Stuttgart. .

Der Tiefbahnhof Stuttgart 21 soll weitergebaut werden. Dafür hat sich der Schlichter zwischen Gegnern und Befürwortern des Projekts, der CDU-Politiker Heiner Geißler, ausgesprochen. Allerdings hat er etliche Bedingungen gestellt

Aus „Stuttgart 21“ soll „Stuttgart 21 plus“ werden: Dem am Dienstag verkündeten Schlichterspruch Heiner Geißlers zufolge soll der umstrittene Tiefbahnhof mit einigen Veränderungen nun doch gebaut werden. Weil aller Voraussicht nach die Bauarbeiten wieder aufgenommen werden, sei „vorauszusehen, dass der Protest anhalten wird“, sagte Geißler.

Die seit dem 22. Oktober laufenden Schlichtungsverhandlungen gingen nach der neunten Verhandlungsrunde zu Ende. Zu dem bisher einmaligen Verfahren war es gekommen, nachdem im Anschluss an den Baubeginn des Milliardenprojekts wiederholt tausende Menschen gegen den Abriss des alten Hauptbahnhofs in Stuttgart protestiert hatten. An der Schlichtung nahmen je sieben Vertreter von Gegnern und Befürwortern teil.

Bedingungen gestellt

Geißler hob hervor, dass die Gegner - darunter Vertreter der Grünen - gezeigt hätten, dass ihr Alternativmodell einer Renovierung des alten Kopfbahnhofs trassenmäßig realisierbar und technisch möglich wäre. Anders als für dieses Modell „K21“ liege aber nur für „Stuttgart 21“ eine Baugenehmigung vor. Auch einen Kompromiss zwischen dem von den Gegnern vorgeschlagenen Kopfbahnhof und dem unterirdisch geplanten neuen Hauptbahnhof könne es nicht geben.

„Ich kann den Bau des Tiefbahnhofs nur befürworten, wenn entscheidende Verbesserungen vorgenommen werden“, sagte Geißler als Ergebnis der Schlichtung. Das Projekt müsse umweltfreundlicher und behindertenfreundlicher werden. Als Änderungen forderte Geißler, mehr für die Sicherheit der Fahrgäste zu tun. Besonders überraschend kam die Forderung, alle Bäume im Schlossgarten zu erhalten. Geißler sagte, nur die Bäume, die in der nächsten Zeit ohnehin absterben würden, sollten gefällt werden dürfen. Alle anderen müssten umgepflanzt werden. Insgesamt sollen laut den ursprünglichen Planungen für „Stuttgart 21“ rund 280 Bäume gefällt werden, bei der Abholzung der ersten 25 Bäume in der Nacht zum 1. Oktober hatte der Konflikt um den geplanten Tiefbahnhof seinen Höhepunkt erreicht. In seiner Empfehlung forderte Geißler, in dem bislang auf acht Gleise angelegten Tiefbahnhof zwei weitere Gleise zu bauen und die Durchgänge zu verbreitern. Die durch den Gleisabbau in der Innenstadt frei werdenden Grundstücke sollen in eine Stiftung überführt und damit der Spekulation entzogen werden. Die Bebauung der Grundstücke soll strikten Auflagen unterworfen werden. Zudem regte Geißler an, nun einen Moderator - etwa einen Bischof - einzusetzen. Bahnchef Rüdiger Grube sagte, er sei „glücklich, dass die Schlichtung ein Erfolg war“. Der Konzern wolle nun versuchen, trotz der Verbesserungsvorschläge den veranschlagten Finanzrahmen von maximal 4,5 Milliarden Euro einzuhalten.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) sagte, Geißler habe dem Land eine „ordentliche Hausaufgabe“ gegeben, die seiner Regierung einiges abverlangen werde. „Wir werden all die Punkte, die jetzt vereinbart sind, Punkt um Punkt transparent abarbeiten“, sagte Mappus. Auf Seiten der Gegner sagte die Landesvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Brigitte Dahlbender, die Kritiker würden sich weiter für ihr Alternativmodell „K21“ einsetzen. Am 11. Dezember solle dies auf der nächsten Großdemonstration zum Ausdruck gebracht werden.

„Der Widerstand geht weiter“

Der ebenfalls auf der Gegnerseite an der Schlichtung beteiligte Stuttgarter Stadtrat Hannes Rockenbauch sagte: „Der Widerstand geht weiter“. Als Erfolg der Gegner reklamiert er, dass es gelungen sei, dass „Stuttgart 21“ nach mehr als 20-jähriger Planung nicht funktioniert.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) erklärte, der Schlichterspruch weise den Weg zu mehr Miteinander. „Wir werden den Schlichterspruch ernst nehmen und nun zunächst mögliche Konsequenzen für den Bund prüfen.“

Pro & contra Stuttgart 21

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    Hinter Stuttgart 21 verbirgt sich das größte aktuelle Infrastrukturprojekt Deutschlands. Der Hauptbahnhof der Landeshauptstadt soll unter die Erde verlegt und zugleich von einem Kopf- in einen Durchgangsbahnhof umgebaut werden. Die beiden Seitenflügel des denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes werden abgerissen. Im Gegenzug soll wertvolles Bauland im engen Stuttgarter Talkessel gewonnen werden. Die Befürworter versprechen sich dadurch erhebliche positive Effekte für die Stadtentwicklung.

    Stuttgart 21 umfasst aber auch den Ausbau der Bahnstrecke von Stuttgart bis Wendlingen mit einer Länge von 57 Kilometern. 33 Kilometer davon sollen durch insgesamt 16 Tunnel führen. Auch 18 Brücken sowie drei neue Bahnhöfe sind vorgesehen. Die Fahrtzeit von der Innenstadt zum Flughafen soll sich von 28 auf acht Minuten verkürzen. Die Kosten des Projekts sind mit vier Milliarden Euro veranschlagt.

    Offizieller Baubeginn war am 2. Februar. Geplant ist, die Anlage um das Jahr 2020 fertigzustellen. Kritiker des Vorhabens bemängeln vor allem die hohen Kosten, die aus ihrer Sicht andere wichtige Schienenprojekte in Baden-Württemberg behindern. Zudem halten sie das vor 20 Jahren erstellte Konzept für veraltet und wenig kundenfreundlich. Sie haben vorgeschlagen, am Konzept des Kopfbahnhofs festzuhalten, was Geißler aber ablehnte.

    Mappus kann von schlichtung nicht profitieren

    Geißlers Prognose, dass sein Spruch nicht zur Frieden in Stuttgart führen wird, bewahrheitete sich noch im Rathaus. Demonstranten skandierten „Lügenpack“ und „Oben bleiben“. Die BUND-Vorsitzende Dahlbender bekräftigte die Forderung der Projektgegner nach einem weiteren Baustopp bekräftigte. Der Streit um den Bahnhof wird nun wohl wieder auf der Straße ausgeführt. Die Bahn plant Projektgegnern zufolge ab Freitag wieder Baumfällarbeiten, und die Gegner Großdemonstrationen am Samstag und am 11. Dezember.

    Dass Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) von der Schlichtung wie erhofft profitiert, ist damit fraglich geworden. Nach dem Abflauen der Massenproteste während der Schlichtung machte seine schwarz-gelbe Regierungskoalition in Umfragen zwar wieder Boden gut und liegt nun mit zusammen 44 Prozent nur noch hauchdünn hinter einer nach den Landtagswahlen im März möglichen grün-roten Koalition, die auf 45 Prozent käme.

    Doch nun droht eine Verschärfung der Proteste bis zu den Landtagswahlen und damit ein Wahldebakel für Mappus: Laut einer ZDF-Umfrage ist das Bahnprojekt für viele Bürger noch immer das wahlentscheidende Thema - und die Bevölkerung ist tief gespalten: 40 Prozent der Wahlberechtigten im Südwesten befürworteten es, 39 Prozent lehnten es ab.

    Ein Lob dem Schlichtungsverfahren

    Geißler lobte das Schlichtungsverfahren als Gewinn für die Demokratie: Es sei gelungen, dass alle Parteien gleichwertig und auf Augenhöhe ihre Argumente vorgetragen haben. Als Konsequenz aus dem Konflikt um das Projekt forderte Geißler ein neues Bürgerbeteiligungsverfahren. Bei wichtigen Maßnahmen müssten die Bürger in mehreren Stufen über mögliche Alternativen abstimmen dürfen. Das heißt: In Phase eins wird das Projekt generell zur Abstimmung gestellt, in Phase zwei die verschiedenen Umsetzungsvarianten und in Phase drei der konkrete Baubeschluss. So werde eine möglichst breite Bürgerbeteiligung und Zustimmung gesichert. Basta-Politik dürfe es nicht mehr geben.