Essen. . Meuterei und Todesfälle stehen im Raum. Die Zukunft der Gorch Fock ist ungewiss. Autorin Jasna Zajcek berichtet von Drill auf dem Deck, von Sex-Wetten, und warum Offiziersanwärterinnen das Schiff dennoch lieben.

Die Beurlaubung des „Gorch Fock“-Kommandanten Norbert Schatz hat eine Debatte über die Zukunft des Segelschulschiffs ausgelöst. Anlass war der Unfalltod einer 25-jährigen Offiziersanwärterin, die am 7. November beim Klettern in der Takelage aus 27 Metern Höhe auf das Deck stürzte. In Königshaus’ Bericht war in diesem Zusammenhang von Meuterei-Vorwürfen gegen mehrere Offiziersanwärter die Rede und von einem zerrütteten Verhältnis zwischen Mannschaft und Schiffsführung. Jasna Zajcek war in die Grundausbildung in der Bundeswehr als Autorin „embedded“. In der Zeit war sie auch auf der Gorch Fock. Ein Interview.

Ist die Gorch Fock wirklich so gefährlich?

Jasna Zajcek: Auf den Azoren habe ich die jungen Männer und Frauen, mit den ich die Ausbildung angefangen hatte, wieder getroffen. Sie waren nun schon ausgebildete Soldaten, aber noch lange keine Seeleute. Bei den Takelage-Rennen habe ich mich schon gewundert, wie das zu schaffen ist, in dem Tempo in die Höhe zu klettern, und wie tapfer sie sind. Ja, ich hab mich gewundert, dass da nicht viel öfter jemand die Masten herunterfällt. Das sieht schon arg gefährlich aus. Ich denke, weil innerhalb der ersten drei Monate schon eine Selektion stattfindet, ist bisher noch nicht mehr passiert. Dann sind die Härteren schon durchgekommen. Fast 11 000 Offiziersanwärter sind mittlerweile auf der Gorch Fock ausgebildet worden, es gab fünf Todesfälle. Das soll jetzt nicht sarkastisch klingen, aber das sind eigentlich bemerkenswert wenig Tote. Wenn man da unten steht, denkt man: Das ist doch Wahnsinn, wenn die da oben in den Segeln klettern. Holt die Kinder da runter.

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Von DerWesten

Können Sie die Beschreibungen, die in dem Bericht von Auszubildenden gemacht wurden, denn bestätigen?

Zajcek: Ja, das mit dem Schlafmangel habe ich selbst auch so erlebt. Das, was der Bericht des Wehrbeauftragten jetzt zu Tage gebracht hat, kann ich bestätigen. Man kommt schon zwei-, dreimal am Tag an seine Grenzen und denkt: Jetzt kann ich wirklich nicht mehr. Dann bekommt man aber einen Anschnauzer, muss „erfrischende Liegestütze“ machen und tatsächlich geht es danach weiter. Man lernt seine Grenzen auszuloten, die wenigsten fallen tatsächlich um. Der Drill und der Teamgeist tragen einen weiter. Wenn die Offiziersanwärterinnen auf die Gorch Fock kommen, dann sind sie schon drei oder sechs Monate dabei – und eigentlich müsste man dann schon wissen, ob man das aushalten kann.

Weshalb beschweren die Offiziersanwärter sich denn jetzt?

Zajcek: Der Wehrdienstberater erzählt, wenn er in die Schulen geht, dass man Helikopterpilotin werden, Fregatte fahren oder die Welt vor Piraten schützen kann. Richtige Abenteuer erleben. Er erzählt von Hightech-Maschinen und gesichertem Auskommen. Wenn er das allen so schmackhaft macht, vergessen es meiner Erfahrung nach einige junge Menschen gerade aus den strukturschwachen neuen Bundesländern, sich zu informieren. Dass man da teilweise richtig hart und körperlich ranklotzen muss, ganz anders als bei einem Job im Zivilen. Man muss auch die psychische Belastung fern der Heimat, fern der Lieben tragen. Das kann man sich vielleicht als Abiturient gar nicht so richtig vorstellen.

Aber auf Mutproben zum Beispiel kann sich doch niemand vorbereiten...

Zajcek: Ach, Sie meinen die Äquatortaufe? Naja, das wird da so gemacht. Es sind uralte seemännische Traditionen. Ich will das nicht verteidigen. Aber, ja, solche Sachen gibt es auf allen seegehenden Einheiten. Ich bin zum Beispiel bei einer Schnellboot-Patrouille mitgefahren. Wenn ein junger Soldat – egal ob männlich oder weiblich - zum ersten Mal ein Geschoss abfeuert , wird die leere Sprengstoffhülse, die noch dampft und nach Sprengstoff riecht, genommen, mit Küchenabfällen, dem Inhalt eines Aschenbechers und mit Chili gefüllt. Das muss dann getrunken werden. Das Ritual kennt man vorher, und dafür gehört man nachher auch dazu. Alle Rituale in Stammesgesellschaften haben ihre Funktion und schweißen zusammen. Ich weiß nicht, ob das noch zeitgemäß ist, aber das ist Marine-Tradition.

Ist das eine Demonstration von Macht zum Lehren von Gehorsam?

Zajcek: Nein, das sind Rituale, die sind Tradition. Und auf diesen Schiffen wird gesegelt wie im 19. Jahrhundert. Da muss wahnsinnig gebrüllt werden und da ist eine Menge Drill dabei. Aber wenn der Wind pfeift und die Kommandos nicht über Lautsprecher weitergegeben werden, versteht man sonst auch nichts, und natürlich ist es besser, denen zu gehorchen, die dieses alte wunderschöne Schiff auswendig kennen und als Team zu funktionieren. Auf der anderen Seite, also vom Seemännischen her, gibt es keine schönere und großartigere Erfahrung als auf der Gorch Fock zu sein. Das haben mir zumindest meine „Kameraden“ und „Kameradinnen“ bestätigt. Es gibt aber auch freiwillig länger Wehrdienstleistende, die sich aufgrund schlechter Chancen auf dem Arbeitsmarkt beim Heer verpflichten wollten und nun die Gorch Fock als Stammbesatzung segeln müssen und es nicht besonders schätzen. Jetzt gibt es grad nur die gruseligen Bilder, die zeigen, wie schrecklich alles ist. Aber am Tag der Äquatortaufe bibbern alle zusammen, alle lachen übereinander, denn jeder muss da durch und klar, alle zücken ihre Digitalkameras. Zum Schluss überwiegt die Freude, dass sie jetzt tatsächlich über den Äquator gesegelt sind. Das sind „Once in a lifetime“-Momente. Genauso liegen sie manchmal nur an Deck und können sich sonnen. Oder sie legen sich in das Netz ganz vorne über dem Wasser, und es geht, begleitet von Delfinen, in den Sonnenuntergang. Das kann man sich in keinem 5-Sterne-Katalog kaufen. Dafür muss man eben Einiges einstecken.

Also muss man ganz einfach hart im Nehmen sein, wenn man auf der Gorch Fock seine Ausbildung machen will?

Zajcek: Absolut. Man darf nicht meckern. Und man sollte am besten schon verstanden haben, dass das Zurücknehmen der eigenen Persönlichkeit dazugehört. Und dass Teamgeist das Einzige ist, was zählt.

Wie passen Frauen in diese „Männerdomäne“, in der Kameradschaft und Teamgeist zählen?

Zajcek: Es gibt auf der Gorch Fock eine Frau in der Stammbesetzung: Frau Oberleutnant. Die ist etwa 1,55 Meter groß, hübsch, blond, recht kräftig. Sie steht ihren Mann, da würde niemand auf die Idee kommen zu fragen, was sie auf dem Schiff macht. Wenn man auf der Gorch Fock 1,5 Jahre besteht, dann heißt das, dass der richtige Typ Frau auf jeden Fall seine Berechtigung auf diesem Schiff hat. Alle Dienstälteren haben mir gesagt, dass sie natürlich vor zehn Jahren sehr, sehr kritisch waren, als Frauen in alle Verwendungen der Bundeswehr gehen konnten. Jetzt sind sie sehr glücklich darüber. Denn die Anwesenheit von Frauen normalisiert das Klima in diesem Männerverein. Es wird nicht mehr so viel gepöbelt oder ,rumgeprollt’. Diskussionen sind nicht mehr so aggressiv, wenn Frauen dabei sind. Sie nehmen sich die Jungs auch mal zur Seite und können eher schwesterlich, mütterlich auf sie einwirken. Da fragt man mal nach dem Ärger mit der Freundin. Das bringt ein Stück Normalität.

Allerdings wurde die Gorch Fock auch mal als „schwimmender Puff“ bezeichnet. Was meint das denn?

Zajcek: Ich möchte nicht sagen, dass da jemand tatsächlich Geld genommen hat. Das wäre mir sicher zugetragen worden. Dass da teilweise ausgelassene Pärchenbildung gibt, dass es da großartig romantische Momente gibt, das muss man sich erstmal klar machen. Wenn eine gemeinsame Nachtwache ansteht, dann kann es natürlich sein, dass man sich näher kommt. Eine Vergewaltigung ist mir nicht zu Ohren gekommen, das wäre ja auch dramatisch. Ich habe nur von sexuellen Affären und Liaisons in beiderseitigem Einverständnis gehört. Davon gibt’s viele und die wechseln auch oft. Viele Mitglieder der Stammbesatzung sind ja selbst erst Anfang 20, die Anwärter und Anwärterinnen sind auch 19 oder 20 Jahre alt. Da hat man noch nicht ganz seine Gefühle unter Kontrolle. Und es ist wirklich eine ganz besondere Situation auf der Gorch Fock. Viel Stress, viel körperliche Aktivität und viel körperliche Nähe beim Alltag und im kleinen Privaten. Allerdings kann man auf dem Schiff davon ausgehen, dass immer alle irgendetwas mitkriegen, dass es immer Gerüchte gibt. Die Offiziere machen sich einen Sport daraus, herauszufinden, woher die Gerüchte kommen und ob etwas dran ist. Das haben sie, denke ich, mit viel Fingerspitzengefühl getan.

Für ihre Recherchen zum Buch „Unter Soldatinnen“ musste die Berliner Buchautorin Jasna Zajcek auch zur Waffe greifen. (Foto: Falko Siewert)
Für ihre Recherchen zum Buch „Unter Soldatinnen“ musste die Berliner Buchautorin Jasna Zajcek auch zur Waffe greifen. (Foto: Falko Siewert) © FALKO SIEWERT

Freie Liebe auf der Gorch Fock?

Zajcek: Seit 2004 sind sexuelle Beziehungen in militärischen Liegenschaften der Bundeswehr erlaubt. Auf allen Fregatten gibt es Paare, und der Kommandant sorgt auch dafür, dass sie zwischendurch mal etwas Zeit für Privates haben. Auf der Gorch Fock ist der Platz schon begrenzter, aber junge Menschen sind ja erfinderisch. Da gibt es da auch die Müll-Last, die Hängematten-Last, die sind beliebt zum Liebemachen. Man kann es auf den Toiletten und Duschen probieren. Bei uns in der Kaserne stand auf der -Toilette: „Gorch Fock“ = „George Fuck Bumsschiff“. Ich hab immer versucht rauszufinden, ob das stimmt. Aber vielen jungen Soldatinnen ist auch bewusst, in was für eine Löwenhöhle sie sich begeben und würden selbst bei Interesse an einem Kameraden warten, bis der Törn vorbei ist, bevor sie eine Beziehung eingehen. Es geht schließlich um einen Ruf, der ihnen sonst für die gesamte Laufbahn nachhängen würde.

Und das bleibt in den normalen Bahnen?

Zajcek: Die Kameradinnen haben gewarnt: ,Ihr müsst ganz doll aufpassen. Dort wird nicht nur geklaut, es gibt auch das Eulen-Schießen.’ Das ist eine Tradition oder eher eine Wette, die es offiziell nicht gibt: Teile der Stammbesatzung wählen das hässlichste Mädchen aus. Für sie gibt es einen Jackpot, in den jeder Geld einzahlt. Dann versuchen die Jungs, sich an das Mädchen ’ranzumachen. Wenn man sich in die Rolle dieses Mädchens, dieses Mauerblümchens, versetzt, dann kann einem nur das Herz brechen: Sie merkt, sie ist die Begehrteste, gibt sich einem hin, dann liegt er plötzlich nicht mehr neben ihr, es fehlt ein Slip oder BH, und alle lachen über einen. Dann möchte man wahrscheinlich von Bord gehen. Als ich auf der Gorch Fock angekommen war, hieß es auch gleich: ,Guck hier, das ist die Eule.’ Da waren zwei Mädchen zur Eule erkoren worden. Und eine von ihnen ist dann, so die Gerüchte, für 1200 Euro entjungfert worden. Das arme Mädel dachte wahrscheinlich, es wäre Liebe gewesen.

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Gibt es denn für die Mädchen, wenn sie Probleme haben, eine Frauenbeauftragte?

Zajcek: Also, an Bord gibt es die nicht. Dort hat diese Rolle die Frau von der Stammbesetzung übernommen. Sie hat den jungen Kameradinnen direkt gesagt, dass die Kameraden frech und forsch sind und alles für einen Kuss tun oder auch mehr probieren würden. Außerdem gibt es richtige Seebären, die sagen, dass Frauen an Bord Unglück bringen. Sie hat den jungen Frauen geraten, schnell mit dem Mundwerk zu kontern. Wenn man erst da steht und „baff“ ist, dann ist das schon ein Punkt für die andere Seite. Der Umgangston bei der Bundeswehr ist ein bisschen rauer. Die Männer probieren erstmal zu landen. Sie wollen flirten, sie suchen Kontakte, sie sind ein bisschen wie eine frauenlose Clique ohne Rand und Band. Deswegen muss man die Jungs auch mal auf ihre Plätze verweisen und kontern, sonst macht man sich angreifbar.

Haben Sie noch Kontakt zu Offiziersanwärterinnen, die Sie auf der Gorch Fock kennengelernt haben?

Zajcek: Ja. Die finden ganz schrecklich, was zurzeit in den Medien geschrieben wird. Meine Kameradin sagt nur, sie liebt ihr Schiff. Die Zeit auf der Gorch Fock war die Zeit ihres Lebens: Dass man mit einem eingeschworenen Team und einem gut funktionierenden Segelboot mit Manneskraft und Windkraft die Weltmeere beherrschen kann – nur das wollte sie erleben.