Duisburg. .

In Duisburg-Homberg hat ein entlassener Sexualstraftäter ein zehnjähriges Mädchen überfallen. Das beflügelt die Diskussion zum Thema Sicherungsverwahrung. Die Polizei hatte die 24-Stunden-Überwachung offenbar abgebrochen.

Vor Panikmache hat die Polizei gewarnt und die Politik vor Hysterie. Nun aber ist offenbar genau das passiert, wovor die Menschen sich fürchteten: In Duisburg wurde am Sonntag ein Mann festgenommen, der nur zehn Tage nach seiner Entlassung aus der Sicherungsverwahrung ein kleines Mädchen gewürgt haben soll. Nicht einmal zwei Wochen war der 47-Jährige in Freiheit – nun sitzt er wieder in Untersuchungshaft, wegen „versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern”.

Er hatte nicht einmal versucht, sich zu verstecken, fast vor der eigenen Haustür packte er zu, am Sonntag gegen halb sechs. Vor dem schäbigen, abgewohnten braunen Mietshaus im Stadtteil Homberg, wo er bei Verwandten untergekommen war, direkt gegenüber einer Grundschule. Und er musste sich auch nicht verstecken: Die Polizei, die das nicht bestätigen wollte, soll die 24-Stunden-Überwachung nach nur einer Woche abgebrochen, zumindest aber ausgedünnt haben. Der Mann habe signalisiert, kooperieren zu wollen, sei „täglich seinen Auflagen nachgekommen, in dem er sich bei der Polizei und dem Bewährungshelfer gemeldet hat”.

Entlassung soll nicht empfohlen worden sein

Statt dessen verfiel der 47-Jährige aber offenbar in ein altes Muster: Nach Informationen dieser Zeitung hatte er vor seiner zehnjährigen Sicherungsverwahrung sechs Jahre gesessen, weil er eine Frau bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt hatte, um sie zu vergewaltigen. Einschlägige Vorstrafen sollen auch Vergehen an Kindern geahndet haben. „Nicht auszudenken, wenn das Mädchen sich nicht hätte befreien können”, sagt Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Polizei-Gewerkschaft DPolG, mit hörbarem Grauen. „Sonst hätten wir jetzt den schlimmsten Fall.”

Die Zehnjährige aber, die auf dem Nachhauseweg war, konnte sich dem Würgegriff von hinten entringen und lieferte eine so genaue Täterbeschreibung, dass der Mann wenig später festgenommen werden konnte. Die Duisburger Polizei teilte erst Montagmittag in drei dürren Zeilen mit, es habe einen „Übergriff” auf ein Kind gegeben. Am Abend folgte eine Erklärung, der sich wie der Versuch einer Verteidigung liest: Man habe das Vorgehen mit allen beteiligten Stellen abgestimmt, „eine Gefährdungsbeurteilung unter Einbeziehung des OLG-Urteils führte zu lageangepassten Maßnahmen der Polizei”.

Tatsächlich hatte das Oberlandesgericht Hamm am 18. November entschieden, den bis dahin in Werl Einsitzenden auf freien Fuß zu setzen – wie schon 15 Sicherungsverwahrte zuvor in diesem Jahr. Der 4. Strafsenat bestätigte damit ein Urteil des Landgerichts Arnsberg, das die Strafvollstreckung in diesem Fall für „erledigt” erklärt hatte.

Beide Gerichte folgten dabei dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der vor Jahresfrist beanstandet hatte, dass die Sicherungsverwahrung in Deutschland nachträglich auf über zehn Jahre verlängert werden kann. Im vorliegenden Fall war der 47-Jährige seit August 2000 in Werl untergebracht gewesen und hatte im Sommer eine Überprüfung beantragt.

Weiterer Umzug eines Häftlings geplant

Das Urteil des OLG stützte sich aber auch auf ein aktuelles Sachverständigen-Gutachten. Weder aus der Expertise noch „aufgrund konkreter Umstände”, so eine Gerichtssprecherin, hätte der Senat erkannt, „dass eine hochgradige Gefahr der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten besteht”. Darauf beruft sich nun auch die Duisburger Polizei, deren Präsidentin noch vor einer Woche versicherte, ihre Behörde sei auf die Situation vorbereitet und werde „für die Sicherheit der Bevölkerung sorgen”. Dagegen soll der nun Festgenommene nach Informationen dieser Zeitung in anderen psychiatrischen Gutachten als besonders rückfallgefährdet bezeichnet worden und eine Entlassung dort nicht empfohlen worden sein.

Die Polizei, wiederholte am Montag Gewerkschafter Erich Rettinghaus, „kann aber auch nicht alle entlassenen Straftäter ständig observieren”, das sei personell nicht zu leisten. Sie könne „nicht immer das ausbaden, was die Politik nicht regelt”. Es sei „schlimm, dass immer erst etwas passieren muss, bevor sich etwas ändert”, so Rettinghaus. Der Vorfall von Duisburg habe „gezeigt, dass diese tickenden Zeitbomben nicht entlassen werden dürfen”. Man müsse zumindest die Lehre ziehen, künftig die Nachbarschaft zu informieren. „Menschliches Verhalten ist nicht vorhersehbar”, hatte erst kürzlich der stellvertretende Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen, Karl Schwers, in der WAZ erklärt. In dessen Gerichtsbezirk wurde, anders als in Hamm, bislang kein Sicherungsverwahrter entlassen.

Duisburg bereitet sich derweil schon auf den nächsten Fall vor: Ein weiterer Häftling hat angegeben, nach Aufhebung seiner Sicherungsverwahrung in die Stadt ziehen zu wollen. Rettinghaus: „Da warten wir ja auch drauf .”