München (dapd). Jahrelang sind die Autos immer schwerer geworden. Airbag und Fahrerassistenzsysteme, elektrischer Fensterheber und elektrische Sitzverstellung - in der Summe schlugen mehr Sicherheit und mehr Komfort kräftig aufs Gewicht. Der erste 3er-BMW zum Beispiel wog noch eine Tonne, der aktuelle bringt die Hälfte mehr auf die Waage. Aber jetzt legt die Autoindustrie den Rückwärtsgang ein: Leichtbau wird plötzlich zum zentralen Thema. Das zeigt der Kampf von BMW und VW um die Vorherrschaft beim Karbonhersteller SGL.
BMW-Großaktionärin Susanne Klatten hielt schon 29 Prozent an dem Spezialisten für den ultraleichten Werkstoff. Jetzt kaufte BMW weitere 15 Prozent, für eine halbe Milliarde Euro. Mit zusammen 44 Prozent können sie die Weichen stellen beim größten europäischen Karbonhersteller und "VW in Schach halten", wie Analyst Gerhard Wolf von der Landesbank Baden-Württemberg sagt. Denn VW-Patriarch Ferdinand Piech hat die Münchner im Frühjahr mit seinem Einstieg bei SGL überrascht, knapp 10 Prozent hält der Wolfsburger Konzern, weitere 5 Prozent der Audi-Entwicklungspartner Voith.
An SGL hängt für BMW der Start in die E-Mobilität. In einer Gemeinschaftsfabrik von SGL und BMW in den USA werden die Karbonfasern für den BMW i3 gefertigt, den ersten Elektro-BMW, der in zwei Jahren in Leipzig vom Band laufen soll. Wenig später soll der Sportwagen i8 folgen. "Das Thema Leichtbau spielt in der Automobilindustrie zukünftig eine immer größere Rolle. Die Beteiligung an der SGL Group ist ein konsequenter Schritt, um die bisherige erfolgreiche Zusammenarbeit zu untermauern", sagt BMW-Finanzvorstand Friedrich Eichiner.
"Wir sichern uns den Zugriff auf das Material und auf die Kapazitäten", erklärt BMW-Sprecher Alexander Bilgeri. Denn ohne Karbon werden Autos bald kaum mehr auskommen.
Bislang haben die Autokonzerne den Gewichtszuwachs der Fahrzeuge mit besseren Motoren und geringerem Luftwiderstand kompensiert. Aber die Politik schreibt vor, den Verbrauch und damit den CO2-Ausstoß weiter kräftig zu senken. Werden 100 Kilogramm Gewicht gespart, sinkt der Verbrauch im Durchschnitt um einen Viertelliter Benzin je 100 Kilometer. "Leichtbau bekommt da ganz große Bedeutung", erklärt Willi Diez, Professor am Institut für Automobilwirtschaft in Geislingen.
Verschärft wird der Zwang zum Abspecken noch durch die Einführung der Elektroautos. Denn jedes Kilogramm Gewicht verringert die Reichweite der Batterien dramatisch. Mit der ersten vollständigen Karbonkarosserie verspricht BMW seinen Kunden weniger Energieverbrauch, weniger Schadstoffausstoß und größere Reichweite.
Karbon ist nur halb so schwer wie Stahl und immer noch ein Drittel leichter als Aluminium. Beim BMW i3, dessen Hülle wie bei einem Formel-1-Rennwagen ganz aus Karbon besteht, spart das fast 300 Kilogramm Gewicht.
Audi hatte als erster mit dem Leichtbau begonnen - 1994 kam das Flaggschiff A8 komplett aus Aluminium auf den Markt. Wobei die Rostbeständigkeit damals das wichtigere Argument war. "Jetzt setzt BMW zum Überholen an", sagt Diez.
Im Gegensatz zu BMW setzen Mercedes und Audi nicht voll auf Karbon, sondern auf "intelligenten Materialmix", zu dem auch Stahl, Alu, andere faserverstärkte Kunststoffe und Magnesium gehören. Denn Karbon macht das Auto teuer - Herstellung und Verarbeitung der Bauteile sind kompliziert. Ein Kotflügel für ein Auto mit großen Stückzahlen wie den A4 koste aus Karbon zehnmal so viel wie aus Stahl, sagt Audi-Sprecher Michael Crusius.
So setzt Audi Bauteile aus Karbon sparsam ein. Für die tragende Struktur sollen sie erstmals beim Nachfolger des Sportwagens R8 verwendet werden. Auch Mercedes will die ersten Karbonteile 2012 erst einmal nur im Luxusroadster SL AMG verwenden. Allerdings haben sich die Stuttgarter direkt mit einem Karbonhersteller verbunden: In Esslingen bauen sie gerade eine gemeinsame Produktion mit dem japanischen Branchenriesen Toray auf.
Diez sieht in Karbon die Zukunft: "Das könnte den Automobilbau langfristig verändern. Und wer nicht dabei ist, gerät in Rückstand oder Abhängigkeit", sagte er. "BMW will das Know-how im eigenen Haus haben, sich den Vorsprung beim Know-how sichern."
Wie der Kampf um SGL weitergeht, bleibt spannend. Ab 30 Prozent der Anteile hätte Klatten allen anderen SGL-Aktionären ein Übernahmeangebot machen müssen. Ob das mit dem direkten Einstieg von BMW nicht notwendig wird, muss die Aufsichtsbehörde BaFin entscheiden, wie Analyst Wolf erklärt. Vielleicht stockt aber auch VW weiter auf. Mit 25 Prozent hätte Piech eine Sperrminorität.
dapd