Berlin. Der ehemalige Chef der deutschen Atomaufsicht, Wolfgang Renneberg, sagt: In Japan läuft der Super-GAU, und er sei kaum noch zu verhindern. In der Folge würden enorme Mengen an Radioaktivität frei.

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    Der ehemalige Chef der Atomaufsicht in Deutschland, Wolfgang Renneberg, sieht in Japan keine Chance mehr für eine Kontrolle des Meilers Fukushima 1. "Das ist das klassische Szenario, das den sogenannten Super-GAU umschreibt", sagte Renneberg am Samstag im Gespräch mit Reuters. Eine Kühlung des Reaktors sei offenkundig nicht mehr möglich, die Batterien zur Versorgung des Systems müssten am Samstagmorgen erschöpft gewesen sein. "Das ist das, was in manchen Kinofilmen inszeniert wurde." Japan bliebe offenkundig nur noch der Katastrophenschutz wie Evakuierungen oder das Verteilen von Jod-Tabletten. "Das sind aber keine Maßnahmen mehr, um den Reaktor zu kontrollieren." Aufgrund der großen Entfernung werde Deutschland aber von Radioaktivität praktisch nicht getroffen werden. China und Russland seien dagegen gefährdet.

    Wie im Dampfkochtopf

    Das Austreten von Strahlung könne nach einer Schmelze des überhitzten Siedewasser-Reaktors nicht mehr gebremst werden: "Man kann sich das vorstellen, wie bei einem Dampfdrucktopf, wenn der Deckel geöffnet wird." Rund zwei Wochen lang würde dann radioaktive Partikel vor allem im gasförmigen Zustand wie etwa Cäsium und Jod in die Luft gelangen. "Danach hat man das Schlimmste überstanden." Der Physiker und Jurist Renneberg hatte die Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium unter Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) bis 2009 geleitet.

    Der meiste Dreck landet wohl im Meer

    Die Kernschmelze sei auch nicht mit Wasser zu bekämpfen, man könne nur versuchen, sie mit Sand oder Beton zu verdünnen. Eher positiv bewertete Renneberg, dass Fukushima direkt am Meer liege. Ein Teil der Radioaktivität werde so ins Wasser entweichen und stelle keine unmittelbare Gefahr dar. "Aber natürlich kommt das dann über die Nahrungskette wieder auf den Teller."

    Das Ausmaß der Strahlung hänge zudem stark am Alter der Brennelement, die in dem Reaktor arbeiteten. Je länger sie dort bereits eingesetzt seien, desto mehr Radioaktivität werde frei. Dass Fukushima 1 eine vergleichsweise geringe Strommenge produziere, sei dabei irrelevant.

    Die möglichen direkten Auswirkungen auf Deutschland schätzt Renneberg gering ein: "Man wird wohl hier noch was messen, es wird aber nicht das sein, was wir von Tschernobyl kannten."

    Hohe Dosen radioaktiver Strahlung können ganz unterschiedliche gesundheitliche Probleme zur Folge haben. Dabei kommt es auch darauf an, über welchen Zeitraum hinweg der menschliche Körper der Strahlung ausgesetzt ist: Werde innerhalb kurzer Zeit eine Dosis aufgenommen, die viele Zellen schädige, könne der Organismus dies weniger gut kompensieren als wenn die gleiche Dosis über einen längeren Zeitraum hinweg absorbiert werde, erklärte das Bundesamt für Strahlenschutz.

    Nach dem Fall-Out droht Krebs

    Hohe Strahlendosen führen zur akuten Strahlenkrankheit, die bei Menschen in der Regel innerhalb weniger Tage zum Tod führt. Was eine niedrigere Strahlendosis bewirkt, ist wissenschaftlich strittig. Denn Erkrankungen treten oft erst nach Jahren auf, es ist schwierig, einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Krankheit und Bestrahlung herzustellen.

    Aus den Entwicklungen nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki 1945 sowie dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 kann man schließen, dass Schilddrüsenkrebs eine Folge radioaktiven Niederschlags (Fall-Out) ist - betroffen waren insbesondere Kinder- und Jugendliche. Als Präventionsmaßnahme gelten Jodtabletten, wie sie offenbar auch in Japan verteilt werden sollen.

    Auch Leukämie könnte eine Folgekrankheit von erhöhter Strahlenbelastung sein, ebenso andere Krebserkrankungen. Radioaktive Strahlung kann auch das Erbgut schädigen und zu Missbildungen bei Kindern führen, wie unter anderem aus Erfahrungen nach den Atombombenabwürfen im Zweiten Weltkrieg geschlossen wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in einem 2006 veröffentlichen Bericht zu Tschernobyl außerdem auf die psychischen Folgen des damaligen Reaktorunglücks für die Betroffenen hingewiesen.