Tokio. . Als Konsequenz aus der Atomkatastrophe in Japan will die Bundesregierung einige ältere Atomkraftwerke zumindest vorübergehend sofort abschalten lassen. Experten der internationalen Atomenergie-Behörde sollen die Kernschmelze verhindern.
Die aktuelle Lage im Live-Ticker
Als Konsequenz aus der Atomkatastrophe in Japan will die Bundesregierung einige ältere Atomkraftwerke in Deutschland zumindest vorübergehend sofort abschalten lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kündigten am Montag in Berlin an, dass die im vorigen Jahr von der schwarz-gelben Koalition durchgesetzte Verlängerung der Laufzeiten für drei Monate ausgesetzt wird. Auf die Frage, ob damit Atomkraftwerke vom Netz müssten, die ihre Reststrommengen nach dem alten rot-grünen Ausstiegsbeschluss bereits aufgebraucht hätten, sagte Merkel: "Das wäre die Konsequenz, ja." Zum Zeitpunkt sagte die Kanzlerin: "Ich würde mal sagen, wenn wir mit den Kernkraftwerks-Betreibern gesprochen haben."
Westerwelle sagte: "Das Moratorium ist keine Vertagung, sondern das ändert die Lage." Der Vizekanzler betonte, die Regierung habe bei der Laufzeitenverlängerung keine Garantie für den Weiterbetrieb jedes einzelnen Atomkraftwerks gegeben. Merkel nannte keine Atommeiler, die nun womöglich vom Netz müssten. Infrage kämen dafür die beiden ältesten Atomkraftwerke: Biblis A in Hessen und Neckarwestheim I in Baden-Württemberg. Für die Inkraftsetzung des Moratoriums muss das Gesetz laut Merkel nicht geändert werden.
Brennstäbe in Fukushima II liegen frei
Nach weiteren Explosionen im vom Erdbeben schwer getroffenen japanischen Kernkraftwerk Fukushima 1 wächst weltweit die Angst vor einer atomaren Katastrophe. Die japanische Regierung schloss einen Atom-GAU wie vor 25 Jahren in Tschernobyl am Montag jedoch kategorisch aus. Unterdessen versuchten Helfer aus aller Welt unter schwierigsten Bedingungen, Millionen Erdbeben- und Tsunamiopfer zu versorgen.
Nach Angaben der Atomaufsicht des Landes und des Kraftwerksbetreibers Tepco ereigneten sich am Montag zwei Detonationen, vermutlich Wasserstoffexplosionen, in Reaktor 3 der Anlage. Über austretende radioaktive Strahlung gab es unterschiedliche Angaben. Fernsehbilder zeigten dicke weiße Rauchsäulen über dem Reaktor 3. Bereits am Samstag hatte es in dem rund 250 Kilometer nördlich von Tokio gelegenen Kraftwerk eine Explosion gegeben, durch die das Gebäude rings um Reaktor 1 zerstört worden war.
Tepco erklärte nach den Explosionen vom Montag, das Dach von Reaktor 3 sei eingestürzt, der Reaktorbehälter aber intakt. Regierungssprecher Yukio Edano erklärte, die Wahrscheinlichkeit des Austritts von Radioaktivität an der Anlage sei "gering". Nach Angaben der Agentur Jiji wurden elf Menschen verletzt. Auch die IAEA teilte mit, der Reaktorbehälter sei nicht beschädigt worden.
Die Explosionen rissen ein Loch in das Nachbargebäude, in dem Reaktor 2 untergebracht ist. Die japanische Regierung erklärte zunächst, eine Explosion sei dort unwahrscheinlich, da durch das Loch der Wasserstoff entweichen könne. Nachdem eine Pumpe mit kühlendem Wasser nicht mehr ausreichend mit Brennstoff versorgt und zudem versehentlich ein Luftstrommessgerät abgeschaltet wurde, lagen die Brennstäbe im Reaktor am späten Abend (Ortszeit) allerdings komplett frei, wie japanische Medien berichteten. Dadurch spitzte sich die Lage weiter zu.
Beim Ausfall der Kühlung können Brennstäbe überhitzen, was eine Kernschmelze auslösen könnte. Japans Strategieminister Koichiro Genba erklärte jedoch unter Berufung auf die Atomsicherheitsbehörde, es gebe "absolut keine Möglichkeit eines Tschernobyls". Edano zufolge ist die radioaktive Strahlung rund um Fukushima zudem derzeit auf einem für Menschen zulässigem Niveau.
Schwierige Bedingungen für Rettungstruppen
Unter schwierigsten Bedingungen versuchten Rettungskräfte aus aller Welt zugleich, sich um die Millionen Menschen zu kümmern, die von dem verheerenden Erdbeben und Tsunami getroffen wurden. Zahlreiche Orte waren aufgrund der Zerstörungen nur schwer oder gar nicht erreichbar. Weitere Nachbeben und Tsunami-Warnungen behinderten die Arbeiten.
Nach UN-Angaben hatten mindestens 1,4 Millionen Menschen kein Trinkwasser, 2,6 Millionen Menschen keinen Strom, und 3,2 Millionen Menschen ging das Gas aus. Zudem wurde das Benzin knapp. Angesichts der Ausfälle zahlreicher Kraftwerke wurde zudem damit begonnen, ganze Regionen zeitweise vom Stromnetz zu nehmen. Mehr als 500.000 Menschen harrten laut UNO in Notunterkünften aus. Die Kinderrechtsorganisation Save the Children erklärte, mindestens 70. 000 seien Kinder obdachlos geworden.
Laut dem Sprecher des Roten Kreuzes im Asien-Pazifik-Raum, Patrick Fuller, lieferten sich die Helfer einen "verzweifelten Wettlauf mit der Zeit", um mögliche unter den Trümmern eingeschlossene Menschen zu retten. Soldaten konnten nach Armeeangaben 10.000 Menschen retten, doch mindestens ebensoviele Todesopfer wurden allein in der Präfektur Miyagi befürchtet. Dort bargen Rettungskräfte am Montag etwa 2000 Leichen, womit die Zahl der bestätigten Todesopfer auf mehr als 3600 stieg.
Zahlreiche Teams aus dem Ausland halfen den etwa 100.000 japanischen Soldaten bei ihrem Rettungseinsatz. Die ausländischen Helfer fürchteten aber auch die aus den beschädigten Atomkraftwerken ausgetretene Radioaktivität. Ein zu einem Hilfseinsatz entsandter Flugzeugträger der US-Armee verließ die Küste des Landes wegen erhöhter radioaktiver Strahlung am Kernkraftwerk Fukushima 1. (rtr/dapd/afp)