Hordorf. . Der Fahrer des Güterzugs, der am Samstag mit einem Personenzug kollidierte, hat offenbar zwei Haltesignale überfahren. Das steht laut Medien in einem internen Bericht. Ohne die eingeleitete Schnellbremsung hätte es wohl noch mehr Opfer gegeben.

Bei der Eisenbahn-Katastrophe in Sachsen-Anhalt mit zehn Toten hat der Fahrer des Güterzuges nach Feststellung des Bundesverkehrsministeriums zwei Haltesignale überfahren, bevor er mit einem Personenzug zusammenstieß. Dies gehe aus einem Bericht des Ministeriums an den Verkehrsausschuss des Bundestags hervor, schreibt die „Bild“-Zeitung. Daraus werde auch ersichtlich, dass das Unglück am Samstagabend bei Hordorf ohne Schnellbremsung des Harz-Elbe-Expresses (HEX) auf der eingleisigen Strecke wahrscheinlich noch mehr Opfer gebracht hätte.

Bei dem Zusammenprall war der Personenzug von den Gleisen geschleudert worden. Dabei waren auch 23 Reisende verletzt worden, ein Teil von ihnen schwer. Die Strecke war nicht mit einem Sicherheitssystem ausgestattet, das die Züge automatisch stoppt, wenn sie ein Haltesignal überfahren. Dieses System war für die Bahnlinie Magdeburg-Halberstadt erst ab März geplant. Die Unglücksstrecke ist nach Angaben der Bundespolizei seit Montagabend für den Bahnverkehr wieder freigegeben worden. Seit dem Abend fährt der Harz-Elbe-Express wieder zwischen beiden Städten.

Laut „Bild.de“ heißt es im Bericht an den Verkehrsausschuss, der Lokführer des Güterzuges habe zwei Signale ignoriert: „Der Güterzug passierte aber sowohl das Einfahrtsvorsignal in der Stellung „Halt erwarten“ sowie das anschließende Halt zeigende Hauptsignal B, ohne diese zu beachten, und hat die für die Zugfahrt des HEX 80876 eingestellte Weiche aufgefahren.“ Über Funk habe der Güterzugführer vom Fahrdienstleiter im Stellwerk Hordorf sogar noch einen Nothaltauftrag erhalten. Unklar sei noch, ob er darauf reagierte.

Fahrtenschreiber des Triebwagens ausgewertet

Dem Bericht an den Verkehrsausschuss zufolge hat die Auswertung des Fahrtenschreibers des Personenzuges ergeben, dass der bei dem Zusammenstoß getötete 35-jährige Triebfahrzeugführer noch eine Schnellbremsung einleitete und den Personenzug von rund 98 Kilometer pro Stunde auf etwa 66 Kilometer beim Zusammenstoß abgebremst habe.

Die Staatsanwaltschaft hat derweil die Ermittlungen gegen den Lokführer des Güterzuges aufgenommen. Es bestehe ein Anfangsverdacht wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und der Gefährdung des Bahnverkehrs.

Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube hat unterdessen die Ausrüstung aller eingleisigen Strecken in Deutschland mit dem Sicherheitssystem PZB angekündigt. Zu diesem Schritt habe sich die Bahn am Montag entschieden und bereits eine Untersuchung aller kritischen Bahnstrecken in Auftrag gegeben, sagte Grube am Montagabend. Insbesondere im Osten Deutschlands gebe es noch viele eingleisige Strecken. „Da ist Handlungsbedarf. Und ich meine, wir sollten hier einen Schlag zulegen und diese Schwachstellen so schnell wie möglich beseitigen“, sagte Grube.

Hermann wirft Bahn Versäumnisse vor

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, Winfried Hermann (Grüne), moniert derweil Versäumnisse beim Netzbetreiber Bahn: „Es ist ein unerträglicher Zustand, dass in den neuen Bundesländern notwendige Sicherheitssysteme nicht nur auf Neben-, sondern auch auf Hauptstrecken fehlen“, sagte er. Der Unfall vom Wochenende offenbart nach Hermanns Bewertung eine Investitionslücke. „Die Bahn investiert einfach nicht ausreichend in den Bestand. Sie verliert sich in Großprojekten.“

Nach Hermanns Informationen fehlt es an PZB-Systemen unter anderem auf Teilabschnitten der Bahnstrecken Erfurt-Nordhausen, Dresden-Cottbus, Halle-Eilenburg, Gera-Leipzig und Lübeck-Stettin. Die PZB löst eine Zwangsbremsung aus, wenn ein Zug über ein Haltesignal fährt. Hermann: „Die Strecken müssen schnell nachgerüstet werden: Die Bahn muss jetzt ein Konzept mit einem klaren Zeitplan vorlegen.“

Seit 2008 rüstet der Bahnnetz-Betreiber DB Netz bereits nach - auch Verbindungen mit Höchstgeschwindigkeiten unterhalb von 100 Stundenkilometern. Bis 2012 soll dies nach Konzernabgaben abgeschlossen sein.

Auch Frank Schmidt, Chef der Lokführergewerkschaft GDL in Nordrhein-Westfalen, kritisierte das fehlende Sicherheitssystem auf der Unglücksstrecke: „Wir reden über Prestigeobjekte wie „Stuttgart 21“ und haben noch Strecken, die an Dampflokzeiten erinnern.“