Rom (dapd). Zu tausenden stehen sie vor Suppenküchen an. Die Schulden wachsen ihnen über den Kopf. Die Spargroschen schwinden dahin. Viele junge Leute haben aufgegeben, sie suchen schon gar nicht mehr nach Arbeit und bleiben einfach zuhause. Sie sind die unsichtbaren Armen Italiens, unbemerkt von den Touristen und ignoriert von den Bonzen der Politik. Mit der vom Milliardär Silvio Berlusconi ausgemalten Überflussgesellschaft, in der "die Restaurants immer voll sind", hat ihre Wirklichkeit nicht viel zu tun.

Oder um mit Francesca Zuccari zu sprechen, die in Rom eine Suppenküche betreibt: "Es gibt da draußen noch eine andere Stadt, in der die Leute nicht bis zum Monatsende hinkommen." Das ist das Italien, mit dem es Mario Monti zu tun bekommt. Der Wirtschaftsprofessor soll es richten und als Chef einer Expertenregierung das Land aus dem Schuldensumpf ziehen. Die Frage bleibt, ob die Politiker seine erwarteten schmerzhaften Reformen mittragen werden auf die Gefahr hin, den sozialen Frieden aufs Spiel zu setzen.

Auf der einen Seite erwarten die Hersteller von Luxusgütern einen Zuwachs ihrer Exporte, und viele Reiche wollen ihr Geld in Immobilien in New York oder Paris investieren. Auf der anderen Seite leben nach Zahlen des Statistikamts acht Millionen Menschen, das sind fast 14 Prozent der Bevölkerung, in "relativer Armut". Sie mögen in den Touristenhochburgen der Toskana, in Venedig oder an der Amalfiküste nicht auffallen, wohl aber in zunehmendem Maß im Straßenbild der Städte.

Viele Italiener beginnen ihr Erspartes vom Konto zu räumen, aus Angst, die Maßnahmen gegen die Schuldenkrise könnten wie schon in den 90er Jahren mit Abschlägen auf Bankguthaben verbunden sein. "Sie stopfen es unter die Matratze oder in leere Weinkrüge im Keller. Wir sind ein Land der Bauern", meint Elio Lannutti, Chef der Verbraucherschutzorganisation Adusbef.

Hilfsorganisationen packen Lebensmittelpäckchen für die Armen. Die Nachfrage danach ist in den vergangenen paar Jahren um 20 Prozent gestiegen, wie Zuccari berichtet. Neben Einwanderern stehen jetzt auch gut gekleidete Italiener danach Schlange. Immer mehr Familien könnten laut Caritas eine unerwartete Ausgabe von 700 Euro etwa für Arztrechnungen oder Autoreparaturen nicht aufbringen, ohne sich Geld zu borgen. "Wirklich dramatisch dabei ist der geographische Unterschied", sagt Caritas-Vertreter Walter Nanni: Im Trentino im Norden könnten 18 Prozent der Haushalte diese Summe nicht plötzlich aufbringen, in Sizilien aber 48 Prozent. "Der Süden zeigt in besonderer Weise zunehmende Anzeichen wirtschaftlicher und sozialer Verwundbarkeit", bemerkte der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Monsignor Mariano Crociata, in einem Armutsbericht im Oktober.

Sicher, Italien geht es noch besser als Griechenland oder Portugal. Doch auch seine Aussichten sind nicht gerade glänzend, vor allem weil Fachkräfte abwandern und die Jugend zunehmend an den Rand gedrängt wird. Eine Gerontokratie hält die Schlüsselposten besetzt, sodass Beschäftigte noch mit Mitte 40 als vielversprechende Nachwuchskräfte gelten. Nicht anders in der Politik: Monti ist 68, Berlusconi 75, Staatspräsident Giorgio Napolitano 86 Jahre alt.

Viele jüngere Fachkräfte aus Bereichen wie Medizin, Wissenschaft und Technik wandern in Länder aus, die ihnen bessere Chancen bieten. Und die Aussichten derer, die bleiben, schwinden zusehends. Die Zentralbank berichtete kürzlich, dass fast einer von vier Bürgern unter 30 Jahre - das sind 2,2 Millionen Menschen - weder in Ausbildung noch in Arbeit ist. Die große Mehrheit von ihnen wohnt noch bei den Eltern - und ein Viertel lebt in einer Familie, in der gar niemand arbeitet. Ein Universitätsabschluss hilft nicht viel: Auch 20 Prozent der Hochschulabsolventen sind arbeitslos. Viele Unternehmen nutzen den Umstand, dass Anwälte vor dem Abschlussexamen ein zweijähriges Praktikum nachweisen müssen, und bekommen so unbezahlte Arbeitskräfte. So wird als Reformmaßnahme auch die Entlohnung von Praktika erörtert.

"Mit Monti besteht wenigstens ein bisschen Hoffnung, weil er kein Politiker ist, der unter Druck der Lobbys steht", glaubt Francesco Bureca, der trotz seines Abschlusses einer Elite-Uni keine Stelle findet. Der harte Kern der Linken hegt allerdings keine großen Erwartungen, dass es den Armen unter der neuen Regierung besser gehen würde. "Die Regierung Monti ist aus dem Auftrag der (Industrievereinigung) Confindustria und der Banken geboren", erklärt der Vorsitzende der kleinen Kommunistischen Arbeiterpartei, Marco Ferrando. Er hat zu neuen Protesten aufgerufen. Die letzten großen Krisen-Demonstrationen im Herbst endeten auf den Straßen Roms in blutigen Krawallen.

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