Duisburg (dapd). Lange hat die Duisburger Unternehmerdynastie Haniel ein Leben abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit geführt. Zwar mächtig und reich, aber viel weniger bekannt als andere Familienclans wie die Quandts, die Flicks oder die Thyssens. Doch spätestens mit dem jüngsten Machtkampf um den Chefposten des größten deutschen Handelskonzerns Metro hat sich das geändert.

"Wir haben uns nicht vorstellen können, dass dieses Thema eine solche Brisanz entwickelt", gestand erst kürzlich das Familienoberhaupt Franz Markus Haniel in einem Interview. Wie mit einem Brennglas wurde durch den Monate andauernden Streit um Metro-Chef Eckhard Cordes die Aufmerksamkeit auch auf die sonst so verschlossene Ruhrdynastie gelenkt. Denn Haniel ist der größte Einzelaktionär der Metro.

Familienoberhaupt Franz Haniel und der Vorstandsvorsitzende des Haniel-Konzerns, Jürgen Kluge, spielen denn auch Schlüsselrollen in dem Düsseldorfer Machtpoker - unglückliche Schlüsselrollen.

Denn beide zögerten zunächst, sich klar hinter Cordes zu stellen, als die Diskussion über seine Vertragsverlängerung hochkochte. Gewollt oder ungewollt erweckten sie damit den Eindruck, ihn loswerden zu wollen. Als sie sich dann doch noch zu einem "Ja" für den Manager durchrangen, war es zu spät. Der Widerstand im Metro-Aufsichtsrat gegen den zuletzt glücklos agierenden Konzernchef war zu groß geworden.

Am Ende verzichtete Cordes auf eine Vertragsverlängerung und brachte damit den Haniel-Clan in zusätzliche Bedrängnis. Denn einen Nachfolger für Cordes hatten weder Kluge als Metro-Aufsichtsratsvorsitzender noch Haniel in petto. Der Düsseldorfer Handelsriese, die größte Perle im Haniel-Firmenimperum, rutschte tief in eine Führungskrise.

Doch ist das zögerliche Agieren von Franz Haniel und Kluge eigentlich nicht verwunderlich. Denn die Duisburger Familiendynastie ist alles andere als ein monolithischer Block. Hinter dem Namen Haniel verbergen sich mehr als 600 Familienmitglieder, aufgespalten in diverse Stämme, mit großen Differenzen auch in wichtigen Fragen. So gab es in der Familie dem Vernehmen nach sowohl Befürworter als auch Gegner einer Vertragsverlängerung für Cordes.

Doch solche Differenzen sind in der mehr als 250-jährigen Geschichte des Familienclans nicht neu. Damit das Geschäft dennoch floriert, hat sich Haniel eigene Regeln gegeben. Die vielleicht wichtigste: Bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist kein Familienmitglied mehr im Unternehmen tätig. Die Unternehmensführung liegt in der Hand familienfremder Manager. Das soll verhindern, dass unternehmerische Entscheidungen von verwandtschaftlichen Verpflichtungen beeinflusst werden.

Die Mitglieder der Großfamilie sind in der Gesellschafterversammlung organisiert. Sie tagt einmal im Jahr und wählt aus ihrer Mitte den Familienbeirat. Er ist das Bindeglied zwischen der Familie und dem Unternehmen. Der Beirat besteht aus bis zu 30 Familienmitgliedern. Acht von ihnen vertreten die Familieninteressen im Aufsichtsrat und bestimmen dort die Geschäftspolitik und die Unternehmensstrategie mit. Den Vorsitz des Aufsichtsrats hat stets ein Familienmitglied inne - derzeit Franz Haniel.

Für die junge Haniel-Generation gibt es eigene Veranstaltungen, in denen die heranwachsenden Gesellschafter mit dem unternehmerischen Credo der Familie vertraut gemacht werden. Ein Beispiel für die "Gesetze" der Haniels: Die Familie beansprucht maximal 25 Prozent des Gewinns für sich, der Rest wird in das Unternehmen reinvestiert.

Der Grundstein für das Familienunternehmen wurde schon 1756 gelegt, mit der Gründung eines Lagerhauses für Kolonialwaren in den "Königlichen Gärten" in Duisburg-Ruhrort. Der Erbpachtvertrag für das Grundstück wurde damals von keinem Geringeren als dem Preußenkönig Friedrich II. unterschrieben.

Das Unternehmen expandierte schnell. Schon wenig später lieferten die Duisburger Eisen und Stahl aus dem Ruhrgebiet in die Welt, engagierten sich im Kohlehandel und in der Schifffahrt.

Anfang des 19. Jahrhunderts wurden dann aus den Händlern Industrielle. Die Haniels betrieben Stahlwerke und Zechen, bauten Lokomotiven und Schiffe und stärkten gleichzeitig ihr Handelsimperium. Nicht nur geschäftliches Geschick war für den Aufstieg verantwortlich, auch arrangierte Ehen dienten dazu, die Macht des Familienclans zu vergrößern.

In der Nazi-Zeit spielte Haniel eine nicht unbedingt ruhmreiche Rolle. Zwar stand das Unternehmen dem Hitler-Regime nach eigenen Angaben "skeptisch bis ablehnend" gegenüber. Doch belieferte die Konzerntochter Rheinpreussen die Wehrmacht im Krieg mit aus Kohle gewonnenem Benzin. Und auch in der Haniel'schen Industrie und in den Bergwerken des Familienkonzerns arbeiteten Fremd- und Zwangsarbeiter.

Nach dem Krieg gelang dem Familienunternehmen trotz aller Zerstörung schnell die Rückkehr auf die Erfolgsspur. Dabei zeigte Haniel Gespür für strukturelle Umbrüche in der Wirtschaft. Schon frühzeitig trennte man sich von wenig zukunftsweisenden Beteiligungen wie der Zeche Rheinpreussen und kaufte sich mit den Verkaufserlösen in expandierende Branchen ein. Schon 1966 etwa beteiligte sich Haniel am gerade erst gegründeten Großhandelsunternehmen Metro.

In den 70er-Jahren zog sich die Familie komplett aus der Montanindustrie zurück, die so lange das Rückgrat des Familienunternehmens gebildet hatte. Stattdessen konzentrierte sich der Konzern immer mehr auf Handel und Dienstleistungen. Heute bilden neben dem Metro-Aktienpaket und dem Pharma-Großhändler Celesio Unternehmen für Rohstoffrecyling, Büroausstattung und Waschraumhygiene den Kern des Haniel-Konzerns.

In den vergangenen Jahren prägten vor allem drei Personen das Geschehen im Duisburger Familienimperium: Franz Haniel, Cordes und Kluge. Zusammen mit dem als hartem Sanierer bekannten früheren Mercedes-Manager Cordes baute Franz Haniel die Machtposition des Unternehmerclans bei der Metro aus und sicherte sich zusammen mit der verbündeten Familie Schmidt-Ruthenbeck die Aktienmehrheit bei Deutschlands größtem Handelskonzern.

Doch der Preis dafür war hoch. Durch den milliardenschweren Zukauf sitzt Haniel heute auf einem hohen Schuldenberg. Ende 2010 summierten sich die Nettofinanzschulden auf über fünf Milliarden Euro.

Die mit dem Geschäft verbundenen Hoffnungen auf rasche Gewinne haben sich dagegen nicht erfüllt. Im Gegenteil: Der Kurs der Metro-Aktie hat sich seit dem Zukauf halbiert. Pläne des Sanierungsexperten Cordes, die Metro vom "Kopf auf die Füße" zu stellen, blieben Stückwerk.

Außerdem sorgte der zuweilen ruppige Stil des Managers auch noch da für Streit, wo lange Zeit die Geschäfte florierten: bei den Elektronikmarktketten Media Markt und Saturn. Bei dem Versuch, die vollständige Kontrolle über die Handelsketten zu bekommen, überwarf sich Cordes völlig mit den Gründern und Miteigentümern Erich Kellerhals und Leopold Stiefel. Der inzwischen vor Gericht ausgetragene Streit droht mittlerweile beide Handelsketten zu lähmen.

Haniel-Vorstandschef Kluge kämpft unterdessen mit leeren Kassen. Der frühere Deutschland-Chef der Unternehmensberatung McKinsey wollte bei seinem Amtsantritt 2010 eigentlich die Investitionen des Familienunternehmen breiter streuen und dabei vor allem in vielversprechende Zukunftsfelder wie die Recyclingindustrie investieren. Dass drei Viertel des Beteiligungsvermögens in nur zwei Firmen - der Metro und Celesio - stecken, scheint ihm zu riskant. Doch das fehlende Geld verhindert zurzeit eine zügige Umsetzung der Pläne.

Im 256. Jahr der Firmengeschichte ist die Lage ist also nicht einfach für Haniel. Doch bleibt der Unternehmerfamilie ein Trost: Sie hat schon größere Krisen überstanden.

dapd