Berlin. . Führende Abgeordnete von Koalition und Opposition bezweifeln die Rechtmäßigkeit der kurzfristig beschlossenen, vorübergehenden Abschaltung von sieben Atomkraftwerken. Nun soll geprüft werden, ob weitere gesetzliche Regelungen nötig sind.

Abgeordnete von CDU und SPD äußern Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von Bund und Ländern beschlossenen vorübergehenden Abschaltung von Atomkraftwerken ohne Zustimmung des Bundestages. „Ich lasse prüfen, ob es dazu weiterer korrigierender gesetzlicher Regelungen bedarf“, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert am Montag. Nach einem Bericht des „Kölner Stadt-Anzeigers“ (Mittwochausgabe) haben Lammert und der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (beide CDU), auch in der Sitzung der Unions-Bundestagsfraktion am Dienstag rechtliche Bedenken geäußert.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine „wiederholte Missachtung des Deutschen Bundestages“ vor. Die von Schwarz-Gelb durchgedrückte Laufzeitverlängerung müsse per Gesetz rückgängig gemacht werden, sagte Oppermann. Es sei nicht hinzunehmen, dass Merkel schon wieder beschließe, ein bestehendes Gesetz einfach nicht anzuwenden.

Zweifel kommen auch vom SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz. Wenn man das Gesetz über die Laufzeitverlängerung rückgängig machen wolle, müsse es ein neues Gesetz geben, sagte er. „Die Kanzlerin oder der Umweltminister können nicht per Anordnung Gesetze außer Kraft setzen. Das ist rechtsstaatswidrig.“

Kauder verlangt rechtsstaatlich sauberen Kurswechsel

Kauder unterstrich, die vollziehende Gewalt sei nach dem Grundgesetz an Recht und Gesetz gebunden. Bei aller verständlichen Eile müsse der Kurswechsel in der Atompolitik rechtsstaatlich sauber vollzogen werden, mahnte er.

Den Weg der Bundesregierung, sämtliche Maßnahmen auf eine Notsituation im Sinne des Atomgesetzes zu stützen, hält Kauder für eine Sackgasse. „Die betroffene Vorschrift setzt entweder eine konkrete Strahlengefahr für die Bevölkerung oder einen Verstoß der Kraftwerksbetreiber gegen rechtliche Vorgaben voraus.“ Beides treffe nicht zu.

Steinmeier sieht in Moratorium nur ein Wahlkampfmanöver

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hält das dreimonatige Atommoratorium der Bundesregierung nur für ein Manöver im Landtagswahlkampf. „Ich glaube nicht an eine Wende“, sagte Steinmeier. „Es gibt keine klare Antwort der Regierung, ob Stilllegungen von Atomkraftwerken nur zeitlich befristet oder dauerhaft sein sollen. Nichts ist klar, nur: Die Regierung will Zeit gewinnen, um über die Landtagswahlen hinwegzukommen.“

Ein halbes Jahr nach der Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke sehe man, „dass das eine verhängnisvolle falsche Entscheidung war“.

Umweltminister Sander: „Die Vernunft tritt zurück“

Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) sieht mit dem Atommoratorium der Bundesregierung die Glaubwürdigkeit der Politiker beschädigt. „Ich habe den Eindruck, dass die Berliner Beschlüsse den gewaltigen öffentlichen Druck, jetzt etwas zu unternehmen, mildern sollen“, sagte Sander und fügte an: „Die Vernunft tritt gewissermaßen zurück.“

Die entscheidende Frage sei die Glaubwürdigkeit der Politik. Er sei immer noch der Ansicht, dass die deutschen Kraftwerke „den hohen deutschen Sicherheitsanforderungen gerecht werden“. Nach Japan müsse aber untersucht werden, ob die bisherigen Annahmen stimmten.

Merkel, Bundesumweltminister Norbert Röttgen (beide CDU) und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) hatten am Montag verkündet, das Gesetz über die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken für zunächst drei Monate außer Kraft setzen zu wollen.