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Mit dem Abbruch der TV-Show „Wetten, dass...?“ am Samstag hat das ZDF sich „gegen die gängige Medienlogik“ gestellt, sagt der Essener Kommunikations-Forscher Jo Reichertz. Ein Lichtblick in einem ansonsten dunklen Kapitel der jüngsten TV-Geschichte.

Der Sturz war heftig, die Folgen für Samuel Koch sind wahrscheinlich nicht mehr rückgängig zu machen: Der 23-jährige Kandidat in der TV-Show „Wetten, dass...?“ ist am Samstag bei seiner Sprung-Wette so schwer gestürzt, dass er wahrscheinlich dauerhaft gelähmt bleibt. Nach Auskunft der Ärzte am Düsseldorfer Uni-Klinikum vom Dienstag, sind die Beine und „mindestens ein Teil der Arme“ derzeit gelähmt. Die dramatische Prognose: „Eine vollständige Erholung ist unserer Ansicht nach unwahrscheinlich.“ Koch musste sich einer zweiten, dreistündigen Operation unterziehen.

ZDF will künftig auf riskante Wetten verzichten

ZDF-Programmchef Thomas Bellut bekräftigte am Dienstag, das ZDF halte an der Show fest, werde aber künftig auf riskante Wetten verzichten: „Der Reiz der Wetten bestand ja immer auch aus ihrem Grad an Geschicklichkeit und Intelligenz. Entscheidend ist das Prinzip, dass normale Menschen sich etwas Besonderes ausdenken, und das vor Millionenpublikum zeigen.“

So riskant die Wette vom Samstag war, so verantwortungsvoll hatte der Sender nach dem schweren Unfall reagiert: Als der Kandidat ive vor Millionen-Publikum verunglückt und regungslos am Boden liegt, schwenken die Kameras rasch von der Szene weg, das ZDF bricht schließlich die Sendung ab.

„Sehr viele Zuschauer haben uns dafür gelobt“, erklärte ZDF-Sprecher Walter Kehr. Auch für den Essener Kommunikations-Forscher Prof. Jo Reichertz, mit dem DerWesten vor der Mitteilung aus Düsseldorf sprach, dass Samuel Koch womöglich gelähmt bleibt, war das eine „sehr gute“ Reaktion, medienwissenschaftlich betrachtet sogar eine außergewöhnliche: „Der Sender hat wider die Medienlogik gehandelt“, sagt Reichertz.

Reality-TV hat die Sehgewohnheiten verändert

Kommunikationsforscher Prof. Jo Reichertz. (Foto: Buchholz WAZ FotoPoo
Kommunikationsforscher Prof. Jo Reichertz. (Foto: Buchholz WAZ FotoPoo © WAZ FotoPool

Für Reichertz ist es nicht selbstverständlich, dass ein TV-Sender die Kameras dann abschaltet, wenn etwas emotional mitreißendes geschieht. Die Sehgewohnheiten haben sich verändert, sagt Reichertz: Kaum ein TV-Sender kommt mittlerweile ohne Fernseh-Formate aus, die davon leben, dass sie Menschen in emotional außergewöhnlichen Situationen zeigen.

Ob Hochzeits-Show oder Haus-Renovierung: „Man bringt die Personen soweit, dass sie die Fassung verlieren und hält dann die Kameras drauf“. Reichertz: „Die Privat-Fernsehsender haben das zum Prinzip gemacht“. Für die Zuschauer seien solche Momente „faszinierend und erschreckend zugleich“, meint Reichertz. Die Betroffenen aber werden in einem Moment den Blicken aller freigegeben, „in denen sie ihre Darstellungs-Kompetenz verlieren und plötzlich nackt da stehen.“

Auch Samuel Koch, war in gewisser Weise, als er regungslos auf dem Boden der Düsseldorfer Rheinhalle lag, plötzlich ‘nackt’. Das ZDF hat ihn vor den Blicken aller geschützt. Co-Moderatorin Michelle Hunziker rief gar nach Decken, um den Verunglückten auch vor dem Saalpublikum abzuschirmen.

„Hier fühlen wir uns wohl“

Auch das Internet-Portal Youtube hat Bilder der Szene, die einige Internetnutzer bereits Minuten später auf das Portal gestellt hatten, am Tag darauf gesperrt; über Umwege lassen sich diese Bilder - das Internet ist grenzenlos - allerdings nach wie vor aufstöbern. Auch DerWesten zeigt kein Filmmaterial der Unglückszene, das auf dem Markt ist; Fotos sind auf dem Portal, sie zeigen den Wettkandidaten kurz vor dem Aufprall beim Sprung, aber nicht in Großaufnahme am Boden liegend.

Dass „Wetten, dass...?“ nach dem Unfall - dem ersten schweren in 29 Jahren seit dem Start der Show - vor dem Aus stehe, glaubt Reichertz nicht. Der Umgang mit dem Unfall und der Verzicht auf sensationsheischende Bilder hat möglicherweise sogar eine positive Wirkung: „Die nächsten Sendungen werden die Zuschauer weiter sehen“, glaubt Reichertz: Weil der Sender es am Samstagabend verstanden hätte, den Zuschauern das Gefühl zu bestätigen, „hier fühlen wir uns wohl“. (mit afp)