L'Aquila. Nach dem schweren Erdbeben in den italienischen Abruzzen laufen die Rettungsarbeiten fieberhaft weiter. Von Dienstag an solle die Suche nach Vermissten noch 48 Stunden weitergehen, kündigte Regierungschef Silvio Berlusconi an. Hilfsangebote aus dem Ausland lehnte er ab.
Mit Spürhunden und unterstützt von Freiwilligen haben tausende Rettungskräfte einen Tag nach dem schweren Erdbeben in den italienischen Abruzzen fieberhaft nach weiteren Überlebenden gesucht. Bis zum Mittag stieg die Zahl der Toten laut Regierungschef Berlusconi auf 207. Allein in dem 300-Einwohner-Dörfchen Onna bei L'Aquila starben 40 Menschen. Etwas mehr als 1000 Menschen wurden demnach verletzt, 500 lagen noch im Krankenhaus.
Berlusconi kündigte an, die Rettungsarbeiten sollten von Dienstag gerechnet in 48 Stunden enden. Dann gebe es Gewissheit, dass niemand mehr unter den Trümmern sei. Zuletzt wurden nach seinen Angaben noch 15 Menschen vermisst.
Zeit bis zur Rettung mit Häkeln vertrieben
Die rund 7000 staatlichen Rettungskräfte bargen nach Berlusconis Angaben 150 Menschen lebend aus den Trümmern. Darunter war Medienberichten zufolge eine 98-Jährige, die am Morgen 30 Stunden nach dem Beben wohlbehalten geborgen wurde. Die alte Dame sagte, sie habe sich die Zeit bis zu ihrer Rettung mit Häkeln vertrieben, wie die Nachrichtenagentur ANSA meldete.
Regierungschef Berlusconi lehnte Hilfsangebote aus dem Ausland ab. Unterstützung sei nicht nötig, sagte er. Die Italiener seien "ein stolzes Volk" und kämen allein zurecht. Unter anderem Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte den italienischen Rettungskräften Unterstützung angeboten.
17.000 Obdachlose
Das Koordinierungszentrum der Rettungskräfte vor Ort korrigierte die Zahl der obdachlos gewordenen Menschen derweil nach unten. Durch das Beben in der Region um die Regionalhauptstadt L'Aquila verloren demnach etwa 17.000 Menschen ihr Dach über dem Kopf. Die Stadtverwaltung hatte die Zahl der Obdachlosen zuvor mit 50.000 angegeben, die italienische Regierung hatte sie auf 70.000 geschätzt.
Bis Dienstagmittag erschütterten mehr als 280 teils heftige Nachbeben die Region und versetzten die überlebenden Erdbebenopfer erneut in Angst und Schrecken. In L'Aquila übernachteten dutzende Überlebende bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in ihren Autos auf einem großen Parkplatz.
Hotels stellen Betten bereit
Andere Erdbebenopfer wurden in Kasernen, Stadien und Sporthallen untergebracht, viele flüchteten aus der Katastrophenregion und suchten Unterkunft bei Freunden oder Verwandten. Hotels in der Region stellten mehr als 13.000 Betten für Betroffene bereit. Berlusconi kündigte die Errichtung von 20 Zeltlagern mit 16 Feldküchen an, die 14.500 Menschen aufnehmen könnten.
Im mittelalterlichen Stadtkern von L'Aquila gab es praktisch keine Straße ohne schwer beschädigte Gebäude. Zahlreiche Gebäude aus dem Barock und der Renaissance stürzten ein, Kirchen und ein Schloss aus dem 15. Jahrhundert wurden beschädigt. Aus Sicherheitsgründen sagte die katholische Kirche die Osterfeierlichkeiten in der Stadt ab. Alle Kirchen seien beschädigt worden, sagte Erzbischof Giuseppe Molinari laut ANSA. Große Teile der Stadt waren am Dienstag noch immer ohne Wasser und Strom.
Milliardenschaden
Die Regierung gab 130 Millionen Euro Nothilfe für den Rettungseinsatz frei. Nach einer ersten Schätzung von Infrastrukturminister Altero Matteoli wird es etwa 1,3 Milliarden Euro kosten, die beschädigten Gebäude wiederaufzubauen. Nach Berichten über Plünderungen kommandierte die Regierung rund 200 Polizisten zum Schutz von Häusern und Geschäften ab.
Das Beben hatte die Region um L'Aquila in den Abruzzen gegen 3.30 Uhr in der Nacht zu Montag erschüttert. In Italien besteht hohe Erdbebengefahr, da das Land am Zusammenstoß zweier tektonischer Platten liegt. Immer wieder kommt es zu heftigen Erdstößen mit verheerenden Folgen.
Schwerstes Beben seit 30 Jahren
Das Hauptbeben hatte laut italienischen Geologen eine Stärke von 5,8, amerikanische Seismologen registrierten sogar eine Magnitude von 6,3. Der Erdstoß riss die Menschen am Montagmorgen aus dem Schlaf. Die Erschütterungen waren im rund 100 Kilometer südwestlich gelegenen Rom noch zu spüren. Dort wurden neue Risse in den Ruinen der Caracalla-Thermen aus dem dritten Jahrhunderte registriert.
Das Beben war das schwerste in Italien seit fast 30 Jahren. Am 23. November 1980 wurden bei einem Erdstoß der Stärke 6,9 im Süden des Landes rund 3.000 Menschen in den Tod gerissen. Zuletzt wurde Italien am 31. Oktober 2002 von einem heftigen Beben heimgesucht. Bei dem Erdstoß der Stärke 5,4 wurden 28 Menschen in der Region Molise getötet. 27 von ihnen waren Kinder, deren Schule einstürzte. (ap/afp)
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