Stuttgart. Die Welt blickt ängstlich nach Japan. Was passiert mit dem angeschlagenen Reaktor? Währenddessen haben sich Stuttgart Atomkraft-Gegner versammelt und demonstrieren aus gegebenem Anlass gegen AKWs in Deutschland.

Aus dicken Boxen dröhnen Protestlieder über den Stuttgarter Schlossplatz. „Atomkraft abschalten“ steht auf hunderten grünen und schwarzen Luftballons, die die Menschen in ihrer Hand halten. Viele schwenken gelbe Fahnen, haben Spruchbänder um die Hüften oder Plakate auf dem Rücken, um gegen die Atompolitik der schwarz-gelben Landesregierung zu demonstrieren.

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    Von langer Hand haben Atomkraftgegner die 45 Kilometer lange Menschenkette zwischen Stuttgart und dem Uralt-Kernkraftwerk Neckarwestheim I geplant. Doch mit dem Reaktorunfall in Japan hat die Demonstration am heutigen Samstag an trauriger Brisanz gewonnen. Immer wieder geben die Veranstalter, darunter der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, die neuesten Nachrichten aus Japan wieder. „Die Regierung sagte vor einer Stunde, dass es eine Kernschmelze gab“, heißt es. „Nun wird die Meldung korrigiert. Die japanische Regierung geht nicht von einer Kernschmelze aus“, ergänzt ein Moderator und spricht von 60000 Menschen, die sich zu der Menschenkette zusammengeschlossen haben.

    Aus Trauer wird Wut

    Viele sind schlicht fassungslos über das, was in Japan passiert ist. „Das macht aus meiner Trauer Wut, sagt Manfred Lange. „Seit Jahren sagen wir, dass Atomkraft keinen Sinn macht“, meint der 72-Jährige aus Istanbul, der über die Internetplattform Facebook zur Demonstration aufgerufen hat.

    „Nach der Katastrophe in Japan ist es ein muss, dass wir demonstrieren“, findet Cornelia Kling. Die 48-Jährige befürchtet, dass sich so Unfall auch in Deutschland ereignen könnte. „In Tschernobyl hat es schließlich auch kein Erdbeben gegeben“, sagt die Esslingerin. In Ihrer Hand hält sie drei Anti-Atomkraft-Luftballons, um die Hüfte ein gelb schwarzes „Atomkraft-Nein-Danke“-Band. An ihren dunklen Pullover hat sich Kling einen großen Button gesteckt. In schwarzen Lettern steht da „Nein zu Mappus“ – über einer Fratze des Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten.

    „Unerwartete Wahlkampfhilfe“ - nur offiziell sagt das keiner

    Wie Kling denken viele Demonstranten vor dem Stuttgarter Schlossplatz. „Wir hoffen, dass die Katastrophe in Japan auch Herrn Mappus auf die Füße fällt“, sagt Ute Vondung. So hat der Landesvater aus Stuttgart im vergangenen Jahr zu den größten Befürwortern er Laufzeitverlängerungen gehört und den Rauswurf von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) gefordert. Dieser hatte seinerzeit nur für eine moderate Verlängerung plädiert.

    Wohl wissend, dass es an einem solchen Tag taktlos wäre, hüten sich SPD und Grüne, aus der Tragödie in Fernost politisches Kapital zu schlagen. „Es ist falsch, jetzt über so etwas nachzudenken“, sagt SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid auf die Frage, ob Rot-Grün nun in der Wahlkampfendphase mit zusätzlichem Rückenwind rechnen kann. „Heute ist ein Tag der Trauer, der Sorge“, pflichtet Grünen-Spitzenkandidat Winfried Kretschmann bei. Bei so einer Katastrophe sei dies „das Letzte, woran wir denken.“ Aus Kretschmanns Sicht ist es aber endgültig nicht mehr haltbar, dass man im Zuge von Atomkraft von einem hinnehmbaren „Restrisiko“ spricht. Grünen-Chef Cem Özdemir stimmt ebenfalls vorsichtige Töne an: „Die einzige Konsequenz kann sein, dass wir so schnell als möglich aus dieser Energieform aussteigen“, sagt er gegenüber Demwesten.

    Hinter vorgehaltener Hand stimmen die Grünen auch andere Töne an. Von „unerwarteter Wahlkampfhilfe“ ist da die Rede. Offiziell sagt das freilich niemand.