Tuscon. .
Nach dem Attentat auf die demokratische US-Kongressabgeordnete sucht Amerika nach einer Erklärung für die Tat. Von einem „Klima des Hasses“ ist die Rede. Der Todesschütze wurde mittlerweile angeklagt.
Nach dem Schock über das Attentat auf die demokratische US-Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords sucht Amerika nach einer Erklärung für die Tat. Der 22-jährige Todesschütze Jared Lee Loughner ist wegen Mordes und Mordversuchs angeklagt worden und sollte im Laufe des Montags einem Richter in der Stadt Phoenix zur Anhörung vorgeführt werden. Nach Angaben der Polizei in Tucson ist er nicht geisteskrank, aber psychisch instabil. Über die Motive für seine Tat gab es noch keine eindeutigen Erkenntnisse.
Ist ein „Klima des Hasses“ schuld am Attentat von Tuscon? Nobelpreisträger Paul Krugman ist felsenfest davon überzeugt. In seiner regelmäßigen Kolumne in der „New York Times“ wies Krugman am Montag der amerikanischen Rechten und ihrer „giftigen Rhetorik“ eine Mitverantwortung für den Schuss auf die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords zu. Republikaner und die erzkonservative Tea Party wiederum wehrten sich, für die Tat eines geistig Verwirrten in Mithaftung genommen zu werden.
Vergiftetes politisches Klima
Das Land steht unter Schock - und redet sich kräftig in Rage, wer die Verantwortung für den ersten politisch motivierten Mordanschlag im Land seit drei Jahrzehnten trägt. Die Flaggen vor den Bundesbehörden wehten gestern landesweit auf Halbmast. Mit einer Schweigeminute gedachte Präsident Barack Obama am Vormittag auf dem Rasen des Weißen Hauses der sechs Toten und 14 Verletzten, die das Blutbad von Arizona gefordert hatte. Doch in den Blogs, in Zeitungen und im Fernsehen wurde erbittert darum gerungen, wer die Hauptschuld am vergifteten politischen Klima im Land trägt.
Über Nacht hatte Sarah Palin, die Ikone der Tea Party, die umstrittene Landkarte mit 20 Fadenkreuzen, auf der auch Giffords Name stand, von ihrer Webseite löschen lassen. Ein Schuldeingeständnis sollte dies freilich nicht sein. Palins Sprecherin Rebecca Mansour wies jede Verbindung zu der Bluttat von Tuscon zurück und deklarierte die Fadenkreuze zu schlichten Symbolen für Landvermesser um.
Nicht nur die Rechte hat verbal aufgerüstet
Kräftig angefeindet wurde derweil Sheriff Clarence Dupnik, der als erster einen Zusammenhang zwischen der Atmosphäre voller Hass und den Schüssen aus der Pistole des 22-jährigen Jared Loughner, der gestern dem Haftrichter vorgeführt wurde, hergestellt hatte. Stimmen aus der rechten Ecke legten dem altgedienten Sheriff des Tuscon-Landkreises, der in dieser Woche 76 Jahre alt wird, den sofortigen Rücktritt nahe. Arizonas republikanischer Senator John Kyl nannte Dupniks Festellung, der Grenzstaat sei zu einem „Mekka des Hasses und der Engstirnigkeit“ geworden, unangemessen. Doch es gab auch besonnene Stimmen. Zumindest ein republikanischer Senator, den die einflussreiche Washingtoner Internet-Zeitung „Politico“ nur anonym zitierte, gestand der Tea Party zwar zu, brennende Themen zu benennen, die Amerika umtreiben. Doch letztlich sei der „Ton entscheidend“.
Dabei hat in der Vergangenheit keineswegs nur Amerikas Rechte verbal aufgerüstet. Auch die „New York Times“ gab gestern ein Zitat Barack Obamas wieder, der auf einer Wahlkampfveranstaltung 2008 noch markig mit Blick auf die politische Konkurrenz getönt hatte: „Wenn sie ein Messer mitbringen, kommen wir mit einem Gewehr.“ Konservative Blogger warfen den Demokraten daher „Scheinheiligkeit“ vor, die nun versuchten, die politischen Gegner zu geistigen Komplizen in einem Mordfall zu erklären.
Verbale Radikalisierung
Zielscheiben und Fadenkreuze, eine überhitzte, martialische Rhetorik, die sich reflexhaft aus alten Pioniertagen speist, als Auseinandersetzungen mit dem Colt entschieden wurden, sind tatsächlich nicht erst seit gestern selbstverständlicher Teil eines scharf geführten politischen Diskurses. Zimperlich ging es in Amerikas politischen Arenen noch nie zu. Doch die verbale Radikalisierung hat spätestens seit Obamas Amtsantritt eine neue Qualität erreicht. Zudem formen immer mehr Amerikaner ihr Weltbild ausschließlich aus Sendungen ideologischer Scharfmacher und Hetzer in Radio und Fernsehen. In den letzten beiden Jahren gingen die Einschaltquoten solcher Sendungen förmlich durch die Decke. Stimmen auf beiden Seiten, die in der erregten Debatte um Mäßigung baten, gingen fast unter.
Zumindest ein Zeichen setzte John Boehner. Der neue, konservative Chef des US-Repräsentantenhauses kippte die für diese Woche geplante Abstimmung, mit der Obamas Gesundheitsreform geschleift werden soll. Die scharfe Debatte im Parlament, die der Abstimmung vorausgegangen wäre, hätte das aufgeheizte Klima nach dem Schock des Wochenendes gewiss noch weiter vergiftet.