Brüssel (dapd). Die EU-Kommission lässt im Streit um das VW-Gesetz nicht locker: Weil sie auch in der überarbeiteten Fassung einen Verstoß gegen EU-Recht sieht, will sie noch einmal vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ziehen. Das kündigte die Kommission am Donnerstag in Brüssel nun auch offiziell an. Sollten die Richter die Meinung Brüssels stützen, droht Deutschland eine Strafe von mehr als 45 Millionen Euro. Der Vorsitzende des VW-Konzernbetriebsrates bezeichnete das Gesetz am Donnerstag als europarechtskonform und warnte die Kommission vor einer Blamage.

Streitpunkt zwischen Berlin und Brüssel ist die Sperrminorität von 20 Prozent, aufgrund derer Niedersachsen noch immer entscheidenden Einfluss auf den Autokonzern hat. Da diese von den üblichen 25 Prozent abweicht, sieht Brüssel darin eine Einschränkung von Investoren und des freien Kapitalverkehrs und befürchtet dadurch letztlich Nachteile für die Konsumenten.

Andere Bedenken der EU hatte Deutschland nach einem vorangegangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Jahr 2007 durch entsprechende Gesetzesänderungen bereits ausgeräumt. So gab die Bundesregierung die Zusammensetzung des Aufsichtsrates frei, wo Niedersachsen zuvor automatisch zwei Vertreter zugestanden waren. Außerdem fiel die umstrittene Deckelung der Stimmrechtsanteile, nach der Großaktionäre - unabhängig von der Höhe ihrer Anteile - nicht mehr als 20 Prozent der Stimmrechte im Aufsichtsrat halten durften.

Der Vorsitzende des VW-Konzernbetriebsrates, Bernd Osterloh, warnte am Donnerstag: "Das VW-Gesetz ist europarechtskonform. Die Kommission wird sich vor dem Gerichtshof eine blutige Nase holen." Über die nächsten Schritte zur Sicherung des Gesetzes werde er sich mit der Bundesregierung und dem Land Niedersachsen eng abstimmen.

Die 20-prozentige Sperrminorität wurde bisher beibehalten. Und die ist weiter ein Dorn im Auge der Kommission. Da die Sperrminorität "klar speziell auf die Beteiligung des Landes Niedersachsen ausgerichtet" sei, würden dadurch auch weiter "öffentliche deutsche Behörden gegenüber anderen Investoren" bevorzugt, kritisierte sie. Niedersachsen habe damit auch weiter die Macht, sich wichtigen geschäftspolitischen Entscheidungen zu widersetzen. Außerdem ermögliche es "unangemessene politische Einmischung" in Geschäftsaktivitäten. Da sich Deutschland weigert, auch diesen Absatz zu löschen, sieht sie das Urteil nicht umgesetzt.

Nach vier Jahren erfolgloser Verhandlungen, die von Seiten Deutschlands abgebrochen worden seien, habe man nun keine Wahl, als das Urteil auf dem Rechtswege durchzusetzen, erläuterte eine Sprecherin von EU-Binnemarktkommissar Michel Barnier. Schließlich sei es die Aufgabe der Kommission sicherzustellen, dass EU-Recht nicht gebrochen werde. In der Klage gehe es nicht um Elemente des VW-Gesetzes, die die Arbeitnehmerbeteiligung oder etwaige Betriebsverlagerung angehe, betonte sie. "Wir diskriminieren Deutschland nicht unfair."

Setzt sich Brüssel mit seiner Rechtsauffassung durch, könnte dies für Deutschland teuer werden. Die Kommission kündigte an, für jeden Tag, beginnend vom ersten Urteil 2007, ein Strafgeld von mehr als 31.000 Euro zu beantragen, das gezahlt werden soll, bis es doch noch zu einer außergerichtlichen Einigung kommt, oder die Richter zugunsten der Kommission entscheiden. Außerdem sollen für jeden Tag, den Deutschland braucht, um ein mögliches zweites für die Bundesrepublik negatives Urteil umzusetzen, weitere rund 282.000 Euro fällig werden. Zusammen wären dies jetzt schon mehr als 45 Millionen Euro.

Die deutsche Politik äußerte am Mittwoch wenig Verständnis für die Brüsseler Entscheidung. Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister nannte sie "nicht nachvollziehbar". Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warf der Kommission einen "ideologisch begründeten Feldzug" vor.

Ganz anders sieht das der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer. Die EU-Kommission habe gute Gründe, Sonderprivilegien für Unternehmen mit marktbeherrschenden Stellungen wie Volkswagen einzuschränken, erklärte er. "Wenn wir das nicht machen, brauchen wir auch kein Kartellrecht."

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