Brüssel (dapd). Trotz tagelanger Marathonverhandlungen streiten Deutschland und Frankreich weiter über den Befreiungsschlag für Griechenland. Die Berliner Drohung, den Banken zur Not einen drastischen Schuldenschnitt von bis zu 60 Prozent aufzuzwingen, geht Paris viel zu weit. "Wir müssen mit dem Privatsektor eine Lösung auf freiwilliger Basis finden", sagte Staatspräsident Nicolas Sarkozy in einer Pause der Gipfelsitzungen am Sonntagnachmittag in Brüssel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte diese Festlegung auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Sarkozy demonstrativ ab. Die Verhandlungen mit den Banken hätten gerade begonnen. Es sei "völlig ausgeschlossen, dass wir irgendwelche Spekulationen über irgendwas anstellen". Sie gab lediglich das klare Ziel vor: Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands sicherzustellen.
Damit ist auch drei Tage vor Ablauf der bereits auf kommenden Mittwoch verschobenen Frist offen, ob der Durchbruch im Kampf gegen die Schuldenkrise endlich gelingen kann. Geschlossenheit demonstrierten Merkel und Sarkozy immerhin gegenüber ihrem italienischen Kollegen Silvio Berlusconi: Beide machte ihm in einem Dreiergipfel klar, dass er seine Hausaufgaben noch machen muss, damit die Instrumente zur Eindämmung der Schuldenkrise, von denen gerade Rom profitieren soll, am Mittwoch auch eingesetzt werden.
"Italien hat einen hohen Gesamtschuldenstand und der muss abgebaut werden, das ist die Erwartung", sagte sie. Sarkozy hob vielsagend hervor, dass dass andere bisherige Sorgenkind, Spanien, "nicht mehr in der ersten Linie" stehe. Auch EU-Ratspräsident Herman van Rompuy redete Berlusconi ins Gewissen, "seine versprochenen Reformen auch wirklich umzusetzen". Ob der italienische Regierungschef die Botschaft wirklich ernst genommen hat, blieb offen. Er reagierte zunächst gewohnt flapsig, er habe "in der Schule noch nie nachsitzen müssen".
Das Gesamtpaket soll auf dem zweiten Teil des Euro-Gipfels am Mittwochabend verabschiedet werden. Dazu gehört ein Hebel für den Euro-Rettungsfonds EFSF, gemeinsame Regeln zur Bankenrekapitalisierung und der Auftrag an Ratschef Van Rompuy, bis Dezember Möglichkeiten vorzulegen, die Eurozone mit "begrenzten Vertragsänderungen" krisenfest zu machen.
Die Notwendigkeit zu einem weitgehenden Schuldenschnitt für Griechenland war am Freitag endgültig klar geworden: Die Troika deckte in ihrem jüngsten Schuldenbericht eine Finanzlücke von 252 Milliarden Euro bis 2020 auf, mehr als doppelt so viel wie im Juli vermutet. Das würde einen Forderungsverzicht von 60 Prozent notwendig machen, um die Schulden bis 2020 auf 110 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung zu drücken. Laut Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker herrscht Einigkeit, dass der Anteil der Banken gegenüber den im Juli vereinbarten 21 Prozent "erheblich" steigen muss. Seit dem Wochenende verhandelt Griechenland nun mit seinen Privatgläubigern, auch wenn Berlin und Paris über den Ausgang noch zerstritten sind. Ein Datum über das Ende des Pokers wurde deswegen wohlweislich noch nicht genannt.
Die internationalen Banken kündigten schon mal Widerstand an. Die Vertreter der Euro-Staaten und Geldhäuser seien "nicht einmal in der Nähe einer Einigung", sagte der Geschäftsführer des Internationalen Bankenverbandes (IIF), Charles Dallara, der Nachrichtenagentur AP.
Die deutschen Banken reagierten flexibler. Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, erklärte: "Die deutschen Banken sind gut kapitalisiert. Ein angemessener Schuldenschnitt in der Griechenland-Krise ist für sie verkraftbar."
Damit die wichtigen europäischen Banken von der Schuldenkrise nicht in die Schieflage gedrückt werden, einigten sich die Finanzminister in ihrer Nachtsitzung auf eine Kapitalspritze von rund 110 Milliarden Euro. Das soll reichen, um die Kernkapitalquote der Institute auf neun Prozent anzuheben. Das Vorgehen ist dreistufig: In einem ersten Schritt sollen die Institute versuchen, sich am Markt selbst mit frischem Geld zu versorgen. Scheitert dies, müssen die Staaten einspringen. Erst wenn die Regierungen überfordert sind, kann der Euro-Rettungsfonds EFSF angezapft werden, dafür aber Gegenleistungen erbringen.
Merkel sagte, beim Hebel für den Rettungsschirm EFSF seien nur noch zwei Varianten im Spiel. Das von Frankreich angestrebte Anzapfen der Zentralbank gehöre nicht dazu. Eine Variante sieht nach Informationen der Nachrichtenagentur dapd vor, das Euro-Ausland anzupumpen. Staatsfonds aus Singapur, Norwegen oder Katar oder der Internationale Währungsfonds könnten eine neue Zweckgesellschaft einrichten, in die der EFSF Geld einzahlen würde, damit eventuelle Verluste abgedeckt würden. Die Zweckgesellschaft könnte dann bei Anleihe-Auktionen von Staaten mitmachen und so deren Zinsen dämpfen. Dies könnte die Brandmauer für Italien und Spanien beim Schuldenschnitt für Griechenland sein.
Variante zwei ist eine Versicherungslösung: Dabei würden die EFSF-Milliarden zur Absicherung neuer Staatsanleihen genutzt. Mit diesen Garantien der Europartner könnte ein Anleihenvolumen von mehr als einer Billion Euro "teilkaskoversichert" werden. Diplomaten zufolge könnten die beiden Modelle kombiniert werden. Allerdings muss der Deutsche Bundestag die Varianten erst billigen, bevor Merkel am Mittwoch zurück in Brüssel ihre Zustimmung geben kann.
dapd