Kairo. US-Präsident Barack Obama misst der Muslimbruderschaft in Ägypten keine große Rolle bei. Dem amerikanischen Sender Fox sagte er, die islamistische Gruppe habe nicht die Unterstützung der Mehrheit.
Obama räumte aber ein, dass die Bruderschaft gut organisiert sei. Ihre Ideologie weise anti-amerikanische Züge auf.
Bis zuletzt war sie in der politischen Deckung geblieben. Die ersten Aufrufe der Facebook-Aktivisten zum „Tag des Zorns“ hatte die Muslimbruderschaft mit leisem Applaus begleitet, ohne sich anzuschließen. Erst als sich der Aufstand wie ein Flächenbrand ausbreitete, sprang ihre Führung auf den fahrenden Zug und beorderte die Anhänger mit auf die Straße. Mittlerweile wird die seit 1954 verbotene Organisation vom Regime intensiv umworben. Vizepräsident Omar Suleiman rief sie auf, sich am nationalen Dialog zu beteiligen.
„Sagt dem Mursched, er soll sich mit uns zusammensetzen“, rief Verteidigungsminister Mohammed Hussein Tantawi der Menge zu, als er sich am Freitag als erstes Mitglied der Regierung auf dem Tahrir-Platz sehen ließ. Gemeint ist Mohammed Badie, der Chef der Islamistenorganisation. „Wir sind eingeladen und wir kommen“, ließ er am Sonntag erklären – und schickte zum ersten Mal seit fünf Jahrzehnten eine Delegation zu offiziellen Gesprächen in die Flure der Macht am Nil. Am Ende des Tages jedoch war die Ernüchterung groß über Vizepräsident Suleiman. Man könne keine ernsten Reform-Anstrengungen erkennen, erklärten die Muslimbrüder. Die meisten ihrer politischen Forderungen seien gar nicht beantwortet worden, andere nur sehr oberflächlich.
100 000 aktive Mitglieder
1928 in Ägypten gegründet, ist die Muslimbruderschaft die älteste und bestorganisierte islamistische Gruppierung im Land. Ihre Zentren heute sind Alexandria, aber auch Städte in Mittel- und Oberägypten. Sie soll etwa 100 000 aktive Mitglieder haben. In allen großen Städten unterhält sie Sozialstationen und Kliniken, allein in Kairo sind es sieben Hospitäler. Berufsverbände wie die der Anwälte, Ärzte und Apotheker sind von ihnen dominiert. Und sollte es tatsächlich zu einem Sturz des Regimes Mubarak kommen, werden Muslimbrüder sicher zu den prägenden Kräften des neuen Ägyptens gehören.
In dem 50-köpfigen Komitee der „Koalition für Wandel“ sind sie mit mehreren Abgesandten vertreten. Intern hat ihr Generalsekretariat die Losung ausgegeben, während der Phase des Machtübergangs nicht offiziell über eine Islamische Republik zu spekulieren, um die Menschen im Inland und die Regierungen im Ausland nicht zu alarmieren. So sind unter den Demonstranten auffallend wenig koranschwingende Bärtige, die „Islam ist die Lösung“ skandieren. Kritiker werfen der Bruderschaft vor, ihre wahren Ziele zu vertuschen – eine islamistische Verfassung mit Bezug auf die Scharia, mindere Rechte für Frauen und Bruch mit Israel. Die internen politischen Beratungen der Organisation, die wie eine Geheimloge agiert, sind intransparent. Solide wissenschaftliche Studien fehlen.
Ideologisch scheint die ägyptische Muslimbruderschaft inzwischen in drei Fraktionen gespalten, konservative Ideologen der alten Garde, konservative Pragmatiker, zu denen viele Abgeordnete zählen, sowie eine Handvoll Reformer, die eine offenere Interpretation des Koran befürworten. Welcher Flügel am Ende die Oberhand behält, lässt sich schwer vorhersagen.
Fairer Wettbewerb
Vor einem Jahr entluden sich die internen Spannungen mit dem überraschenden Rücktritt des langjährigen Murscheds Mohamed Akef, dem ersten Rücktritt an der Spitze in der Geschichte der Organisation überhaupt. „Wir wollen die Macht nicht monopolisieren“, versicherte kürzlich ihr Sprecher Essam el-Erian, der der Führungsriege der Islamisten angehört. „Wir wollen ein Klima von fairem Wettbewerb, das uns endlich erlaubt, regulär um die politische Macht zu kämpfen.“
US-Präsident Barack Obama wollte unterdessen nicht über einen Rücktritt des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak spekulieren. Nur Mubarak selbst wisse, was er zu tun gedenke. Die USA könnten sich da nicht einmischen. Doch für Mubarak sei die Zeit gekommen, einen Wandel in seinem Land herbeizuführen. Wie aus den Worten von US-Außenministerin Hillary Clinton nach ihrer Rückkehr von der Münchner Sicherheitskonferenz zu entnehmen war, ist die US-Regierung vor allem an einem geordneten Übergang in Ägypten interessiert, nicht notwendigerweise an einem sofortigen Rücktritt Mubaraks.