Sonntag Ernüchterung eintrat, feierten die "Stuttgart 21"-Befürworter ausgelassen. Mit "Weiterbauen"-Rufen oder "So sehen Sieger aus"-Gesängen bejubelten sie bei der Befürworterparty den Sieg. Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) zeigte sich erfreut, dass "die Bürger in Baden-Württemberg ein Empfinden dafür hatten, dass Vertragsbruch nicht geht". Er forderte die Gegner zur friedlichen Akzeptanz des Ergebnisses auf.

Ob mit der Volksabstimmung, wie in der Koalitionsvereinbarung von SPD und Grünen beabsichtigt, der Konflikt abschließend befriedet wird, ist unklar. Die Voraussetzungen für eine Befriedung sind durch das klare Votum gegeben, sogar in Stuttgart stimmten die Menschen mehrheitlich für einen Weiterbau des Milliardenprojekts.

Doch wie sich die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Protestbewegung verhalten, bleibt abzuwarten. Das Aktionsbündnis kündigte an, das Ergebnis zu akzeptieren, die Form seines Protests aber zu überdenken. "Der Widerstand wird sich verändern", sagte Sprecherin Brigitte Dahlbender. Es sei nicht richtig, wie bisher weiterzumachen. Sie kündigte an, das Projekt kritisch weiterzubegleiten.

Die selbsternannten Parkschützer ihrerseits kündigten weiteren Widerstand an. Die Gegnerorganisation stelle ihre Aktivitäten erst ein, wenn das Projekt beendet sei, sagte der Sprecher der Gruppierung, Matthias von Herrmann, am Sonntag in Stuttgart.

Die Staatsrätin für Zivilgesellschaft, Gisela Erler (Grüne), erwartet zwar, dass sich die Protestbewegung abschwächt. Bei "ungestümen Menschen" bestünde allerdings die Gefahr, dass sie sich radikalisierten. Deshalb will die Regierung die Beziehung von Demonstranten und Polizisten verbessern, indem beide Seiten einander mehr respektieren sollen.

Zweifelhaft ist jedenfalls, dass mit dem Abstimmungsergebnis nun auch die inneren Zankereien in der neuen Landesregierung beigelegt sind. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte bereits am Freitag begonnen, die Anhängerschaft der Gegner zu trösten. Im Wahlkampf hatten sich Grünen als Gegner und die SPD als Befürworter teilweise derart beharkt, dass Kretschmann es für nötig hielt einen Knigge einzuführen, der nur mäßig befolgt wurde.

Die Grünen-Kabinettsmitglieder Gisela Erler und Silke Krebs zeigten sich am Sonntag jedenfalls überzeugt, dass die Grünen durch das Abstimmungsergebnis nicht geschwächt, sondern gestärkt sind. "Die Volksabstimmung hat vor allem die Regierung gestärkt. Es war unser Projekt von Grünen und SPD, die Volksabstimmung zu ermöglichen. Wir sind zusammen stolz darauf, das geschafft zu haben", sagte Krebs.

Auch wenn Kretschmann klar versprochen hat, die Landesregierung werde das Ergebnis akzeptieren und das Baurecht der Bahn durchsetzen, bleibt offen, wie die Grünen seine Ansage interpretieren werden, man werde das Projekt nun "kritisch begleiten". Insbesondere von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der bisher bei der Bekämpfung des Projektes nichts unversucht ließ, sind weiter Querschüsse zu erwarten. Angriffspunkt sind zum einen die noch offenen Planfeststellungen für den schwierigen Filderabschnitt. Hier kann viel verzögert werden.

Außerdem hoffen die Grünen, dass das Projekt wegen möglicher Kostensteigerungen doch noch zu kippen ist. Laut Kabinettsbeschluss wird das Land über die Kostengrenze von 4,5 Milliarden Euro "keinen Cent" mehr bezahlen. Auch der Bund, die Stadt Stuttgart und die Region haben dies erklärt.

So hängt viel davon ab, wie die Bahn sich nun weiter verhält. Sollte die Kostenobergrenze überschritten und dies bis zum Bau der Tunnel nicht bekannt werden, passiert genau das, was Kretschmann immer verhindern wollte. Er werde sich nicht "sehenden Auges" in eine solche Erpressungssituation bringen, dass die "größte Baugrube Europas" gebaut werde und man allein deshalb bei explodierenden Mehrkosten immer zuschießen müsse, betonte er stets.

Der Ministerpräsident konnte den Konzern bislang nicht dazu zwingen, sich für eine zusätzlich notwendige Finanzierung zuständig zu erklären. Sollte Stuttgart nun wegen eines langwierigen Kostenstreits unter einer endlos brachliegenden Baugrube zu leiden haben, wäre dies nicht nur eine Niederlage der Grünen, sondern der gesamten grün-roten Landesregierung.

dapd