Essen. . Am Wochenende machten zahlreiche brutale Attacken von Jugendlichen im Revier Schlagzeilen. Doch Kriminologe Christian Pfeiffer gibt Entwarnung: Die Zahl der Gewalttaten bei Jugendlichen geht seit Jahren zurück. Eine Verschärfung des Strafrechts sei unnötig.

Ein Wochenende voller Gewalt: Tumultartige Szenen auf dem Gladbecker Appeltatenfest mit mehreren Verletzten. 15 Jugendliche, die im Umfeld des Unnaer Stadtfestes einen 39-Jährigen zusammenschlagen. Randale von jungen Autonomen bei der Neonazi-Demonstration in Dortmund und wiederum Jugendliche, die in der Nacht zu Sonntag in Bottrop auf einen 30-Jährigen einschlagen und ihm eine Flasche Bier auf dem Kopf zertrümmern. Ob die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen zunimmt, wollten wir von Professor Christian Pfeiffer wissen. Pfeiffer war Justizminister in Niedersachen und leitet das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen.

Herr Professor Pfeiffer, nimmt die Zahl der prügelnden Jugendlichen tatsächlich zu?

Christian Pfeiffer: Erfreulicherweise ist das nicht der Fall. Nicht die Gewaltbereitschaft nimmt zu, sondern vielmehr das Interesse der Medien an den Fällen. Dadurch entsteht eine gefühlte verstärkte Kriminalitätstemperatur. Die verstärkte Medienberichterstattung ist aber nicht verwerflich, im Gegenteil, sie wirft ja einen Blick auf die Opfer. Denn wenn man ihnen helfen will, muss man sich mit ihnen auseinandersetzen. Die Berichterstattung, wie beispielsweise über die U-Bahn-Schläger von München, führt dann aber auch dazu, dass die Menschen glauben, die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen steige insgesamt.

Kann man den Rückgang der Gewaltbereitschaft in Zahlen fassen?

Pfeiffer: Laut Statistik geht die Zahl der Gewaltdelikte bei Jugendlichen seit sechs bis sieben Jahren zurück. Bei Tötungsdelikten und Raub sinkt die Zahl der Straftaten sogar schon seit 1997.

Und trotzdem fordern manche Politiker, das Jugendstrafrecht zu verschärfen.

Pfeiffer: Dazu besteht aber überhaupt kein Anlass. Die Neuproduktion von Gewalt entsteht in der Familie, und hier geht die zahl der körperlichen Auseinandersetzungen kontinuierlich zurück. Grund dafür ist unter anderem das im Jahr 2000 erlassene Verbot der elterlichen Prügelstrafe. Dazu kommt eine engagierte Polizei, die rechtzeitig eingreift und prügelnde Elternteile aus dem Haushalt verbannt. Dadurch kann dort wieder Frieden einkehren.

Wie wirken sich die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem auf die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen aus?

Pfeiffer: Es gibt ja eine günstige Joblage und eine verbesserte Situation auf dem Ausbildungsmarkt. Dadurch kommen Jugendliche von der Straße. Auch die Integration von Migranten ins Bildungssystem kommt langsam voran. Je höher der Bildungsgrad, desto geringer die Gewaltbereitschaft. Gleichzeitig sinkt der Jugendalkoholismus. All das sind günstige Voraussetzungen, um die Zahl der Gewalttaten von Jugendlichen sinken zu lassen.