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Kein Kaufhaus ist zurzeit ohne Hintergrundmusik zu haben: Gerade zu Weihnachten erwarten die Kunden Jingle Bells und Last Christmas. Doch ob das das Kaufverhalten der Kunden beeinflusst, ist umstritten.

Gudrun Ero lässt ihren Blick über das Regal mit den Barbies schweifen. „Last Christmas“ dudelt aus den Bo­xen, während sie nach ei­nem Weihnachtsgeschenk für ihre Tochter sucht. „Jingle Bells“ und Co. gehören für die Kundin kurz vorm Fest im Kaufhaus dazu: „Die Lieder bringen mich in Weihnachtsstimmung und ma­chen das Einkaufen an­ge­nehmer“, sagt sie. Da­neben hat die musikalische Berieselung auch Einfluss auf das Kaufverhalten, glauben Einzelhändler – und beschallen ihre Läden deshalb nicht nur zur Weihnachtszeit.

„In unseren Filialen läuft das ganze Jahr über leise Mu­sik“, sagt etwa Sophie La­sos, Sprecherin der Warenhauskette Kaufhof. „Die Kunden sollen sich dadurch wohl fühlen und in entspannter Atmosphäre einkaufen können.“ Mit an­deren Worten: „Die Käufer sollen so lange wie möglich im Laden bleiben und im besten Fall mehr kaufen als geplant“, sagt Martin Scarabis, Werbe- und Mar­keting­psychologe an der Uni Münster.

100 Millionen für die Beschallung

Geschätzte 100 Millionen Euro ge­ben Einzelhändler jährlich für die Beschallung ihrer Lä­den aus – „allein 15 Millionen da­von sind Gema-Gebühren“, sagt Monika Dürrer vom Handelsverband Deutschland. Wissenschaftliche Un­tersuchungen legen nahe: Mu­sik kann die Kaufentscheidung er­heblich be­einflussen. So zeigt eine Studie aus England, dass Kun­den vermehrt französischen Wein kaufen, wenn im Ge­schäft landesübliche Musik ge­spielt wird. Rieseln deutsche Klänge aus den Lautsprechern, greifen sie häufiger zum Riesling von der Mosel.

Doch das Konzept greift nur, wenn die Musik auf den Ge­schmack einer bestimmten Zielgruppe trifft. Um herauszufinden, welche Musik die Käufer an ihre Lä­den bindet, beauftragen viele Einzelhändler ex­terne Un­ter­nehmen, die auf den Vertrieb von funktioneller Musik, so der Fachbegriff, spezialisiert sind. Der weltweit größte Lieferant „Mood Me­dia“ kommt aus Hamburg. Die Ex­perten programmieren Filialradios und andere Musikkonzepte für Kaufhäuser, Mo­de- und Sportgeschäfte, Fast-Food-Ketten, Bau- und Su­permärkte von Schanghai bis Schweden.

In Kaufhäusern geht es um Schadensbegrenzung

Das wichtigste an ihrer Ar­beit ist die Feldforschung vor Ort. „Wir schicken unsere Leute in Einkaufsstraßen, Läden und Shoppingcenter“, sagt Piet Braun von „Mood Me­dia“. Al­ter, Ge­schlecht oder so­ziale Herkunft – all das geht ein ins spezielle Musik-Programm. Braun: „Je jünger die Zielgruppe, desto lauter und trendbewusster ist die Musik.“

In großen Kaufhäusern und Supermärkten setzen die Ex­perten fürs Musikdesign vor allem auf ei­nes: Schadensbegrenzung. Die Kauf­hausmusik soll in erster Linie störende Hintergrundgeräusche überdecken oder beklemmende Stille vermeiden. „Bei der breiten Kundschaft variiert der Musikgeschmack stark“, sagt Piet Braun. „Die Mu­sik muss zeitlos sein, damit sie keinen Kunden vergrault.“ Hits wie die von Robbie Williams ver­mitteln einer breiten Kundschaft das Ge­fühl, am richtigen Ort zu sein. Sagen jedenfalls die Musik-Produzenten.

Günther Rötter sagt etwas an­deres. Der Musikpsychologe von der Uni Dort­mund ist sich sicher: „Kaufhausmusik für alle von acht bis 80 ist wirkungslos und reine Geldscheffelei der produzierenden Un­ternehmen.“ Er habe ei­ne Studie in ei­nem Supermarkt durchgeführt, „in der über Wo­chen nur an bestimmten Tagen Musik gespielt wurde“.

Nicht wegzudenken

Das Er­gebnis: Die Musik be­einflusste das Kaufverhalten der 25 000 be­fragten Kunden nicht. Sie blieben weder länger im Geschäft, wenn Mu­sik lief, noch kauften sie mehr ein. Auch auf ihre Stimmung hatte die Musik keine Auswirkung. Der Grund liegt für Rötter auf der Hand: „Ob im Kaufhaus oder der Restaurant-Toilette, wir werden überall beschallt. Die Ge­­wohn­heit lässt uns weghören.“

Es ist aber auch die Ge­wohnheit, die viele Kunden die Einkaufsmusik nicht mehr wegdenken lässt. „Es wäre ko­misch, wenn plötzlich keine mehr da wäre“, sagt Gudrun Ero. Oder wenn sie beim Barbie-Kauf zu Weihnachten mit den Sommerhits der Beach Boys beschallt würde.