Berlin.. Ab Donnerstag ermittelt der Chef des Marineamtes an Bord. Ein ehemaliger Ausbilder des Schulschiffs glaubt nicht an ein Führungsversagen von Kapitän Schatz. Ein früherer Offiziersanwärter zweifelt an massivem Druck auf dem Segelschulschiff.
Ein ehemaliger Ausbilder der Gorch Fock glaubt nicht an ein Führungsversagen von Kapitän Schatz. Ein ehemaliger Offiziersanwärter zweifelt an massivem Druck auf dem Segelschulschiff. Am Donnerstag ermittelt Konteradmiral Kolletschke in Feuerland.
Achim Winkler wollte eigentlich schon längst wieder zuhause sein: in Kiel. Der Fregattenkapitän der Bundesmarine, gleichzeitig Pressestabsoffizier, startete kurz nach Weihnachten Richtung Gorch Fock, um ein NDR-Team an Bord zu hieven. Dort sei die Stimmung „sehr gut“ gewesen, berichtete Winkler gestern früh, als ihn DerWesten einer Pension im derzeit von Touristen überschwemmten Ushuaia ans Telefon bekam. Dort liegt das bekannteste Schiff der Bundeswehr vor Anker. Anweisung von ganz oben.
Von Montevideo/Uruguay aus sei man durch die Magellanstraße und rund ums Kap Hoorn gesegelt, teilweise bei Windstärke 11. „Das hat ganz schön gekachelt“, sagt Winkler. Kein Vergleich zu dem, was dem schwimmenden Klassenzimmer der Bundeswehr droht, wenn spätestens nächsten Donnerstag Konteradmiral Horst-Dieter Kolletschke an der Südspitze Feuerlands eintrifft.
Vorwürfe werden geprüft
Der Chef des Marineamtes in Rostock führt nach Informationen von DerWesten ein Team von Ermittlern an, die den unschönen Dingen auf den Grund gehen müssen, die Anfang November vergangenen Jahres mit dem tödlichen Sturz einer 25-jährigen Offiziersanwärterin aus der Takelage des Dreimasters ihren Lauf genommen haben sollen.
Sollen. Denn darauf legt auch der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus (FDP) gesteigerten Wert, der sich gestern des Vorwurfs der Intrige gegen Minister Guttenberg zur Wehr setzte: Ob die schweren Vorwürfe von ehemaligen Kadetten gegen die Schiffsleitung unter Kapitän Norbert Schatz zutreffen, das stehe bis zur Aussage der Gegenseite noch dahin.
Achim Winkler darf und kann dazu rein gar nichts sagen. „Kein Kommentar. Ich war damals nicht an Bord. Und alles weitere ist Gegenstand von intensiven Untersuchungen.“
An seiner Stelle reden andere, darunter ein ehemaliger Ausbilder der Gorch Fock aus Norddeutschland, der jahrelang auf diesem „tollen Kahn gefahren ist“, den amtierenden Kapitän kennt, aber vorläufig anonym bleiben möchte.
Frage: Kann es sein, dass Kommandant Schatz oder einer der rund 30 (!) Ausbilder nach dem Tod von Sarah Lena Seele tief trauernden Kameraden massiv damit gedroht hat, ihnen das Offizierspatent zu versagen, wenn sie nicht ohne zu lamentieren anstandslos wieder in die Masten klettern?
Antwort: „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Es gibt immer einige wenige, die dem Gang nach oben partout nicht gewachsen sind, obwohl alle Kadetten auf Höhentauglichkeit geprüft werden, bevor sie an Bord kommen.“ Davon abgesehen: „Das Offizierspatent ist nicht davon abhängig, ob einer oder eine in die Rahen klettern kann oder nicht.“
Emotionen ja - Meuterei unvorstellbar
Rein gar nichts hält der erfahrene Seemann vom „sachfremden Gebrauch des Begriffs Meuterei“, der in vielen Medien die Runde macht. Aus eigener Erfahrung vieler Reisen auf der Gorch Fock könne er sich sehr gut vorstellen, dass „da nach dem Todessturz Schock und Irritationen an Bord waren und Emotionen wie Worte, auch mal gegen Vorgesetzte, vorübergehend aus dem Ruder gelaufen sind“. Aber wenn darauf einer in der Marine in dem Ruf stehe, „besonnen“ reagieren zu können, „dann ist das Kapitän Schatz“.
Die Schwere der Vorwürfe aus dem Lager der Kadetten, von denen nach Angaben des Wehrbeauftragten vier quasi mit der Aberkennung der Seefahrerwürde gedroht worden sein soll (Meuterei), bringt den ehemaligen Ausbilder gleichwohl „ins Grübeln“. Seine Hoffnung: Wenn Konteradmiral Kolletschke seinen Erkundungsausflug ans Ende der Welt beendet habe, „müsste er sich eigentlich schleunigst die jungen Leute anhören, die dem Wehrbeauftragten ihr Leid geklagt haben und nicht zuerst der Marine“.
Auch Ralf G. (Name der Redaktion bekannt) wundert sich über die jüngsten Berichte von der Gorch Fock. Der Duisburger war in den 90er Jahren als Offiziersanwärter mit dem Segelschulschiff der Marine unterwegs. Zwei Monate lang erlebte der heute 38-Jährige den nach seinen Worten „strengsten Teil der Ausbildung“. Rasurkontrolle, Schuhkontrolle, Spindkontrolle, militärischer Gruß – auf der Gorch Fock herrschte ein raues Klima, Vorschriften mussten peinlich genau eingehalten werden. Sonst drohte Strafarbeit.
„Auf der Gorch Fock zeigt sich, wer das Zeug zur Führungskraft hat. Es ist eine eigene Welt.“ Unteroffiziere bilden dort Offiziere aus. Auf dem Schulschiff stehen die künftigen Vorgesetzten aber noch unter den Unteroffizieren und würden dementsprechend hart rangenommen.
Von massivem Druck bis hin zu Drohungen weiß Ralf G. aber nichts „Es gab damals keinen Zwang, den Mast hochzugehen“, kommentiert auch er die tödliche Kletterpartie der jungen Seekadettin im November, an deren Tod sich eine Meuterei auf der Gorch Fock entzündete. „Wer nicht wollte, wurde zwar beschmunzelt, aber nicht beschimpft.“
Er habe den Mast nicht gern erklommen, sich aber schließlich doch überwunden. „Doch die Angst, abzurutschen, war immer da.“ Auch deshalb, weil der lebensrettende Gurt um den Körper erst oben an der Station eingeklinkt wird. Der Aufstieg ist frei.
Freiwilligkeit gefordert
Sexuelle Belästigungen auf der Gorch Fock sind Ralf G. ebenfalls fremd. Der allgemeine Ton sei eben rau, da solle man nicht zu sensibel reagieren. „Wenn sie da einem Anwärter gesagt haben, er solle sich bücken, dann war das sicher ein Spaß.“ So sei das eben unter Männern. Wer solche Foppereien nicht abkönne, sei falsch bei der Marine.
Ralf G. wartet erst einmal die Untersuchungen ab, bevor er sich ein Urteil über die aktuelle Lage auf dem Segelschulschiff bildet. Dennoch verstehe er den Sinn nicht, wenn sich junge Frauen wie die verunglückte Kadettin den Mast hochquälen müssen, obwohl sie eigentlich Ärztin werden wollen: „Die Gorch Fock muss eine freiwillige Ausbildungsstation sein.“