Hamburg. . Kann es ein Zuviel an Demokratie geben? In Hamburg glauben viele Bürger: Ja. 25 000 ungültige Stimmen und eine abgesackte Wahlbeteiligung deuten an, dass das Verfahren beim hanseatischen Urnengang zu kompliziert war, zumindest aber zu umfangreich.

WahlhelferIn in Hamburg zu sein lohnt sich. Jede(r) bekommt 400 Euro. Doch die Arbeitszeit, die dafür mitzubringen ist, erstreckt sich über vier Tage. Erst Mittwoch werden die letzten Stimmen ausgezählt sein, und dann wird der Stadtstaat – nach Auszählung von geschätzt 15 Millionen Einzelstimmen – 15 Millionen Euro für die komplexe Ermittlung des Volkswillens ausgegeben haben. Für Helfer wie Wähler wie Steuerzahler Stress pur.

Der Besuch im Wahllokal war zwar nicht als Doktorarbeit gedacht, aber auch Abschreiben war nicht drin. Geschützt durch Sichtwände lagen für jeden der 1,3 Millionen Wahlberechtigten vier Hefte bereit. In Gelb, rosa, grün und blau. Pro Heft waren fünf Kreuze zu machen. Nicht mehr. Weniger waren indes erlaubt.

Die Angebotsfülle hatte die Vereinigung „Mehr Demokratie“ in einem Bürgerentscheid durchgesetzt. Die Wähler sollten – ähnlich wie in süddeutschen Bundesländern - in die Lage versetzt werden, die Listenvorschläge der Parteien für die Bürgerschaft und die Bezirksvertretungen kräftig durcheinander zu mixen. Und viele fanden es tatsächlich interessant: 250 000 Hanseaten orderten Briefwahlunterlagen nach Hause, um sich vor dem Urnengang intensiv mit dem technischen Ablauf zu beschäftigen. Besonders in den Vierteln mit studentischer Klientel schnellte die Wahlbeteiligung nach oben. Ganz gegen den Trend.

Das System falsch kopiert?

Doch vielleicht hat man im Norden die süddeutsche Methode falsch kopiert. Erbost blieben vor allem die älteren Hamburger zurück. Sie verzichteten entweder ganz (mit 59 Prozent fiel die Beteiligung miserabel aus), machten haufenweise Fehler (fast 25 000 Wahlzettel waren ungültig im Vergleich zu 8000 vor zwei Jahren) oder beschimpften das städtische Wahlmanagement. Das „Hamburger Abendblatt“ druckte in seiner Montagsausgabe spaltenlang Reaktionen und auch Proteste aus Wandsbek, Winterhude und Wilhelmsburg ab.

„Das Wahlrecht ist Idiotenkram“, findet Rentner Bernd Hübert, 68. „Mit dem alten ging es doch ruckzuck“. Tobias Knötzele, 41, dagegen räumt zwar ein, dass auch er „länger gebraucht hat, um durchzusteigen“. Dann aber ist er zum Schluss gekommen: „Ich finde es gut, gezielt Leute nach vorn zu bringen“. Ex-Bürgermeister Peter Schulz nahm sich die Zeit für Briefwahl, um keinen Fehler zu machen. Viele Kritiker wandten ein, die zahlreichen Namen, über 1000 in den vier Heftchen, seien doch sowieso unbekannt. Der frühere Tagesschau-Sprecher Wilhelm Wieben, 75, dagegen ist sauer: „In anderen Ländern werden die Menschen erschossen, weil sie für mehr Mitbestimmung kämpfen. Und wir sitzen zu Hause auf dem Sofa und meckern“.

Ein Fall für die Politik

Nachdenken tut die Hamburger Politik schon, ob sie mit dem komplizierten Verfahren zu weit gegangen ist. Hans-Ulrich Klose, lange Jahre renommierter Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt, sagt, man müsse genau untersuchen, ob eine einfachere Methode zu mehr Wahlbeteiligung oder zumindest zu weniger ungültigen Stimmen geführt hätte. Die neue Bürgerschaft müsse sich auf jeden Fall damit befassen.

Immerhin ist klar, wie sich dort die Mehrheit aufstellt. Denn die Landesliste der Bürgerschaftsabgeordneten – per gelbem Heft gewählt – wurde noch am Wahlabend ausgezählt. Die anderen Kategorien rosa, grün und blau mit den Einzelergebnissen für Bürgerschaft und Bezirksvertretungen wurden von den 17 000 (!) Wahlhelfern wieder eingepackt und sind bis zum Mittwoch auszuwerten.