Düsseldorf/Tokio. . Die Situation in einem japanischen Atokraftwerk spitzt sich zu: Mitarbeiter versuchen verzweifelt, ausgefallene Kühlsysteme wieder in Gang zu bringen. Die Radioaktivität im AKW steigt. Es droht eine Kernschmelze.

Im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi im Osten Japans versuchen Mitarbeiter in einem verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit, die ausgefallenen Kühlsysteme wieder in Gang zu bringen. Im schlimmsten Fall droht eine Kernschmelze. Das geht aus einem Lagebericht des Bundesumweltministeriums hervor, der an die Atomaufsichtsbehörden der Bundesländer gegangen ist. Der Bericht liegt den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe hervor.

Darin heißt es mit Bezug auf die japanische Atomaufsichtsbehörde JNES, dass es nach dem Erdbeben im AKW zum gefürchteten „Stationblackout“ (Ausfall der gesamten Stromversorgung) gekommen ist. Danach ist nicht nur die Hauptstromversorgung ausgefallen. In den Blöcken 1 bis 3 sind auch die Notstromdiesel nicht angelaufen. Das Notkühlsystem des Atomkraftwerks laufe auf Batteriebetrieb. In zwei Blöcken ist die Kapazität der Batterien jedoch nahezu erschöpft, heißt es. In Kreisen von deutschen Atomaufsichtsbehörden heißt es, die Situation sei sehr ernst.

Radioaktivität in japanischem AKW tausendfach erhöht

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    Nach Angaben der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo steigt der Druck in einem Reaktor des Atomkraftwerks. Im Turbinenhaus des AKW steige die Strahlung. Im Atomkraftwerk Fukushima Nr. 1 sei einem Medienbericht zufolge ein Grad an Radioaktivität gemessen worden, der tausend Mal über dem Normalwert liegt. Die Nachrichtenagentur Kyodo berichtete am Samstag (Ortszeit), eine Sicherheitskommission habe dies im Kontrollraum Nr. 1 des Akw Fukushima Nr. 1 gemessen. Wegen des Risikos eines Entweichens von Radioaktivität rief Ministerpräsident Naoto Kan die Anwohner des Kraftwerks in einem Umkreis von zehn Kilometern auf, ihre Häuser zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Die Radioaktivität liege außerhalb des Kraftwerks um ein Achtfaches über dem Normalwert, sagte Kan laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Jiji.

    Die Betreiberfirma Tepco versuche, den Druck zu verringern, hieß es in einer Meldung der Agentur Jiji. Dabei könnte auch Strahlung nach außen gelangen, berichtete die Wirtschaftszeitung "Nikkei".

    Geringfügiger Austritt radioaktiven Materials in Fukushima möglich

    Zuvor hatte der japanische Industrie- und Handelsminister nicht ausgeschlossen, dass ein geringfügiger Austritt radioaktiven Materials aus der Anlage in der Provinz Fukushima möglich sei. Es werde erwogen, radioaktiven Dampf abzulassen, um den Druck in einem Reaktor zu senken, berichteten japanische Nachrichtenagenturen am Freitag unter Berufung auf den Minister Banri Kaieda.

    Aus der Umgebung der Anlage im Norden von Tokio wurden zuvor 6000 Menschen in Sicherheit gebracht, nachdem das Kühlwasser in einem Reaktor auf einen beunruhigend niedrigen Stand gesunken war.

    Schwere Schäden in einem zweiten Kraftwerk

    Auch im nahe gelegenen Atromkraftwerk Fukushima Daini hat das Erdbeben offenbar schwere Schäden angerichtet. Im Lagebericht heißt es unter Berufung auf den betreiber Tokyo Electric Power Company, dass es in Block 1 zu einer Leckage von Reaktorkühlmitteln in das Containment (Sicherheitsbehälter rund um den Reaktordruckbehälter) gekommen sei. Der Druck im Containment sei gestiegen, das Notkühlsystem aktiviert. Weitere Details zum Zustand der Anlage wurden nicht genannt.

    Die Behörden haben begonnen im Umkreis von rund 20 Kilometern um das bedrohte Atomkraftwerk Fukushima-Daini Jodtabletten gegen radioaktive Strahlung zu verteilen. Das wurde aus dem Bundesumweltministerium bekannt.

    Das Feuer im AKW Onogawa bezeichnete die japanische Atomaufsichtsbehörde als „sicherheitstechnisch nicht bedeutend“. Berichte über einen Austritt von Radioaktivität oder Verletzte lägen nicht vor. Der Brand sei gelöscht.

    Röttgen sehr besorgt über kritische Lage im japanischen AKW

    In Deutschland wurde ein so genannter Voralarm vorbereitet. Die Bundesländer wurden aufgefordert, sich auf eine mögliche Katastrophe in Japan einzustellen - und die Messstellen zur Überwachung der Radioaktivität in Bereitschaft zu versetzen.

    Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat sich sehr besorgt über die Lage im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi geäußert. Wenn die Notstromversorgung, die die Kühlung der Reaktorblöcke aufrecht erhalten sollte, nicht wieder in Gang gebracht werde, müsse mit dem Schlimmsten gerechnet werden, sagte der Minister am Freitagabend in Berlin. Sollte Radioaktivität freigesetzt werden, dürfte die nach den vorliegenden Informationen aber zunächst über den Pazifik hinweg ziehen. Die radioaktive Strahlung würde dann nicht über dem japanischen Festland niederkommen, sondern südöstlich auf den Pazifik hinaustreiben.

    Röttgen ließ allerdings keinen Zweifel daran, dass es bei den japanischen Kernkraftwerken "zum Äußersten" kommen könne. Dies dürfe "leider nicht ausgeschlossen werden", sagte Röttgen. Der Minister ließ keinen Zweifel daran, dass es sich um eine "große Gefahrenlage" handelt. Die Japaner würden jedoch alles tun, um einen Atomunfall zu verhindern. Sie seien dazu auch "gut in der Lage".

    Wiederaufbereitungsanlage kühlt nur noch mit Notstrom

    Nicht nur Atomkraftwerke bereiten Japan unterdessen Sorge. Auch die Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho wird derzeit mit Notstrom gekühlt. "Hier liegen rund 3.000 Tonnen hochradioaktiver abgebrannter Brennstoff", sagte der international tätige Atomexperte Mycle Schneider der Nachrichtenagentur dapd. Das entspreche etwa der Menge an Brennstoff, die in 25 bis 30 Atomreaktoren gelagert wird. "Wenn die Brennstäbe nicht gekühlt werden, entzünden sie sich selbst", erklärte Schneider.

    Aufgrund des Stromausfalls werde auch die Anlage in Rokkasho mit Dieselgeneratoren betrieben, bestätigte das Japanische Atom-Informationsforum (JAIF) am Freitag in einer Presseerklärung. Die Notgeneratoren seien allerdings nicht darauf ausgelegt, langfristig zu laufen, erklärte Schneider, der mehrmals als Atomexperte in Japan war. "Wenn so eine Wiederaufbereitungsanlage in Brand gerät, weil die Kühlung versagt, entweicht Radioaktivität."

    Allerdings sei die Gefahr nicht ganz mit der eines Vorfalls in einem Atomreaktor zu vergleichen, erklärte Christoph von Lieven, Atomexperte der Umweltorganisation Greenpeace. "Der Atommüll liegt im Abklingbecken und befindet sich nicht mehr in einer Kettenreaktion. Radioaktivität würde zwar entweichen, jedoch nicht in Form einer Explosion", sagte von Lieven. (mit afp, dapd, rtr)