Berlin (dapd). Die Bundesregierung strebt eine weltweite Sanierung der Staatsfinanzen, eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte und eine globale Finanztransaktionssteuer an. Die Transaktionssteuer dürfte allerdings auf dem Weltwirtschaftsgipfel am Donnerstag und Freitag in Cannes nicht beschlossen werden, hieß es am Montag in Regierungskreisen in Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble möchte die Steuer daher in der EU einführen, und wenn das wegen britischen Widerstands nicht geht, zuerst in der Eurozone, wie er der "Financial Times" (Montagausgabe) sagte.
Ein Scheitern der Steuer beim G-20-Treffen dürfe keine Ausrede sein, sie nicht in der EU einzuführen, sagte Schäuble weiter. Er sei sich des britischen Widerstands bewusst. Daher strebe er die Steuer auch nur für die Eurozone an. Der Finanzmarkt sollte sich konzentrieren auf die Rolle, die Realwirtschaft zu finanzieren. Dies liege in seinem eigenen langfristigen Interesse.
In Cannes stünden im Mittelpunkt die Weltfinanzkrise, das nachlassende Wirtschaftswachstum und die Rohstoffe, hieß es in den Kreisen weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werde einzeln US-Präsident Barack Obama treffen, um sich mit ihm abzustimmen. Weitere Treffen mit anderen Politikern seien geplant.
Indirekte Kritik an Frankreich
In den Kreisen der Bundesregierung hieß es weiter, nur vier der G-7-Staaten erfüllten die G-20-Pläne zur Senkung der Neuverschuldung: Kanada, Großbritannien, Italien und Deutschland. Die anderen G-7-Länder sind die USA, Frankreich und Japan. Bis 2013 sollten die Haushaltsdefizite seit 2010 halbiert werden, von 2016 der Anteil des Schuldenbergs an der Wirtschaftsleistung sinken.
Die Zusammenarbeit des Euro-Rettungsschirmes EFSF mit dem Internationalen Währungsfonds IWF solle auf dem Gipfel ebenfalls besprochen werden. Der IWF diskutiere vor dem Gipfel auch noch in seinem Vorstand über die Erhöhung und Flexibilisierung seiner kurzfristigen Finanzhilfen, hieß es in den Kreisen weiter. Eine Ausweitung der Mittel des IWF lehne Berlin aber ab.
Die Bundesregierung hoffe nicht bloß auf Asien bei der Stärkung des Euro-Rettungsschirms EFSF. Auch Norwegen oder die Schweiz hätten finanzielle Reserven. Der EFSF sei eine gute Möglichkeit für Investoren, die ausdrücklich keinen politischen Einfluss anstrebten. In diesem Sinne sei die Peking- und Tokio-Reise des EFSF-Chefs Klaus Regling vom Wochenende zu interpretieren.
29 Banken global systemrelevant
Weltweit gälten 29 Banken als global systemrelevant. An sie würden auf dem Gipfel stärkere Anforderungen zur finanziellen Solidität gestellt. 2012 werde diese Liste um nationale oder regional systemrelevante Banken ergänzt.
Außerdem sollen in Cannes Arbeiten beginnen, wie das Schattenbanken-System reguliert werde. Gemeint damit sei "alles, was sich wie eine Bank verhält, aber nicht beaufsichtigt wird", also Geldmarktfonds, Verbriefungen, Wertpapierleihe und Hedge-Fonds. Merkel werde daher noch am Mittwoch ein Gutachten der Issing-Kommission des früheren Bundesbankers bekommen. Schätzungen zufolge umfassten die Schattenbanken rund 30 Prozent des weltweiten Finanzsystems, in den USA sogar mehr als die Hälfte. Ihr Geschäftsvolumen habe sich seit 2002 von 25 Billionen Dollar mehr als verdoppelt auf rund 60 Billionen Dollar im Jahr 2010.
Der chinesische Präsident Hu Jintao dämpfte derweil die Hoffnungen auf direkte finanzielle Hilfe für die Krisenländer der EU. "Wir sind überzeugt, dass Europa die Klugheit und die Kompetenz besitzt, mit den finanziellen Schwierigkeiten fertig zu werden", sagte Hu am Montag in Wien. Peking hat bisher lediglich zugesagt, bestehende Handelsverträge einzuhalten und einen Teil seines Außenhandelsüberschusses in sichere Anleihen europäischer Staaten anzulegen. Hu wird am Donnerstag zum G-20-Gipfel erwartet.
Der Euro-Rettungsfonds EFSF teilte unterdessen mit, dass er als nächste Tranche drei Milliarden Euro für Irland aufnehmen will. Im Januar hatte der EFSF fünf Milliarden Euro auf fünf Jahre für Irland aufgenommen.
Unterdessen wurden in Cannes die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Gipfel massiv verstärkt. Der einige Kilometer lange und rund 800 Meter breite Bereich zwischen dem Bahnhof und der Küstenpromenade, der Croisette, kann nur noch mit einem speziellen Sicherheitscode betreten werden. Das Treffen der G-20-Staatschefs am Donnerstag und Freitag in Cannes gehört zu den am aufwendigsten gesicherten Veranstaltungen der Welt. Rund 12 000 Polizisten und Spezialkräfte sind vor Ort.
dapd