Berlin/Düsseldorf. .

Der rechte Flügel der Sozialdemokraten sehen ihre Rechte in einer schweren Identitätskrise. Der „Seeheimer Kreis“ hat ein düsteres Thesenpapier aufgesetzt. Generalsekretärin Nahles und die NRW-SPD weisen die Kritik zurück.

Fragt man Hannelore Kraft nach der SPD, reagiert die Ministerpräsidentin und Chefin der NRW-Partei gelassen. Die Kritik des rechten Flügels am Kurs der SPD möchte sie „nicht überbewerten“. Ein „paar gute Fragen“ habe der Abgeordnete Garrelt Duin vom konservativen „Seeheimer Kreis“ der Partei gestellt, fügt sie hinzu. Als das Thesenpapier bekannt wurde, in dem er der SPD eine „schwere Identitätskrise“ bescheinigt, klingelte bald Duins Handy. Am Apparat: Kraft.

Nicht alle in der SPD sehen die Lage so düster wie der Mann aus Niedersachsen. Für Kraft geht kein schwarzes Jahr zu Ende. Auch Generalsekretärin Andrea Nahles sieht Fortschritte („Wir haben viel erreicht“). Sie, Kraft, SPD-Chef Sigmar Gabriel – sie alle wurden vom Vorstoß Duins überrascht. Nahles ist verärgert – und zeigt es auch. Sie hätte erwartet, dass Duin seine Kritik im SPD-Vorstand zur Sprache bringt: „Soviel Mumm erwarte ich von ihm“.

Gabriel wurde genauso düpiert, lässt es sich nur nicht anmerken. „Richtig und gut“ findet er die Debatte über die Ausrichtung der SPD. „Ganz froh“ sei er, dass sie ein Jahr nach der Niederlage bei der Bundestagswahl in Gang komme. Damit hofft Gabriel, der Kritik die Spitze zu nehmen.

„Die SPD kommt kaum
vor, wird nicht gefragt“

Das Problem der SPD: Zu wenig Relevanz. Duin schreibt, „CDU und Grüne bestimmen die politischen Diskussionen, die SPD kommt kaum vor, ist und wird nicht gefragt“. Ein Beleg dafür sind die Umfragen, und beispielhaft war auch der Verlauf der Haushaltsdebatte und der Parteitage von CSU und CDU.

Die Christdemokraten ha­ben sich mehr mit den Grünen als mit der SPD auseinandergesetzt. Immerhin: Gabriel, Nahles oder etwa Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erzeugen noch ein Echo. Es ist die zweite Reihe der SPD, die praktisch nicht existent ist: Leute wie Garrelt Duin, der Wirtschaftspolitiker ist, aber außerhalb Niedersachsens nahezu unbekannt ist.

Insofern weiß Duin, wovon er redet. Er hat gerade einen Beitrag dafür geleistet, dass sein Name bei mehr Menschen hängen bleibt. Er warnt vor „opportunistischer Beliebigkeit“. Er deutet auch an, dass er mit der Kurskorrektur bei der Rente mit 67 unzufrieden ist und warnt vor einer „Politik nach Morgenlektüre“ bei der Frage, ob die Politik das Volk direkt befragen soll.

SPD doht wieder das Flügelschlagen

Man muss wissen, dass die Korrektur der Rente mit 67 von Gabriel betrieben wurde; und dass er zu umstrittenen Projekten wie Stuttgart 21 oder den Atomausstieg auch das Volk befragen wollte. Mit anderen Worten: Duin redet auch über den Parteichef, über die Bilanz seines ersten Jahres als SPD-Chef, über das System Gabriel.

Der Generalsekretär der NRW-SPD, Michael Groschek, hat mit Unverständnis auf die harsche Kritik konservativer Sozialdemokraten am Zustand der Partei reagiert: „Wir sollten das Vertrauenskapital bei den Bürgern nicht dadurch verspielen, dass in der SPD wieder das Flügelschlagen beginnt“, sagte Groschek unserer Zeitung. Er warf Duin schlechten Stil vor: „Kritik bringt man in den Parteigremien an.“ Dort könne man auch „über den einen oder anderen Punkt“ der kritischen Bestandsaufnahme Duins diskutieren.

Groschek sieht den mächtigen NRW-Landesverband der Sozialdemokraten „gut aufgestellt“. Man habe mit dem Konzept des vorsorgenden Sozialstaats eine programmatische Leitlinie, die die SPD von anderen Parteien klar unterscheide.