Essen. .
Rolf Potthoff hielt die Trauerrede auf der Gedenkveranstaltung zum einjährigen Todestag von Anneliese Brost:
„Ich danke dem Vorstand der Brost-Stiftung, dass ich die Gelegenheit bekommen habe, an diesem Tag über das Leben von Anneliese Brost zu sprechen.
Ich bin derzeit dabei, Material für eine Biographie über sie und Erich Brost zusammenzutragen -- warum schreibt jemand eine Biographie, warum beschäftigt sich jemand mit dem Leben anderer Menschen?
Im Fall Erich und Anneliese Brost gab es für mich zwei Motive. Zum einen: es ist eine absurde Tatsache, dass es wenig Literatur über das Wirken dieser beiden Personen gibt, obwohl sie doch deutsche Zeitungsgeschichte entscheidend mitgestaltet haben.
Zwar finden sich hier und da Aufzeichnungen, gelegentlich stößt man auf Interviews oder andere Facetten. Doch eine zusammenführende Brost-Dokumentation findet man nicht.
Das gilt insbesondere für Anneliese Brost, die in verschiedenen Rollen das Werden der WAZ von Anfang an miterlebt und später mitverantwortet hat. Zunächst als Mitarbeiterin, später als Ehefrau des Sozialdemokraten und Journalisten Erich Brost. Und zuletzt als Verlegerin.
Diese Informationslücke zu schließen -- das ist das eine Motiv des Buchprojektes.
Das andere Motiv ist die klare Haltung von Erich und Anneliese Brost. Selbstbeschränkung und gleichsam preußische Pflichterfüllung sind die Merkmale dieser Haltung.
Das lässt sich nicht zuletzt an ihrem Umgang mit ihrem Eigentum darstellen. Ihr Vermögen häufte sich im Laufe der Zeit zu Hunderten Millionen D-Mark, respektive Euro, an. Doch die Brosts führten zu keinem Zeitpunkt ein auffälliges öffentliches, geschweige denn ein verschwenderisches Leben.
Als eines Tages die Nichte Monika Wassmuth ihre Tante Anneliese Brost beim Packen der Urlaubskoffer scherzhaft fragte: „Hast Du denn Dein Geschmeide schon eingepackt?“, erwiderte ihre Tante: „Ach, sowas brauch’ ich doch gar nicht.“ Eine bezeichnende Antwort. Und authentisch, da war nichts kokettiert.
Meine Damen und Herren, ich werde mich in meinem Beitrag über das Leben von Anneliese Brost hier vor allem auf zwei Aspekte beschränken. Auf ihre frühen Jahre und auf ihr Wesen; das heißt auf die Art, in der Anneliese Brost auf die Menschen wirkte, die sie umgaben.
Diese frühen Jahre scheinen außerordentlich prägend gewesen zu sein und sie erklären auch die Begeisterung dieser Frau für das Zeitungmachen und, ja, ihre unverbrüchliche Liebe zur WAZ.
In der Tat – Anneliese Brost hatte Macht, Einfluss und lebte im Wohlstand.
Aber das alles ist ihr nicht in die Wiege gelegt.
Als einziges Kind von Heinrich und Johanna Brinkmann wird sie am 4. September 1920 in Bochum geboren. Die Brinkmanns wohnen am Hellweg in der Innenstadt. Der Vater ist Pferdehändler, die Mutter ist der politische Kopf der kleinen Familie: Sozialdemokratin und entschiedene Frauenrechtlerin. Sie hat Kontakt zur Sozialreformerin Marie Juchacz, die 1919 die Arbeiterwohlfahrt ins Leben rief.
Und wie sieht es im Ruhrgebiet Anfang der 20er-Jahre aus, in jener Zeit, in die Anneliese Brost hineingeboren wird?
Die alte Ordnung, das Kaiserreich, ist zerbrochen. Der Weltkrieg, der die Bevölkerung hatte hungern und leiden lassen, ist seit zwei Jahren vorbei, doch die Not ist nicht getilgt.
Noch immer hungern und leiden die Menschen und die politischen Verhältnisse im Land sind alles andere als stabil: In Berlin versuchen ultra-nationalistische Kräfte mit Hilfe schwerbewaffneter Freicorps die junge Republik zu stürzen und das Ruhrgebiet wird durch die Kämpfe der „Roten-Ruhr-Armee“ gegen diese Freicorps in die Konfrontation hineingezogen.
Dann grassiert die Inflation. Im Herbst 1923 kostet ein Pfund Brot 260 Milliarden Mark! Und überdies besetzen französische und belgische Soldaten das Ruhrgebiet, um Reparationszahlungen einzutreiben. Der Umgang der Franzosen mit der Bevölkerung ist oft rüde und rauh.
Es ist wahrhaft eine schwere und gefahrvolle Zeit!
Doch Heinrich Brinkmann bringt seine Familie durch. Er ist Händler, er hat seine Beziehungen. Er bringt die Familie auch durch die Nöte der Wirtschaftskrise 1929. Danach verdreifacht sich die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf rund 4,3 Millionen innerhalb eines Jahres – doch den Brinkmanns scheint es zu gelingen, Anneliese in einer gutbürgerlichen Atmosphäre aufwachsen zu lassen. Sie haben auch ein Kindermädchen, das sich um Anneliese kümmert.
Wenn Anneliese Brost später auf ihren Vater zu sprechen kam, dann beschrieb sie ihn immer als liebevoll. Eine Großnichte von ihr sagte mir, Anneliese habe den Vater geradezu „abgöttisch geliebt“.
Sie war viel mit ihm allein, weil ihre Mutter oft in der Frauenbewegung aktiv und nicht zu Haus war. Und dann habe der Vater immer gesagt: „Ach, lass sie doch… Wir beide schaffen das auch allein…“
Er befasst sich viel mit ihr, er schenkt ihr ein eigenes Pferd, er bringt ihr das Reiten bei – das alles will sagen: Die Brinkmanns halten offenkundig so gut es geht die Not der Zeit von ihrem Mädchen fern.
Doch lange hat Anneliese ihren Vater nicht. Sie ist zwölf, als er stirbt.
Heinrich Brinkmann ist wenige Monate tot, als Hitler die Macht übernimmt. Schnell schalten die Nazis ihre Gegner aus. Und auch Sozialdemokraten sind Opfer von Verfolgung und Terror.
Anneliese erlebt mit, wie bei der so genannten Bücherverbrennung auch Bücher ihrer Eltern vernichtet werden. In Bochum geschieht das am Abend des 9. Juni. Es ist ein regennasser Freitag. Ein gewaltiger Scheiterhaufen lodert am Kaiser-Wilhelm-Platz am Rande der Innenstadt zum Himmel. Zu Hunderten, nein, eher zu Tausenden drängen sich die Zuschauer dort. Ein Hitler-Junge legt vor der gespenstischen Kulisse den Eid ab, „allen undeutschen und volksfremden Geist auszurotten“.
Verbrannt werden Schriften aus der Stadtbücherei und aus den Schulen – aber es sind auch Bücher von Annelieses Eltern dabei. „Wir hatten viele Bücher“, sagte sie. „Sie sind verbrannt worden, das habe ich erlebt.“
Natürlich geht angesichts solcher eindeutiger Machtdemonstrationen in den Kreisen Angst um, in denen sich die Mutter bewegt, die engagierte Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin. Johanna Brinkmann fühlte sich zwar nicht unmittelbar verfolgt, doch es liegt eine ständige latente Bedrohung über Mutter und Tochter. Immer wieder gibt es Verhaftungswellen gegen Sozialdemokraten.
Um Anfeindungen oder gar Schlimmerem durch Nazi-Vasallen zu entgehen, verbergen sich also Mutter und Tochter in jener Zeit wiederholt bei Freunden.
Aber das Leben muss ja weitergehen. Ein fester Bezugspunkt für die Brinkmanns ist schon seit den 20er-Jahren das Haus des Großvaters, Hugo Glady. Der lebt in Dortmund-Berghofen, ist Sozialdemokrat und Schlosser.
Bei ihm und seiner Tochter Irene Weidemann sind die beiden immer wieder zu Besuch, meist an den Wochenenden. Hier, im ländlichen Berghofen verbringt Anneliese auch ihre Ferien. Es ist schöner als die Enge der Bochumer Innenstadt.
Und es wird Hugo Glady, der Großvater sein, der nach dem Krieg über sozialdemokratische Kanäle Anneliese Arbeit bei der Westfälischen Rundschau besorgen wird.
Aber noch herrscht das „Tausendjährige Reich“. Anneliese geht auf die Handelsschule. Die kostet Geld, aber die Tochter soll schließlich eine gute Zukunft haben. Und etwas Geld ist ja offenbar vorhanden.
Die Mutter bekommt etwas Rente. Auch wurde Vaters Pferdehandel verkauft. Und da sind ja noch zwei Cousinen – eine arbeitet in einem Eisenwarengeschäft, die andere ist Substitutin in einem Stoffhandel. Für die beiden kocht Johanna Brinkmann mittags Essen und bekommt dafür ein wenig nebenbei. Aber sie hat wohl weitere Gelegenheitsarbeiten angenommen, um sich und Anneliese über die Runden zu bringen.
Nach der Handelsschule arbeitet Anneliese. Und zwar bei einem Rechtsanwalt, der für die Schlegel-Brauerei tätig ist. Als der Jurist nach der deutschen Besetzung Polens nach Warschau wechselt, wechselt Anneliese mit. Das war um 1940/41.
Einige Zeit später geht auch Johanna nach Warschau. Offenbar aus einem ganz handfesten Grund: Der Hellweg liegt in der Nähe des Bochumer Hauptbahnhofs – und Bahnhöfe sind ein bevorzugtes Ziel von Luftangriffen. Bis Kriegsende wurde Bochum mehr als 200 Mal von Bombern heimgesucht.
In Warschau ist die junge Frau jetzt nicht mehr allein. Wie und wovon sie dort lebten, wird noch zu ermitteln sein. Anneliese Brost sprach später nicht darüber.
Leider kann sich auch Sonja Fuchs kaum noch erinnern. Sonja Fuchs war mit Anneliese in Warschau eng befreundet. Sie ist heute 90 und sie lebt in Hannover. In Warschau hatte sie eine Stelle als kaufmännische Angestellte. Anneliese sei dort Sekretärin gewesen, sagte Frau Fuchs mir.
Die Zeit, es war Krieg, sei nicht die „allerschönste“ gewesen. Und sie sagte: „Ja, wir wussten, dass es das Ghetto in der Stadt gab, und dass da schreckliche Dinge geschehen sind“, „aber nähere Berührung hatte weder sie noch ich damit“.
Mitte 1944 zieht Stalins Rote Armee in Warschau ein. Kurz zuvor aber gelingt es den beiden Brinkmanns, die Stadt zu verlassen. Sie kehren ins Ruhrgebiet zurück. Sie bringen einen toten Hasen mit. Fleisch ist rar in jener Zeit, ein Festmahl würde es werden. Aber die Rückfahrt ist lang. Nur Großvater Glady traut sich – übrigens unbeschadet – vom Hasen zu essen. Alle anderen rühren ihn nicht an.
Eigentlich hatten die Brinkmanns ja zur alten Wohnung am Hellweg zurückkehren wollen. Doch nun ist da – nichts! Das Haus hat einen Bombenvolltreffer erhalten.
Es ist müßig zu spekulieren, welchen Verlauf die Geschichte der Brinkmanns genommen hätte, wären Anneliese und ihre Mutter 1940 in Bochum geblieben.
Jetzt wird Berghofen für einige Jahre zum Lebensmittelpunkt. Dort, bei den Weidemanns kommen Mutter und Tochter unter. Man schlägt sich durch das Nachkriegs-Chaos im Ruhrgebiet, fährt wiederholt zum „Hamstern“ nach Gronau.
Es ist das Jahr 1946, als die Briten in ihrer Besatzungszone wieder deutsche Zeitungen zulassen. Die Briten wollen den Aufbau eines demokratischen Deutschland vorantreiben. Sie vergeben Lizenzen an Personen, die den nach dem Krieg neu zugelassenen Parteien nahestehen.
Anfang 1946 erhalten Heinrich Sträter und zwei weitere Sozialdemokraten die Lizenz für die Westfälische Rundschau, die in Dortmund erscheint, und zwar erstmals am 20. März 1946.
Sträter war ein prominenter Funktionär der IG Metall und zu dem hatte Hugo Glady einen guten Kontakt. In der Nachbarschaft nennt man ihn ohnehin nur den „roten Glady“. Der also setzt sich beim Genossen Sträter für Anneliese ein und so kann sie bei der Rundschau als Sekretärin anfangen, zunächst arbeitet sie im kleinen Team von Chefredakteur Walter Poller, später dann in Bochum.
Jetzt, kaum ein Jahr nach dem Krieg, ist auch Dortmund an vielen Stellen eine Wüste aus ausgebrannten Ruinen, Trümmern und Schutt und der Weg von Berghofen bis zur Rundschau in der Innenstadt ist weit. Aber Anneliese hat Arbeit und damit eine Perspektive. Außerdem: Die Rundschau bietet ihr ein sehr vertrautes, nämlich ein sozialdemokratisches Milieu. Walter Poller, der Chef, hat unter dem Hitler-Regime wegen seines Engagements im Widerstand im Zuchthaus und im Konzentrationslager Buchenwald gelitten. Er hat nur knapp überlebt.
Anneliese Brinkmann also, sie ist jetzt 25, gehört zu den 19 Frauen und Männern der Gründungsmannschaft der WR. Damit gehört sie -- und das ist erstaunlicherweise bis heute kaum wahrgenommen worden – schon zu dem Zeitpunkt zu den Pionieren westdeutscher Zeitungsgeschichte.
Das kleine Team ist hochmotiviert und stolz, bei den Ersten zu sein, die wieder Zeitung machen dürfen. Auch die SPD ist glücklich. Wie wichtig sie die Rundschau nimmt, belegt eine Äußerung von Philipp Sommerlad in seinem Buch über 70 Jahre sozialistische Bewegung in Bochum. Sommerlad ist der Schwager von Annelieses Großvater und er baute die Bochumer SPD wieder mit auf. Er schrieb: „Die Genossen jubelten auf. Die Partei hatte wieder eine Presse, in der Programm und Ziele der Sozialdemokratie öffentlich propagiert werden konnten.“
Es ist auch die Rundschau, durch die es zu ersten Kontakten zwischen Anneliese und Erich Brost kommt. Der ehemalige sozialdemokratische Danziger Abgeordnete und Nazi-Verfolgte kam am 8. Juni 1945 aus der Emigration aus London zurück und ist jetzt, 1946, Chefredakteur der Neuen Ruhr Zeitung in Essen. Anneliese Brinkmann ist immer dabei, wenn Rundschau-Chef Walter Poller gelegentlich mit dem Kollegen Brost telefoniert oder der die Rundschau besucht.
Doch es sind nur flüchtige Kontakte, die auch bald enden. Denn Erich Brost wechselt auf Wunsch der Parteiführung nach knapp einem Jahr als NRZ-Chefredakteur nach Berlin. Dort soll er als Kontaktmann der SPD-Führung mit dem Alliierten Kontrollrat fungieren. Brost arbeitet eng mit dem SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher zusammen und es hätte der Einstieg in eine weit nach oben führende Parteikarriere sein können. Denn auch die hatte Brost erwogen.
Es kam allerdings anders. Brost und der eigenwillige Kurt Schumacher verstehen sich nach einigen Monaten menschlich nicht mehr so gut. Auch haben sie divergierende Ansichten über den Kurs der Sozialdemokratie.
Deshalb ist Brost nicht abgeneigt, als ihm die Briten 1947 die Gründung einer neuen, parteiunabhängigen Zeitung im Ruhrgebiet antragen. Aber entschieden hat Brost sich noch nicht.
Er sondiert, prüft, sucht Kontakte, denkt über mögliche Mitarbeiter nach. In dieser Phase stellt der Parteisekretär der Bochumer SPD jetzt Anneliese Brinkmann dem suchenden Erich Brost näher vor. Anneliese ist der Bochumer SPD durch ihre Arbeit bei der Rundschau und das Partei-Engagement ihrer Mutter bekannt. Erich Brost sagte einmal, der Parteisekretär habe ihm Anneliese als Mitarbeiterin empfohlen, denn, so Brost: „Ich wollte jemand politisch Zuverlässiges haben“.
Wahrscheinlich ist so auch ein denkwürdiger Vorfall zu erklären, von dem Frau Brost erzählte. Die Geschichte könnte sogar mitentscheidend für die Beteiligung von Erich Brost an der Gründung der WAZ gewesen sein.
Demnach ruft Brost im Jahr 1947 Anneliese bei der Rundschau an. Er sagt: „Ich würde gern einmal mit Ihrer Mutter sprechen und würde dafür nach Bochum kommen.“ Es kommt zu der Begegnung, über die Frau Brost später wie folgt berichtete: „Das Gespräch hat die ganze Nacht lang gedauert. Er hat meine Mutter gefragt, was sie über das Angebot dächte, eine überparteiliche Zeitung zu gründen. Meine Mutter versuchte, ihn zu überzeugen: „Herr Brost, was Sie für Ihre Partei, für unsere Partei, tun können, das können Sie mit einer Zeitung viel besser, als wenn Sie in der Parteiführung in Berlin sind.“
Soweit die Schilderung von Anneliese Brost. Sie schloss: „Ich glaube, das hat ihn überzeugt, er hat das immer wieder gesagt.“ Wir wissen nicht, ob dieses Gespräch tatsächlich entscheidend war. Aber wir wissen ja, wie er sich entschied.
Als Brost und der Essener Journalist Jakob Funke die WAZ im April 1948 ins Leben rufen, ist Anneliese die erste Angestellte – neben zwei Fahrern: Ein Fahrer für Funke, ein Fahrer für Brost. Frau Brost fand später eine prägnante Formel für den Start der WAZ aus ihrer ganz persönlichen Sicht. Sie lautet: „Am 16. Februar wurde ich die erste Angestellte bei der WAZ. Und die nächsten kamen am 1. März, und am 3. April erschien die erste Ausgabe.“ So einfach ist Zeitgeschichte…
Und wieder gehört Anneliese zu den Zeitungspionieren im Nachkriegs-Deutschland. Jetzt arbeitet die 27-Jährige bei der WAZ. Und sie ist Feuer und Flamme. Das war auch noch im hohen Alter zu spüren, wenn sie von diesen Tagen des Anbeginns schwärmte: „Es gibt eine neue Zeitung!“ haben die Leute in Bochum gerufen, als wir mit der WAZ das erste Mal auf die Straße gingen. Am Rathausplatz in Bochum riss man uns die Zeitung aus der Hand. Es war wunderbar. Ein unglaubliches Gefühl war das damals!“
Und Frau Brost weiter: „Was mich auch fasziniert hat, waren die Zeitungsleute selbst wie Erich Brost und Walter Poller. Fasziniert hat mich ihre Begeisterung für alles, was neu war.“ Für Brost hat sie zeitlebens tiefe Bewunderung empfunden.
Erich Brost ist der Journalist, Jakob Funke der kaufmännische Kopf. Ihre WAZ hat eine Anfangsdruckauflage von 250.000 Exemplaren. Sie erscheint drei Mal in der Woche mit vier Seiten. Die Schrift ist furchtbar klein – Papierknappheit eben.
Sie erscheint anfangs in Bochum, weil dort, bei Laupenmühlen & Dierichs, die zu jener Zeit einzig noch intakte und verfügbare Anlage steht. Die Redaktion ist im Haus des früheren „Bochumer Anzeigers“ unterkommen. Rathausplatz 8.
Was Brost mit der WAZ erreichen wollte, sagte er so: „Sie sollte das Zusammengehörigkeitsgefühl der Ruhrbevölkerung fördern, der Wirtschaft dienen und den Gewerkschaften natürlich mit.“
Auch 1948 fällt das Zeitungmachen noch nicht wesentlich leichter als in der Zeit, da Anneliese bei der Rundschau begann. Oft gilt noch immer das Prinzip Improvisation: In den beiden Redaktionsräumen – einer für die Lokalredaktion und einer für die politische Redaktion -- der WAZ herrscht Enge. Anfangs müssen sich mehrere Mitarbeiter eine Schreibmaschine teilen. Reaktiviert werden auch zwei Schreibmaschinen, die Brost aus England mitbrachte. Es sind solche schweren, hohen Exemplare, wie man sie jetzt auf dem Trödelmarkt findet. Abends schraubt man die Glühbirnen heraus – wegen der Diebstahlsgefahr!
Und dann und wann geht Anneliese zur „Hauptstraße“, um Schreibpapier, Bleistifte und dergleichen zu kaufen. Dann geht sie zu „Ulla“. Ulla war in den 30er-Jahren in ihrer Klasse und sie führt jetzt das elterliche Schreibwarengeschäft.
„Ulla, wir machen eine Zeitung“, sagt Anneliese beim ersten Wiedersehen. „Verkaufst Du uns Papier?“ Ulla hat Papier, aber sie hätte es gern gegen Zucker getauscht. Damit wiederum kann die WAZ-Chefredaktion momentan nicht dienen. Ins Geschäft ist man trotzdem gekommen…
Als die WAZ 1953 das neue Verlagsgebäude in Essen bezieht, arbeitet Anneliese Brinkmann schon lange als „rechte Hand“ des Chefs.
Eine dramatische Nacht ist es für alle WAZ-Leute, als das Blatt zum ersten Mal auf der eigenen Rotation gedruckt wird. „Alle Mann mussten an Deck und feste mit anpacken“, so erinnerte sich der spätere Bonner Korrespondent Ernst Ney. Er schrieb: „Unter dem Beifall von Setzern, Metteuren und Redakteuren stieß die Maschine die ersten ganz und gar „hausgemachten“ Exemplare aus.“ – Das ist die Aufbruchstimmung, die Anneliese Brost in jener Zeit so liebte.
Es fällt auf, dass Anneliese Brinkmann das Glück hat, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und die richtigen Leute zu treffen. Und sie, diese selbstbewusste junge Frau, hat stets ihre Chancen genutzt.
Aber wie war der Mensch Anneliese Brost? Was war privat?
Da hielt sie sich bedeckt -- vielleicht, weil manche Erinnerung auch mit Enttäuschung zu tun hatte oder sie schmerzte?
Als sie in den frühen 50er-Jahren noch in Bochum bei der Rundschau arbeitet und bei ihrer Mutter im Vorort Grumme wohnt, lernt sie den Inhaber einer Bochumer Möbelschreinerei kennen. Man trifft sich, geht zusammen aus, verreist gemeinsam, aber man lebt nicht zusammen. Der Schreiner macht sich auch bei der Mutter gefällig, indem er für sie dieses und jenes Möbelstück fabriziert.
Die Liaison dauert einige Jahre, eine Verlobung ist dennoch nicht daraus geworden.
Die Verbindung bricht auseinander, als Anneliese eines Tages ein Behördenschreiben in die Hände fällt, aus dem hervorgeht, dass er mit einer anderen Frau ein uneheliches Kind hat. Sofort macht Anneliese Schluss.
Ihre Persönlichkeit reift mit der Arbeit bei Erich Brost. Sie gewinnt an „standing“, würde man heute wohl sagen. Siegfried Maruhn, der 1952 zur WAZ kam und 1970 die Nachfolge von Erich Brost als Chefredakteur antrat, beschrieb ihr Auftreten einmal so: „In der Redaktion wurde Brost von seiner Sekretärin abgeschirmt. Sie war sehr effektiv und erfüllte die Funktion des „gate keepers“ auf perfekte Weise.“
Wie Anneliese war auch Felicitas Kapteina von Anfang an bei der WAZ. Als sie nach längerem Aufenthalt in Süddeutschland in den 60er-Jahren zur WAZ heimkehrt, trifft sie Anneliese Brinkmann im Treppenhaus und meint, eine Veränderung zu spüren: „Da haben wir über die Arbeit gesprochen und da merkte ich, sie emanzipiert sich langsam zur Chefin. Sie war kühl und distanziert.
Aber sie war eine gute Sekretärin, und eine gute Buchhalterin. Sie hat auf die Pfennige gesehen, sie hat mit dafür gesorgt, dass die WAZ floriert.“
Tatsächlich möchte sie für sich und für Erich am liebsten alles selbst in die Hand nehmen und regeln. Was Erich Brost übrigens gar nicht immer gefiel.
1975 ist das Jahr, in dem aus der WAZ die WAZ-Mediengruppe wird. Auch die Westfälische Rundschau gehört nun dazu und für Anneliese Brinkmann schließt sich fast symbolisch ein Kreis: Es war ja die Rundschau, bei der alles begann.
1975 endet auch ein Abschnitt des privaten Lebens: Sie heißt nun nicht mehr Brinkmann, sondern Brost. Neun Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau schließen Anneliese und Erich Brost die Ehe. Nicht von ihr, von ihm geht dieser Schritt aus. Er sagt: „Ich heirate jetzt. Aber ich heirate nicht mit 80.“
Eigentlich könnte sie jetzt mit der Arbeit aufhören. Doch sie denkt nicht daran. Sie arbeitet weiter als seine rechte Hand. Und wenn sie Urlaub machen, dann besuchen sie zusammen Stationen seiner Emigration. Warschau, Stockholm, Helsinki. Und sie reisen nach Wien, Meran, zur Ostsee, immer wieder nach Venedig.
Sie ist die Selbstdisziplin in Person. Dienstlich wie privat. Sie sitzt aufrecht wie eine Statue. Ihr Äußeres muss von Kopf bis Fuß gepflegt sein, sonst tritt sie nicht aus dem Haus, sonst kommt ihr kein Besucher ins Haus. Wobei da auch Eitelkeit aufscheint – aber wer spricht sich davon schon frei?
Ein gewisser Stolz prägt sich im Laufe der Jahre heraus. Bei allem Verzicht auf Luxus möchte Anneliese Brost doch gern der Mittelpunkt sein. Sie ist durchaus egozentrisch, bestimmend, kann gar verletzen. Und dabei ist sie doch selbst sehr empfindlich und hinter der Kühle scheint oft ein allzu menschlicher Wunsch auf: Geliebt möchte sie werden.
Arroganz ist ihr fremd. Sie war wirklich stolz auf ihre Auszeichnungen wie das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und besonders auf den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen. Andererseits wollte sie aber nicht, dass solche Ehrungen in den Zeitungen der WAZ-Gruppe groß herausgestellt werden. Ein Widerspruch? Nicht für Frau Brost.
Dass man seine Frau respektiert, darauf legte schon ihr Ehemann Wert. Eine damalige Begebenheit macht das auf amüsante Art deutlich. Als Udo Lindenberg vor etlichen Jahren in der Westfalenhalle auftrat, gehörte das Ehepaar Brost zu den Ehrengästen. Lindenberg wurde zum Brost-Tisch geführt, um den Künstler dem Ehepaar vorzustellen. Doch er behielt den Hut auf, der ja sein Markenzeichen ist.
Erich Brost bat ihn wiederholt, aus Höflichkeit gegenüber den Damen am Tisch den Hut abzulegen. Lindenberg dachte nicht daran. Darauf erhob sich Erich Brost und sagte: „Komm Anneliese, das müssen wir uns nicht bieten lassen. Wir gehen.“
Distanz zu anderen halten – auch das war Lebensprinzip. Sie lässt nicht so einfach Menschen an sich heran. Man muss ihr Vertrauen gewinnen. Und wehe dem, der ihr Vertrauen missbraucht. Oder wenn sie sich von jemandem verletzt fühlte. Dann sind Bekanntschaften schnell beendet, sogar wenn es langjährige Freundschaften waren. Aus und vorbei. „Man hat mich sehr verletzt“, sagt sie dann und verliert darüber kaum ein weiteres Wort. Wenn Erich Brost „Nein“ sagte, dann meinte er „Nein“. Diese Konsequenz scheint sie von ihm übernommen zu haben.
Der Tod ihres Mannes ist eine radikale Zäsur in ihrem Leben. Sie empfand ihre Zusammenarbeit und ihre Ehe mit ihm als „eine wunderbare Zeit“. In einem Interview anlässlich des 90. Geburtstags von Erich Brost wurde sie gefragt: „Welche Wünsche haben Sie?“ Sie antwortete: „Dass wir noch lange zusammenbleiben.“
Fast genau zwei Jahre später sitzt sie am Krankenbett ihres Mannes. Er liegt sterbend im Krankenhaus. Er sagt, er hätte gern „ein Gläschen Wein“. Aus Sorge um seinen Zustand lehnt sie ab. „Bloß nicht!“ sagt sie und wird sich im Nachhinein vorwerfen, ihm den Wunsch nicht noch erfüllt zu haben. Aber sie konnte ja nicht ahnen, was sie am Tag darauf erwartet.
Am nächsten Morgen ist sie wieder an seinem Bett. Sie hält ihn im Arm. Plötzlich holt Erich, in wenigen Tagen würde er 92, tief Luft. Dann sinkt er in sich zusammen. Sie hält ihn fest, hat Angst, ihn loszulassen und ruft und ruft um Hilfe. Dann eilt jemand herbei. Aber niemand kann Erich Brost noch retten. Er ist tot.
Ein furchtbarer Moment. Ein halbes Jahrhundert kannten sie sich, haben die stürmischen Anfänge der Westdeutschen Allgemeinen gemeinsam erlebt und das Wachsen der Zeitung zum Medienkonzern. „Die WAZ ist unser Kind“ hat Frau Brost einmal gesagt. Aber nun ist es vorbei.
Mit Erich Schumann und Günther Grotkamp hat das Unternehmen seine langjährigen Geschäftsführer und Anneliese Brost führt die Aufgaben von Erich Brost in seinem Sinne fort. Nun ist sie Verlegerin, jetzt zählt ihre Unterschrift in allen geschäftlichen Belangen. Und was ihr verstorbener Mann für die Redaktion war, ist jetzt sie: Ein Garant für Kontinuität.
Und auch das Engagement der Brosts für das Gemeinwohl setzt sie fort. Sie haben jahrzehntelang soziale und kulturelle Einrichtungen geschaffen oder gefördert.
Ihre erste Stiftung entsteht gar aus ihrem Hochzeitsgeschenk: Als Erich Brost sie fragt, was sie sich denn als Geschenk zu diesem Anlass wünschen würde, fällt ihr „ein Chalet in der Schweiz“ ein. Erich Brost antwortet: „Was sollen wir mit einem Chalet in der Schweiz…?“ Der Ansicht schließt sie sich an. Und statt für das Chalet entscheidet sie sich dafür, ein Essener Kinderheim zu unterstützen, das Mädchen und Jungen aus gefährdeten Familien betreut.
Seitdem dehnt sie ihr Engagement aus. Sie unterstützt die Arbeiterwohlfahrt, gründet das Anneliese-Brost-Zentrum, ein Seniorenwohnheim. Auch fördert sie unter anderem Projekte zur deutsch-polnischen Verständigung, das Folkwang-Museum und die „Zeche Zollverein“. Den Erich-Brost-Saal hoch oberhalb der ehemaligen Kohlenwäsche schätzt sie ganz besonders. Ein riesiges aus Zeitungstexten gestaltetes Erich-Brost-Porträt erstreckt sich dort auf einer Wand. Und wehe, dort verstellen Tische oder Stühle den Blick auf das überdimensionale Bild. Das passt Anneliese Brost dann ganz und gar nicht…
Auch das Wissenschaftszentrum „Erich-Brost-Haus“ der TU Dortmund geht auf eine Brost-Stiftung zurück. Und schließlich die Anneliese-Brost-Stiftung. Die hat sich vor allem der Jugend- und Altenhilfe verschrieben, fördert auch kulturelle Vorhaben und ist jetzt dabei, ihre Arbeit neu zu konfigurieren.
Einige der Orte, in denen sie früher mit Erich Urlaub machte, hat sie nach seinem Tod wieder besucht. Und da wird eine ausgeprägte Seite ihres Wesens erkennbar: Sie sehnt sich nach Vertrautheit und Vertrautem.
Veränderungen in ihrem privaten Umfeld liegen ihr nicht. Am Haus am Zeißbogen schien die Zeit vorüberzugehen. Gediegenheit im Charme der 60er-Jahre. Ein vertrautes Ambiente suchte sie auch im Urlaub. Das Maritim-Hotel in Travemünde war für sie eine Art Heimat auf Zeit, die ihr Geborgenheit bot. Die Eck-Suite mit Blick auf das Wasser war immer dieselbe. Gefrühstückt wurde immer Punkt 9 und danach Zeitung gelesen. Das Personal, das sie im Maritim bediente, musste möglichst immer dasselbe sein, sonst fühlte sie sich nicht wohl.
Trotz aller privater Liebe zur Tradition aber war sie für die Modernisierung der Zeitung offen. Als Chefredakteur Ulrich Reitz ihr seinerzeit markante Layout-Veränderungen bei der WAZ präsentierte, machte sie aus ihrer Zustimmung keinen Hehl.
Im Zentrum ihres Lebens also steht ihre WAZ. Als es ihre Gesundheit noch erlaubt, kommt sie so oft es nur geht, am liebsten täglich, ins Büro im zweiten Stock des WAZ-Gebäudes an der Friedrichstraße.
Büro? Ein winziger Raum ist das, zwischen dem ehemaligen Büro ihres Mannes und dem historischen Konferenzraum. Da sitzt sie dann an ihrem Schreibtisch, der fast den ganzen Raum ausfüllt. Nicht weil der Schreibtisch so groß wäre – sondern der Raum ist so klein. Dass hier die Gesellschafterin eines internationalen Medienkonzerns residiert, niemand würde es glauben.
Dort sitzt sie also nachmittags, erledigt die Post, lässt sich von der Chefredaktion über den Stand der Dinge in Düsseldorf, Berlin und der Welt informieren. Aber ins redaktionelle Geschehen greift sie niemals ein.
Sie hätte durchaus in dem großen Büro arbeiten können, das einst das Reich ihres Ehemanns war. Doch sie vermied es, sich überhaupt nur mal eben an seinen Schreibtisch zu setzen. Sie tat das aus Respekt, aus Pietät dem Verstorbenen gegenüber. Auch blieb in Erichs Büro alles so erhalten, wie es einst war. Nur die berühmte „Lizenz 192“ zur Gründung der WAZ hängt nicht mehr an der Wand. Die ist im Bonner Haus der Geschichte. An der Wand hängt eine Kopie.
Wenn in Nordrhein-Westfalen gewählt wurde, wussten wir in der Redaktion, was nun kam. Denn vor solchen Anlässen rief Frau Brost an und mahnte mit großem Nachdruck, man solle bloß nicht vergessen, Pizza und Nudeln auf ihre Kosten zu bestellen. Das war ein schmackhaftes Ritual. Nach der ersten Hochrechnung rief sie an, um Näheres zu erfahren. Verlor die SPD oder büßte sie Stimmen ein, war für Frau Brost die Welt nicht mehr in Ordnung.
Ihre Sympathie für die Sozialdemokratie hinderte sie jedoch nicht daran, auch Sympathie für Personen des „anderen Lagers“ zu empfinden. Jürgen Rüttgers von der CDU beispielsweise, den schätzte sie sehr. Überhaupt klagte sie einmal: „Die Leute von der CDU sind viel freundlicher zu mir“. Aber das mag eine momentane Stimmung gewesen sein.
In den letzten Jahren aber machen ihr Krankheiten und häusliche Unfälle erheblich zu schaffen. Oft führt das zu Krankenhausaufhalten. In dieser Zeit beginnt sie sich trotz ihrer zahlreichen Bekanntschaften einsam zu fühlen. In dieser Phase festigt sich das Vertrauen zu Prof. Wolfgang Heit, den sie einmal wegen seines erfolgreichen Vorgehens gegen ihre lebensbedrohende Krankheit als ihren „Lebensretter“ bezeichnete. Er wird zum engen Freund und Berater.
Zwei Dinge fürchtet sie an ihrem Lebensabend: Dass ihre geistigen Fähigkeiten nachlassen und einen von Schmerzen begleiteten Tod. Ihre Freundin Kapteina musste ihr eines Tages versprechen: „Wenn du merkst, dass ich geistig nachlasse, dann musst du mir das sagen.“ Die Freundin hat ihr Wort niemals einlösen müssen.
Bis zum Ende betrachtet sie die WAZ als ihre große Familie. Sie hat volles Vertrauen zur Redaktion und zu ihrem Geschäftsführer. In Anspielung auf die Vornamen ihres verstorbenen Mannes und ihres Geschäftsführers Schumann sagte sie in einer schwierigen Phase einmal zu Bodo Hombach: „Dann sind Sie jetzt mein Erich“, was ein starkes Zeugnis ihres Vertrauens war.
In dem Interview, das sie anlässlich ihres 90. Geburtstags im vergangenen Jahr gab, bekräftigte sie ihr Versprechen, das sie seinerzeit ihrem Mann gab, nämlich für die Belange der Redaktion immer aufmerksam zu sein.
Als Ende des letzten Jahrzehnts konjunkturelle und strukturelle Einbrüche die Branche erschütterten und auch die große WAZ sparen musste, war sie sehr betroffen. „Mir tut es weh, dass auch wir auf Kosten von Arbeitsplätzen sparen müssen“, erklärt sie in jenem Interview und weiter: „Aber wir haben uns immer sozialer verhalten als das Gesetz es verlangt. Wir haben viel in Sozialpläne investiert. Das ist mein Prinzip, und so handelt unser Management täglich.“
Bis zuletzt war es ihr wichtig, über ihre WAZ im Geist von Erich Brost zu wachen. „Mein Mann wollte eine Zeitung im Ruhrgebiet und für das Ruhrgebiet schaffen, unabhängig und überparteilich und entschieden sozial“, sagte sie. „Das Bekenntnis zur Region und zum Lokalen ist Herzstück. Mein Mann mochte die Menschen im Ruhrgebiet genauso wie ich sie mag. Und sie ergänzte: „Ich lasse die Werte meines Mannes niemals im Stich.“
Die WAZ also war ihre Familie. Und am Abend ihres letzten Geburtstags, ein Samstag, wurde sie in dieser Hinsicht auf eine wahrhaft außergewöhnlich Weise überrascht. Sechs Freunde und Verwandte waren bei ihr in Bredeney. Es war schon dunkel, als der Anruf kam, sie möge mal zum Himmel schauen. Aus dem großen Fenster zum Rasen sah da die kleine Gesellschaft eine „himmlische Botschaft“:
Da schwebte das WAZ-Luftschiff. Mit der Leuchtschrift am Rumpf überbrachten Verlag und Redaktion der Jubilarin ihre Glückwünsche. Die „WAZ-Mannschaft“ gratuliert, stand dort oben. Die 90-Jährige Dame war wirklich gerührt. Noch in der Nacht bedankte sie sich telefonisch bei ihrem Geschäftsführer Hombach.
Am folgenden Montag rief sie in der Redaktion an, um sich auch dort zu bedanken. Dass auf dem Luftschiff „WAZ-Mannschaft“ stand, hatte ihr sehr gut getan. Die WAZ, die Mannschaft – das war es doch, was sie antrieb, was ihr Leben bewegte.
Der Anruf war das letzte Gespräch, das ich mit Frau Brost führte. Es war die Woche ihres Todes.
Anneliese Brost war eine bemerkenswerte Frau.“