Frankfurt/Main (dapd). Wie ein Stehaufmännchen hat Silvio Berlusconi in den vergangenen Jahren politische Klemmen, Finanzaffären und Sexskandale überstanden. Die Schuldenkrise jedoch und wachsende Zweifel, dass er den Karren aus dem Dreck zu ziehen vermag, bringen den "Cavaliere" nun ernsthaft ins Wanken. Vor einer kritischen Parlamentsabstimmung am Dienstag drängte ihn selbst Koalitionspartner Umberto Bossi von der Liga Nord, der schon 1994 die erste Regierung Berlusconi zu Fall gebracht hatte, zum Rücktritt.
Keine vier Wochen ist es her, dass die - nun wieder anstehende - Routineabstimmung über den Rechenschaftsbericht verloren ging und der Ministerpräsident zum 51. Mal in seiner politischen Karriere die Vertrauensfrage stellte. Er gewann. Seitdem ist allerdings die Sorge gewachsen, dass Italien ein zweites Griechenland werden könnte, und mit ihr die Skepsis, ob Berlusconi die nötigen Sparmaßnahmen und Reformen packt. Auf Fragen danach hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicholas Sarkozy auf dem Brüsseler Doppelgipfel Ende Oktober nur ein süffisantes Lächeln übrig.
Berlusconi behauptete daraufhin in einem Telefonanruf beim italienischen Sender RAI, Merkel habe sich bei ihm dafür entschuldigt - was deutsche Delegationskreise in Brüssel indes ganz anders sahen. Der 75-Jährige ist wohl die schillerndste Person in der europäischen Politik. Im Bau- und Mediengeschäft brachte er es zeitweise zum reichsten Mann Italiens, seit 15 Jahren prägt er die italienische Politik. Die Bürger haben ihm schon einiges nachgesehen: "Bunga-Bunga"-Partys und Schönheitsoperationen, maßgeschneiderte Gesetze zum Schutz des Regierungschefs und Korruptionsvorwürfe, minderjährige Prostituierte und flapsige Äußerungen auf internationalem Parkett.
In den vergangenen Monaten machte der italienische Ministerpräsident weniger mit politischen Initiativen Schlagzeilen, als vielmehr mit jugendlichen Geliebten und wilden Partys. Offenbar ließ er sich für seine Feiern junge Frauen von einem Geschäftsmann aus Bari zuführen. Die mutmaßlichen Prostituierten sollen sogar in Regierungsflugzeugen zu den Partys eingeflogen worden sein. In abgehörten Telefongesprächen mit dem inzwischen festgenommenen Geschäftsmann Gianpaolo Tarantini prahlte Berlusconi mit seiner Manneskraft. So habe er damit angeben, dass elf Frauen vor seinem Zimmer Schlange gestanden hätten. Er habe aber nur mit acht von ihnen geschlafen, weil "du es nicht mit allen treiben kannst".
Berlusconi gilt als begnadeter Selbstdarsteller, der sich für sein jugendliches Image das stets gebräunte Gesicht straffen und Haare verpflanzen ließ. Bereits sein Jurastudium finanzierte er sich als Pianist auf Kreuzfahrtschiffen und mit Auftritten als Sänger. Noch vor seinem Abschluss 1959 wurde er Geschäftsführer eines Mailänder Bauunternehmens, 1961 machte er sich selbstständig. Berlusconi etablierte sich schnell als Investor zukunftsweisender Wohn- und Geschäftskomplexe um Mailand.
In den 70er-Jahren richtete Berlusconi sein unternehmerisches Interesse zunehmend auf den Mediensektor. Er war maßgeblich am Aufbau des Privatfernsehens in Italien beteiligt und vereinte bereits Mitte der 80er fast zwei Drittel der TV-Werbung Italiens in seiner Senderfamilie. Über die Holdings Fininvest und Mediaset ist Berlusconi an Filmproduktionsgesellschaften und Videotheken, Verlagen und Sportvereinen beteiligt. Von 1986 bis 2004 war er Präsident des Fußballvereins AC Milan.
Mit der Gründung seiner Partei Forza Italia (FI) trat Berlusconi 1994 in die Politik ein. Bei den Wahlen im März 1994 wurde die FI mit 21,5 Prozent auf Anhieb stärkste Partei, Berlusconi konnte seine Regierung allerdings nur bis Dezember behaupten. Nach dem Rücktritt als Ministerpräsident arbeitete er am Aufbau eines stabileren Mitte-rechts-Bündnisses und gewann damit zwischen 1996 und 2001 sämtliche Kommunal- und Regionalwahlen. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2001 sicherte sich Berlusconis neues Bündnis Casa delle Libertà die absolute Mehrheit. Die FI wurde mit Abstand stärkste Partei, Berlusconi hatte das Amt des Regierungschefs bis 2006 inne.
Bereits seit Mitte der 90er Jahre liegt Berlusconi mit der italienischen Justiz im Dauerclinch. Zu den Vorwürfen gegen ihn gehörten Meineid, Bestechung, illegale Parteienfinanzierung, Bilanzfälschung, Steuerhinterziehung und Mafiakontakte, ohne dass es in insgesamt elf Verfahren zu einer rechtskräftigen Verurteilung kam. Im Juni 2003 verabschiedete das Parlament unter Boykott der Opposition ein umstrittenes Immunitätsgesetz ("Lex Berlusconi") für die vier höchsten Amtsträger der Republik.
Nach dem Scheitern der Mitte-links-Koalition unter Romano Prodi gewann Berlusconi 2008 mit seiner neuen Partei Volk der Freiheit (PdL) die vorgezogenen Neuwahlen und kehrte ins Amt des Ministerpräsidenten zurück.
Doch die wiederholten Angriffe auf seine Person und der Dauerbeschuss aus der Justiz nagen offenbar auch an einem Mann mit einem solch ausgeprägten Ego wie dem Berlusconis. In einem abgehörten Telefonat mit einem Zeitungsverleger brach sich kürzlich seine Frustration Bahn. "In ein paar Monaten verschwinde ich aus diesem Scheißland, von dem mir schlecht wird", soll er gepoltert haben. Das sei eines dieser Dinge, die man am späten Abend mit einem Lächeln sage und nicht ernst meine, wurde er kurz darauf von italienischen Medien zitiert.
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