Brüssel (dapd). Die EU bereitet einen Schuldenschnitt für Griechenland mit allen Konsequenzen vor. Der Gläubigerverzicht werde "Richtung 40 bis 50 Prozent gehen", sagte der österreichische Kanzler Werner Faymann dem "Wiener Kurier". Der französische Staatschef Nicolas Sarkozy sagte bei einem EU-Gipfel am Sonntag in Brüssel: "Wir müssen mit den Partnern eine freiwillige Lösung finden." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte auch Italien zum Abbau seines Schuldenbergs auf. "Italien hat einen hohen Gesamtschuldenstand und der muss abgebaut werden, das ist die Erwartung", sagte sie.
Sarkozy lobte ausdrücklich drei Länder für ihre Anstrengungen: Irland, Portugal und Spanien. Italien und Griechenland nannte er nicht. Er und Angela Merkel hätten nicht nur den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi getroffen, sondern würden auch noch den griechischen Ministerpräsidenten Giorgios Papandreou treffen.
In drei Tagen soll das Gesamtpaket auf einem Euro-Zonen-Gipfel verabschiedet werden. Hinzu kommt nun ein EU-Gipfel am Mittwoch abend für alle 27 Länder. Zum Paket gehört neben dem Schuldenschnitt eine Banken-Rekapitalisierung, ein Hebel für den Rettungsfonds EFSF sowie ein Fahrplan in Richtung einer europäischen Wirtschaftsregierung. Um dieses Ziel zu erreichen, könnten Vertragsänderungen "kein Tabu sein", sagte Merkel.
Für Griechenland bezifferte der neueste Troika-Bericht die Finanzlücke auf 252 Milliarden Euro bis 2020. Das würde einen Forderungsverzicht von 60 Prozent notwendig machen, um den Schuldenstand Griechenlands bis 2020 auf 110 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung zu drücken. Laut Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker herrscht Einigkeit, dass der Anteil der Banken gegenüber den im Juli vereinbarten 21 Prozent "erheblich" steigen muss. Der belgische Ministerpräsident Yves Leterme sagte, die Vorschläge gingen "ziemlich weit".
Die internationalen Banken kündigten prompt Widerstand an. Die Vertreter der Euro-Staaten und Geldhäuser seien "nicht einmal in der Nähe einer Einigung", sagte der Geschäftsführer des Internationalen Bankenverbandes (IIF), Charles Dallara, der Nachrichtenagentur AP.
Die deutschen Banken gaben sich flexibler. Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes, erklärte: "Die deutschen Banken sind gut kapitalisiert. Ein angemessener Schuldenschnitt in der Griechenland-Krise ist für sie verkraftbar. Sollte im Einzelfall aus anderen Gründen zusätzliches Eigenkapital benötigt werden, muss dies individuell mit dem jeweiligen Institut besprochen werden."
Der Rahmen für eine Rekapitalisierung scheint der Banken weitgehend abgesteckt. Nach Angaben der dänischen Delegation haben sich die EU-Finanzminister in diesem Punkt geeinigt, im Gespräch sei eine Summe von etwas mehr als 100 Milliarden Euro. Die Kernkapitalquote der systemrelevanten Banken müsse auf neun Prozent angehoben werden, verlautete von Unterhändlern. Die Staats- und Regierungschefs müssten dies aber noch absegnen.
Damit die Banken für den möglichen Schuldenschnitt gerüstet sind, wurde ein dreistufiges Vorgehen bei der Bankenrekapitalisierung verabredet: In einem ersten Schritt sollen die Institute versuchen, sich am Markt selbst mit frischem Geld zu versorgen. Scheitert dies, müssen die Staaten einspringen. Erst wenn die Regierungen selbst überfordert sind, kann der Euro-Rettungsfonds EFSF angezapft werden. Frankreich konnte seine Forderung nach einer pauschalen staatlichen Finanzspritze für die Institute nicht durchsetzen.
Eine Einigung zeichnete sich auch im Streit über einen Hebel für den Rettungsschirm EFSF ab. Zwei Varianten wurden erwogen: Eine davon sieht nach Informationen der Nachrichtenagentur dapd vor, das Euro-Ausland anzupumpen. Staatsfonds aus Singapur oder etwa Norwegen könnten dafür beim EFSF einen neue Fonds einrichten. Der könnte dann die Rettungsmaßnahmen des Euro-Schirms aufstocken.
Variante zwei ist eine Versicherungslösung: Dabei würden die EFSF-Milliarden zur Absicherung neuer Staatsanleihen genutzt. Mit diesen Garantien der Europartner könnte ein Anleihenvolumen von mehr als einer Billion Euro "teilkaskoversichert" werden. Diplomaten zufolge könnten die beiden Modelle auch kombiniert werden. Dagegen werde der von Frankreich favorisierte Weg, dem EFSF eine Banklizenz zu verschaffen, damit er sich bei der EZB quasi unbegrenzt Liquidität besorgen kann, nicht länger verfolgt.
Vor dem Brüsseler Gipfel wurde die Tonart ruppiger. Der niederländische Premierminister Mark Rutte griff Athen scharf an. "Es war inakzeptabel, wie die Dinge in Griechenland außer Kontrolle geraten sind", sagte er. "Wir sind alle unglaublich verärgert, dass wir Geld in diese Sache stecken müssen. Wir müssen sicherstellen, dass wir die idiotische Situation in Ordnung bringen. Jeden Monat müssen wir uns hier treffen, um dies zu besprechen."
Rutte verlangte klare Entscheidungen, "die unseren Geldbeuteln nützen, die gut sind für unsere Arbeitsplätze und unsere Renten". Seit Juli sei die Lage in Griechenland "dramatisch schlechter" geworden, "obwohl wir gedacht hatten, dass wir sie in Ordnung gebracht hätten".
Der gescholtene Premier Giorgios Papandreou verteidigte sich vehement: "Griechenland hat immer wieder bewiesen, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen, um unsere Wirtschaft nachhaltig und gerechter zu machen." Er verlangte "Respekt für das, was wir tun". Griechenland nehme seine Verantwortung wahr, unter großen Schmerzen ein anderes Land zu werden.
dapd