Essen. . Wenn ab Mai die Volkszähler klingeln, kann niemand sicher sein, wer da vor ihm steht. Die Kriterien zur Auswahl der Interviewer sind zu lasch. Das könnten sowohl Rechtsextreme als auch Kriminelle nutzen.

Ab dem 9. Mai ist es soweit: Dann werden 80.000 Volkszähler in Deutschland ausschwärmen. Rund acht Millionen Haushalte bekommen Besuch. 46 Fragen sollen die Betroffenen beim „Zensus 2011“ beantworten. Weigern sie sich, müssen sie eine Geldstrafe zahlen. Doch diesmal ist es nicht nur der Datenschutz, der Bedenkenträger auf den Plan ruft, sondern auch die Sorge, wer da vor der Tür steht, wenn es klingelt.

Erst kürzlich hat die NPD ihre Mitglieder dazu aufgerufen, sich als ehrenamtliche Volkszähler bei Kommunen zu melden. Doch nicht nur das: Es klafft eine Lücke im Volkszählungsgesetz. Die ehrenamtlichen Interviewer müssen kein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. „Wir dürfen die Bewerber nicht nach Vorstrafen oder politischer Einstellung befragen“, bestätigt Tamara Tibudd, Pressereferentin der Stadt Essen. Maßgeblich sei der Eindruck, den der Stadt-Mitarbeiter vom Bewerber gewinne. „Uns sind die Hände gebunden“, gesteht auch Ursula Erkenz, Sprecherin des Märkischen Kreises. Einzige Möglichkeit „zu filtern“ seien persönliche Gespräche. So müssen sich die Mitarbeiter in den Amtsstuben der NRW-Kommunen derzeit allein auf ihre Menschenkenntnis verlassen.

Volkszähler muss man nicht in die Wohnung lassen

„Es ist ein Unding, wenn der Staat potentiell gefährliche Menschen in die Häuser der Bürger schickt“, sagt Veit Schiemann von der Opferschutz-Organisation Weißer Ring. Er hält es durchaus für möglich, dass Verbrecher die Volkszähler-Rolle für ihre Zwecke nutzen könnten, etwa um künftige Einbrüche zu planen. „Der Zensus 2011 bietet Kriminellen sowie Links- und Rechtsextremen ungeahnte Möglichkeiten“, klagt auch Heiko Fröhlich, FDP-Ratsmitglied in Bochum. Gerade ältere Menschen seien in Gefahr, da sie gegenüber Behörden besonders vertrauensselig seien. Der FDP-Politiker fordert deshalb von der Stadt Bochum, dass sie ihre Bürger alarmiert. Sie sollen die Volkszähler nicht in die Wohnung lassen, sondern die Fragebögen an der Tür beantworten. Dadurch entstünde freilich eine groteske Situation: Die Stadt würde vor Menschen warnen, die in ihrem Auftrag kommen.

Auch Schiemann mahnt die Betroffenen zur Vorsicht: Bei einem unsicheren Bauchgefühl solle man besser gleich auf der Türschwelle vom Interviewer Abschied nehmen. Schließlich ist es auch erlaubt, den Fragebogen allein zu beantworten und hinterher per Post zu schicken. Oder gleich im Internet auf www.zensus2011.de auszufüllen. Bernd Carstensen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter geht sogar noch einen Schritt weiter: „Bei einem schlechten Gefühl sollte man sich nicht scheuen, die Polizei zu rufen.“ Er fordert eine Aufklärungs-Kampagne der Polizei-Behörden: Sie sollten vor den Gefahren der Volkszählung warnen.

Bund Deutscher Kriminalbeamter warnt vor Betrügern

Carstensen befürchtet, dass auch Betrüger als falsche Volkszähler unterwegs sein werden. Und rät deshalb unbedingt dazu, nach den Papieren des Interviewers zu fragen. „Die Volkszähler haben einen von der Stadt gestempelten Ausweis dabei, den sie auf Nachfrage zusammen mit ihrem Personalausweis vorzeigen müssen“, sagt Ernst-Otto Sommerer vom Fachbereich Statistik der Stadt Dortmund.

Das Thema Volkszähler beschäftigt jetzt auch das NRW-Innenministerium. Sowohl die Linkspartei als auch die Grünen machen im Landtag Druck: Abgeordnete haben vor wenigen Tagen Anfragen an die Landesregierung gestellt. „Das derzeit geltende Gesetz für die Volkszählung ist eine Katastrophe“, klagt Matthi Bolte von den Grünen. „Es gibt bislang keine geeigneten Kriterien für die Auswahl der Interviewer. Selbst wenn Leute als zweifelhaft eingeschätzt werden, darf man sie nicht ausschließen.“

„Gesetz ist eine Katastrophe“

Nach dem NPD-Aufruf Anfang Januar sprach auch das NRW-Innenministerium von „Unbehagen“. Rechtliche Abwehr-Möglichkeiten würden geprüft, hieß es. Derzeit hält man sich jedoch bedeckt: Solange die Bearbeitung der aktuellen Anfragen noch laufe, wolle man sich öffentlich nicht äußern, teilt das Innenministerium gegenüber DerWesten mit. Dass das Gesetz noch einmal überarbeitet werden kann, hält Bolte jedoch für schwierig, da das Verfahren seit einigen Wochen bereits angelaufen ist. „Es ist jedoch dringend notwendig, dass das Innenministerium den Kommunen einschärft, bei der Auswahl genau hinzuschauen“, sagt Bolte.

Die Stadt Dortmund hat bereits 140 der rund 250 benötigten Volkszähler ausgewählt. „Der überwiegende Teil der Interviewer sind Bedienstete der Stadt oder von Stadttöchtern“, sagt Sommerer. „Da können wir weitgehend sicher sein, dass sie nicht aus problematischen Kreisen stammen.“ Auch erfahrene Wahlhelfer oder Studenten seien auf der Liste. „Natürlich können wir niemanden in den Kopf schauen“, sagt Sommerer. Die Stadt werde hinterher jedoch noch einmal zu Kontroll-Gesprächen ausrücken. „Wer die Volkszählung missbraucht, kann mit der vollen Härte des Gesetzes rechnen.“

Letztendlich geht es auch um den Ruf der Kommunen. „Man stelle sich die Schlagzeile vor ‚Stadt schickt Vergewaltiger zu Opfer’“, mahnt Schiemann. „Das möchte ich nicht lesen und ein Oberbürgermeister sicher auch nicht.“